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Mitmach-Reklame: Apple wirbt mit Youtube-Clip eines 18-Jährigen (Spiegel Online, 29.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Mitmach-Reklame

Apple wirbt mit Youtube-Clip eines 18-Jährigen

Ein Student schnipselt aus Spaß einen iPod-Werbeclip zusammen, zeigt ihn bei Youtube. Apple ist begeistert, schließt einen Vertrag mit dem Hobby-Werber und dreht den Clip für das US-Fernsehen nach. Ein Glücksfall für Apple – denn die besten Youtube-Clips verhöhnen Mac-Produkte.

Spiegel Online, 29.10.2007

Grauer Kaputzenpulli, wuschelige Haare bis über beide Ohren, rechteckige schwarze Brille – so steht der britische Student Nick Haley am vorigen Freitag vor dem Apple-Laden im britischen Sheffield. Er wartet auf den Verkaufsstart des neuen Apple-Betriebssystems Leopard. Ein typischer Student und Apple-Fanatiker, denkt sich Fotograf Jon Moss, der Haley in der Warteschlange trifft.  Moss fotografiert ihn, sie kommen ins Gespräch. Und weil der 18-jährige Haley so unscheinbar wirkt, verbindet der Fotograf ihn erst spät mit einer unglaublichen Geschichte, die morgens die Runde in Apple-Blogs machte.

Die Geschichte erzählt von einem 18-jährigen Nick aus Leeds, der im September mit einem schnell zusammengeschnittenen Youtube-Clip (siehe unten) Apples neuen MP3-Player iPod feierte und über die Video-Plattform von Apples Werbeagentur entdeckt wurde. Dieser Nick Haley – so die Blog-Einträge – erlaubte es Apples Werbern in einem Vertrag, seinen Clip nachzudrehen.

{youtube}KKQUZPqDZb0{/youtube}

Ein 18-jähriger schneidet an einem Tag auf seinem Notebook einen Apple-Fernseh-Spot zusammen – eine außerordentliche Erfolgsgeschichte für die junge Disziplin der Mitmach-Reklame. Bisher leiden alle vergleichbare Kampagnen irgendwann an der Häme der Hobby-Filmer. Die amüsieren sich lieber über Produkte und Firmen, statt sie zu feiern.

Youtube-Regisseure verhöhnen Apple

Apple hat bei Youtube eine besonders kreative Kritiker-Gemeinde. Die besten und witzigsten Apple-Spots von Hobby-Regisseuren spotten bislang aber über Apple-Produkte. Und gerne persiflieren sie dabei die Apple Spots.

Zum Beispiel die PC- und Mac-Typen (PC mit Krawatte, Mac im Kaputzenpulli), mit denen der Apple-Konzern sich über die Windows-Welt lustig machte. Die beiden Typen lässt ein Youtube-Regisseur in einer neu synchronisierten und geschnittenen Fassung miteinander plaudern. Das Problem dabei ist, dass der Mac-Typ sich ständig verhaspelt, erstarrt und dann wieder von vorne beginnt – ganz so, wie es einigen fehlerhaften Apple-Notebooks erging (siehe Video unten).

{youtube}v0QxafBu0b8{/youtube}

Youtube-Regisseure höhnen ausgiebig mit Apples Werbe-Ikonografie über Apple-Schwächen. Zum Beispiel das iPhone, das das Internet, wie wir es kennen, aufs Mobiltelefon bringt – allerdings ohne die Bewegung von Flash-Animationen. Angesichts dieser extrem amüsanten und kreativen Häme ist die Geschichte des 18-jährigen Apple-Fans, dessen Youtube-Hommage der Konzern zum Fernseh-Spot verarbeitet , fast zu schön, um wahr zu sein.

Aber die Geschichte scheint zu stimmen: Apple zeigt auf seiner Website inzwischen einen neuen Werbespot, der Haleys am 11. September bei Youtube eingestellten Clip (siehe unten) verdammt ähnlich sieht. Die Fernsehwerbung lief gestern im US-Fernsehen, in den Werbepausen von Football-Spielen und der Serie "Desperate Housewives".

Hobby-Regisseur verweist an Apple PR-Abteilung

Den Ideengeber hat Fotograf Jon Moss in Sheffield getroffen, wie er SPIEGEL ONLINE bestätigt. Als er endlich auf die Idee kam, der strubbelhaarige Nick in der Warteschlange könnte der Schöpfer der Original-Werbespots sein, bestätigte der das und zeigte Moss den Clip.

Viel mehr wollte er über die Arbeit mit den Apple-Werbern aber nicht erzählen – sein Vertrag mit der Agentur verbiete das leider. Auch eine Anfrage von SPIEGEL ONLINE verweist Haley weiter an Apples PR-Abteilung in den Vereinigten Staaten. Ohne deren Zustimmung dürfe er leider nichts sagen.

Apples Werbeagentur TBWA/Chiat/Day hat der "New York Times" bestätigt, die Rechte an Haleys Ur-Clip gekauft und ihn nachgedreht zu haben. Vergleicht man beide Versionen, scheinen die Änderungen lediglich kosmetisch zu sein: höhere Auflösung, präziserer Schnitt. Aber ansonsten dreht sich der iPod im Profi-Clip wie in der Amateur-Version im Takt des Songs "Music Is My Hot, Hot Sex"” einer brasilianischen Band namens CSS.

Hippe Musik statt Humor

Genauso also, wie Haley sein Youtube-Video zusammengeschnipselt hat. Im September war das, erzählt der Hobby-Regisseur auf seiner Youtube-Seite: Er habe nur einen Tag gebraucht, um den 30-Sekunden-Clip zu vollenden. Das Rohmaterial nahm Haley von Apples Werbeseite, schnitt die Bewegtbilder auf seinem Macbook mit Apples Schnitt-Software neu zusammen. Inspiriert habe ihn die Zeile aus dem CSS-Songs: "My music is where I’d like you to touch", sagte Haley der "New York Times".

So liebt Apple seine Mitmach-Reklame: Schneller Beat, schnelle Schnitte, hippe Sängerin und tanzende Technik. Doch Haleys Clip fehlt, was die Youtube-Persiflagen von Apples Werbung unterscheidet: Humor. Böser, schwarzer Humor vor allem – der passt so gar nicht zum freundlich-weißen Apple-Design.

{youtube}H_8MBTehisQ{/youtube}

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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