Millionen-Versager: Die bittersten Format-Flops der Technikgeschichte (Spiegel Online, 20.2.2008)
Millionen-Versager
Hipzip & Co. – die bittersten Format-Flops der Technikgeschichte
HD-DVD, Bildplatte, Digitalkassette – Elektronik-Konzerne haben Hunderte von Millionen in Entwicklung und Vertrieb dieser Formate gesteckt – trotzdem sind sie beim Kunden spektakulär gescheitert. SPIEGEL ONLINE dokumentiert die bittersten Niederlagen historischer Format-Schlachten.
Spiegel Online, 20.2.2008, mit Matthias Kremp
Den ersten Formatkrieg fochten Thomas Alva Edison und George Westinghouse bereits Ende des 19. Jahrhunderts aus. Damals stritten sich die beiden Erfinder darum, ob man Haushalte lieber mit Wechsel- oder mit Gleichstrom versorgen solle.Die öffentliche Diskussion wurde damals allerdings mit teils sehr drastischen Mitteln geführt. So soll Edison, der dem Gleichstrom den Vorzug gab, beispielsweise Hunde angebunden, mit Wasser übergossen und mit Wechselstrom getötet haben, um zu demonstrieren wie gefährlich die Technologie von Westinghouse ist. Trotzdem setze sich am Ende der Wechselstrom durch, weil er besser über große Entfernungen transportiert werden konnte. Edison bestand jedoch weiterhin darauf, seine Stromkunden mit Gleichstrom zu beliefern. In New York wurde die Versorgung mit Gleichstrom erst am 14. November 2007 eingestellt.
Bis heute gibt es dagegen keinen klaren Sieger im Schallplattenkrieg. Nach dem zweiten Weltkrieg stellten die US-Plattenfirmen Columbia Records und RCA Victor konkurrierende Formate vor. Columbia votierte für eine 30-Zentimeter Scheibe, die sich 33,3-mal pro Minute drehte während RCA vorschlug eine kleinere 18-Zentimeter Vinylplatte zu nehmen, diese aber mit 45 Umdrehungen pro Minute rotieren zu lassen. Eine Einigung oder Entscheidung hat es nie gegeben. Stattdessen bauten Plattenspielerhersteller ihre Gerät schließlich so, dass man deren Geschwindigkeit umschalten und Platten beider Formate abspielen kann.
Doch so einfach waren Formatkonflikte nicht immer zu lösen, wie der Kampf um die Vorherrschaft bei Videorekordern in den achtziger Jahren deutlich zeigte.
Betamax, Video 2000 und VHS
Mit Werbetexten wie "Betamax, ein schärferes Bild" warb Sony Mitte der siebziger Jahre in TV-Spots für seine Betamax-Videorekorder. Emotional ging der Konzern das Thema TV-Aufzeichnung an, zeigte das Großmütterchen, dem der Sohn mit Videos der Enkelkinder Tränen der Rührung entlockt und den Taxifahrer, der gegenüber seinen Kollegen prahlt, dass er sich nach der Nachtschicht noch die Late-Show vom Vorabend anschauen wird. Erst spät versuchte das Unternehmen auch mit Argumenten zu punkten, hob darauf ab, dass dem Betamax-System gegenüber der VHS-Konkurrenz in Testberichten eine bessere Bildqualität zugesprochen wurde.
Genützt hat es nichts, den Sieg trug das technisch unterlegene VHS davon. Der Legende nach wurde der Streit durch die Pornoindustrie entschieden. Die habe sich seinerzeit dafür entschieden ihre Brust- und Bauchfilmchen auf VHS zu veröffentlichen und damit die Entscheidung herbeigeführt. Die These ist schön, aber leider nur eine Legende. Denn die Pornofilmer entschieden sich erst für VHS, als es bereits zum dominierenden Format avancierte. Leidtragende waren da schon eher die Nutzer der von Philips entwickelten Video-2000-Geräte. Der niederländische Elektronikkonzern verbot damals die Produktion von Sexfilmen auf Video 2000. 1986 lief der letzte Video-2000-Rekorder vom Band.
Die Entscheidung zwischen VHS und Betamax wurde damals allerdings durch Sonys rigide Lizenzpolitik herbeigeführt. Der japanische Konzern behielt es sich vor, sein Format nur Firmen zu öffnen die bereit waren viel Geld in eigene Produktionsstätten zu investieren. Die von JVC entwickelten VHS-Geräte und Kassetten konnten ebenfalls von Lizenznehmern in eigenen Fabriken hergestellt werden. Gleichzeitig bot das Unternehmen aber auch eine Auftragsproduktion an, was für etliche Unternehmen die attraktivere, weil billigere Variante war. Auf diese Weise konnten VHS-Geräte in kürzerer Zeit auf den Markt gebracht werden.
Tot ist Betamax deswegen aber bis heute nicht. Als Betacam lebt eine für Videoprofis optimierte Weiterentwicklung des alten Sony-Formats bis heute in TV-Studios in aller Welt weiter.
Digital Compact Cassette – vom CD-Killer zum Bierfilter
Es sah alles so gut aus, damals, 1992: Der niederländische Elektronik-Konzern Philips verkaufte Jahr für Jahr weltweit 2,5 Milliarden Kassetten und 200 Millionen Kassettenrekorder. Was für ein Startvorteil für das neue Format, die "Digital Compact Cassette" (DCC): Diesen digitalen Nachfolger der Kassette beschrieb Philips so: "Klänge werden digital gespeichert und in CD-Qualität wiedergegeben." 105 Minuten passten auf eine DCC.
Der Clou: Die DCC hatte dieselben Abmessungen wie Analogkassetten. Das begeisterte Experten – 1991 zitierte der SPIEGEL: "Kenner der Branche geben inzwischen dem Philips-Produkt die größeren Chancen für einen raschen Erfolg." Denn: "Da die DCC im Format mit ihrem analogen Vorgänger identisch ist, lassen sich die alten Kassetten auch auf den neuen Geräten abspielen – andersherum allerdings geht es nicht." 1992 erschienen sogar Elton-John-Alben als DCC (siehe Video unten).
Daraus wurde nichts. Philips und Matsushita (bekannter für die Marke Panasonic) versuchten vier Jahre lang tapfer, die DCC durchzusetzen und gegen Sonys Mini-Disc und die Audio-CD anzukommen. Philips blieb erfolglos, wie im Februar Philips-Manager Jan Timmer zugab. Er nannte die DCC damals ein "Nischenprodukt für Audiophile". Im September 1996 kündigte Matsushita an, keine DCC-Geräte mehr herzustellen. Dann teilte eine Philips-Sprecherin am 30. Oktober 1996 in Eindhoven mit: "Wir liefern das Produkt noch aus, aber wir stellen es nicht mehr in großen Mengen her."
Ein kleines Revival erlebt die DCC-Technik nun als Bier- und Blutfilter: Das Eindhovener Start-up Fluxxion stellt Mikrofilter mit derselben Technik her, die damals die DCC-Datenträger beschrieben hat: Löcher mit einem Durchmesser von 70-millionstel Metern lassen sich so in Silizium brennen.
Mini-Disc – Kassetten-Killer blüht in der Reporter-Nische
18 Gramm leicht und viel kleiner als die Kassette – Sonys Minidisc konnte man im Januar 1992 für das ideale Musik-Mitnahme-Format halten. Die Minidisc war mit keinem Vorgängerformat kompatibel. Aber sie sei technisch besser und das genüge doch wohl, glaubten die Sony-Manager. Sonys Marketingchef Wolfdieter Grieß kommentierte im SPIEGEL damals, die Verbraucher, müssten nur "lernen, dass keine neue Technik mehr für die Ewigkeit ist".
Die Mini-Disc gibt es heute immer noch, eine halbe Elektronik-Ewigkeit später. Allerdings nutzen das Format vor allem Radioreporter für Aufnahmen bei Außenterminen. Viel mehr Nutzer hat die von Sony als Kassetten-Killer angekündigte Mini-Disc auch nie gefunden. Dabei hat sich Sony redlich bemüht: Michael Jacksons Best-Of-Album "HIStory" erschien 1995 zum Beispiel zuerst auf Mini-Disc, danach erst auf CD. Kein Wunder: Das Album erschien bei Sony Music.
Diese Hilfe aus dem eigenen Haus half der Mini-Disc als Mainstream-Medium für Kaufmusik nicht weiter: 1995 waren in Deutschland weniger als 500 Popalben und knapp 100 Klassikaufnahmen auf Mini-Disc erhältlich. Heute gibt es keine mehr – einer der letzten Minidisc-Veröffentlichungen scheint laut Amazon der Dracula-Filmsoundtrack aus dem Jahr 2000 zu sein – erschienen am 29. Dezember 2000 bei Sony Music. Wie passend: Untoten-Musik auf dem Widergänger-Medium.
CD-i – der interaktive Flop
"Vier hochwertige Geräte in einem vereint" pries die Philips-Werbung 1994 den neusten CD-i-Abspieler an. Das war völlig richtig: Die teuer (900 Mark aufwärts) Geräte konnten Spiele, Multimedia-Inhalte wie Lexika, Spielfilme und Musik wiedergeben. Das konnten sie schon beim Start im September 1990. Doch in den drei folgenden Jahren verkaufte Philips weltweit nur 300.000 Geräte. Philips versuchte alles Erdenkliche: Man kaufte die Rechte für Super-Mario-Spiele von Nintendo (siehe Video unten), setzte Spiele wie "The 7th Guest" um, verpflichtete Filmstudios für Veröffentlichungen von CD-i-Versionen von – damaligen – Erfolgsfilmen wie "Die nackte Kanone 2".
Es half alles nichts. Drei Jahre lang hatte das CD-i mit einem spartanischem Film- und Spielangebot Käufer abgeschreckt (zum Start gab es weniger als zwei Dutzend Titel). Wo die Fehler lagen, verdeutlicht diese Weisheit, die eine Philips-Managerin im SPIEGEL drei Jahre (!) nach dem Deutschlandstart des CD-i verkündete: "Wir haben viel gelernt, der deutschsprachige Markt braucht deutschsprachige Software." Drei Jahre zu spät offenbar. 1998 gab Philips das CD-i endgültig auf.
Immerhin hat Schriftsteller Douglas Coupland ("Generation X") dem CD-i ein Denkmal in seinem Roman "Mikrosklaven" gesetzt. Programmtester Todd erinnert sich an eine Stelle: "Ich habe mal das CD-i-System von Philips ausprobiert – das ist so, als würde man versuchen, einen Bildband zu lesen, dessen Seiten alle zusammengeklebt sind".
Der Hipzip war nie hip
Bruce Albertson, damals Chef des Speicherherstellers Iomega fand große Worte, als er im September 2000 den HipZip-Player vorstellte. Er sei ein großer Durchbruch für digitale Musik und gebe den Anwendern die Möglichkeit "die Musik die sie haben wollen zu den Preis den sie zahlen wollen zu kaufen." Um diesen Anspruch zu erfüllen konnte der Player neben MP3 auch Microsoft WMA-Format samt Kopierschutz abspielen. Als Speichermedium sollten die Anwender sogenannte Pocketzip-Medien nutzen, Mini-Disketten mit 40 Megabyte Speicherkapazität.
Die seien schließlich viel billiger als die damals noch sehr teuren Flash-Speicherbausteine, würde die Kunden dazu verführen sich mit reichlich Wechselmedien einzudecken. Durchschnittlich 20 solcher Pocketzips werde sich der normale Hipzip-Käufer im ersten Jahr zulegen, prognostizierte das Unternehmen damals und hoffte auf große Gewinne. Gleichzeitig sollten HipZip-Käufer damit viel Geld sparen. Vorgerechnet wurde, dass 20 Pocketzips ja nur 200 Dollar, dieselbe Speichermenge in Form, von Flashplayern aber satte 4000 Dollar teuer wäre. Zudem passte die Speichermenge prima zu Standard-CDs: Als MP3 bekam man darauf gut zehn Songs unter.
Geholfen hat all das nicht. Noch während Iomega versuchte Medium und Gerät den Verbrauchern schmackhaft zu machen, eroberten MMC, SD- und CF-Flash-Speicherkarten den Markt, fielen kontinuierlich im Preis und machten den anfälligen, weil mechanischen, Pocketzip-Medien den Garaus.
Laserdisc – von Cineasten und Japanern geliebt
Der analoge DVD-Vorgänger Laserdisc war unter diesem Namen ab 1980 in den 80ern in den Vereinigten Staaten zu haben. Filmfans kauften sich die teuren Abspieler und Filmscheiben (30 Zentimeter Durchmesser) – die Durchschnittskunden zogen die günstigen Videorekorder und Filme vor. In Deutschland machte Laserdisc-Pionier Philips denselben Fehler: Die ersten, im September 1981 verkauften Abspieler kosteten 2000 Mark, die Filme kosteten zwischen 70 und 150 Mark. Die Folge: "Da tut sich gar nichts", wie der SPIEGEL 1982 einen Händler zitierte.
In Japan fand die Laserdisc mehr Freunde – die "New York Times" bezifferte die Verbreitung der Laserdisc-Abspieler 1999 auf zehn Prozent aller Haushalte. Dort waren die Geräte und Filme allerdings auch günstiger. Weltweit gesehen hatte die Laserdisc gegen die VHS-Konkurrenz nur in einer Nische Erfolg: Cineasten kauften die Bildplatten wegen der Bildqualität und der häufig mit Extras (Audiokommentare) ausgestatten Filmausgaben. Weitere Nische: Institutionen wie deutsche Berufsinformationszentren boten Jahre lang Informations- und Lehrfilme auf Laserdisc.
Gut 1200 Filme sind laut Wikipedia in deutscher Fassung auf Laserdisc erschienen – der letzte 1999. Welcher Titel das war, darüber gibt es den in solch speziellen Sammelgebieten üblichen Streit: "Die Rückkehr der Zombies" (laut laserdiscs.de) oder "Mike Mendez’ Killers" (laut laser-disc.de)?
Gescheiterte Floppy-Nachfolger
Über Jahre war die Floppydisc das Standard-Speichermedium für Computer aller Art. Ständig versuchten Forscher noch ein wenig mehr Kapazität aus den flexiblen Kunststoffscheiben zu quetschen. Ihren Höhepunkt erreichte die Bit-Quetscherei als die Computerfirmen Next und IBM 1991 begannen sogenannte ED-Laufwerke in ihre Computer einzubauen. Die sollten auf Disketten im damals üblichen 3,5-Zoll-Format 2880 Kilobyte unterbringen.
Dafür waren aber spezielle Laufwerk und Disketten notwendig. Den meisten Anwendern reichten damals aber schon die billigen HD-Disketten mit 1,44 Megabyte Kapazität. Für größere Datenmengen wurden schon damals eher Festplatten genutzt. Zudem stellte Iomega wenigen Jahre später die Zip-Medien vor, auf denen bis 100 Megabyte Daten Platz fanden, mehr als genug für die meisten Anwender. Vor allem aber waren Zip-Medien und Laufwerke bald günstig zu bekommen, avancierten zum Standard-PC-Zubehör.
Diesem Trend hinterher hechelnd kamen Mitte der neunziger Jahre in kurzer Folge die 120 Megabyte große Superdisc und Sonys 150 Megabyte HiFD auf den Markt. Beide wurden aber nur zu Randnotizen der Speichermediengeschichte, konnten sich gegen Iomegas Vorherrschaft nicht durchsetzen. In diesem Fall hatte der Zip-Erfinder mit seinen Laufwerken einfach genau zur richtigen Zeit das richtige Produkt auf den Markt geworfen und binnen kürzester Zeit eine unanfechtbare und marktbeherrschende Stellung eingenommen.
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