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Mitmach-Selbstzensur: Chinas Web-Giganten auf Gerüchte-Patrouille (Spiegel Online, 14.9.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Mitmach-Selbstzensur

Chinas Web-Giganten auf Gerüchte-Patrouille

Chinas Mikroblogger sollen den Machthabern helfen: Große Portale fordern Nutzer auf, “Gerüchte” über Korruption, Vertuschungsversuche und angebliche Skandale bei den Online-Aufpassern zu melden. Die Moderatoren fragen dann bei den Behörden nach – und veröffentlichen die offizielle Wahrheit.

Spiegel Online, 14.9.2011

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Der 15-Jährige Li Tianyi ist der Sohn eines Generals der chinesischen Volksarme. Der Junge hat keinen Führerschein, fuhr aber in der vergangenen Woche in einem schwarzen, getunten BMW ohne Nummernschild durch Peking, bis ein Familienvater vor ihm bremste, um in eine Wohnstraße einzubiegen. Was dann geschah, beschäftigt Hunderttausende chinesischer Webnutzer seit Tagen: Den junge Li Tianyi ärgerte wohl die Langsamkeit des Vordermanns. Zusammen mit einem Kollegen, der in einem Audi unterwegs war, stieg der der Junge aus, es kam zum Streit. Gemeinsam verprügelten die Jugendlichen den Familienvater.

Die Geschichte ist brisant, weil Li Tianyis Vater so gut vernetzt ist: Li Shuangjiang ist nicht nur General und Sänger, er lehrt auch an einer Hochschule der Volksarmee und tritt regelmäßig bei Veranstaltungen der Partei auf. Offenbar verließen sich Li Tianyi und sein Kumpan auf den Ruf des einflussreichen Papa: Die zwei jungen Schläger mit den Luxusautos sollen Passanten zugerufen haben: “Wer wagt es, 110 anzurufen?” Das berichtet inzwischen sogar die “Global Times“, das außenpolitische Blatt des KP-Organs “Volkszeitung”, das Blog Shanghaiist zeigt Fotos des Tatorts.

Verzogener Nachwuchs aus den inneren Kreisen der Macht missbraucht den Einfluss der Eltern – solche Geschichten provozieren den Zorn chinesischer Web-Nutzer. Bei einem vergleichbaren Fall, der so genannten Li-Gang-Affäre zeigte sich im vergangen Jahr, dass Funktionäre bisweilen auf den Zorn der Onliner reagieren.

Kinder der Mächtigen stellen sich über das Gesetz

Damals überfuhr der Sohn eines Polizeichefs in der Provinz zwei Studentinnen, eine starb an ihren Verletzungen. Der Junge soll Augenzeugen gedroht haben: “Mein Vater ist Li Gang.” Dieser Satz wurde wieder und wieder in Mikroblogs zitiert – er ist zur Metapher für den alltäglichen Machtmissbrauch geworden. In der Li-Gang-Affäre griff die Zensur immer wieder ein, doch der Fall war nicht komplett aus der Welt zu schaffen. Im Januar 2011 wurde Li Gangs Sohn zu sechs Jahren Haft und einer Schadensersatzzahlung verurteilt.

Die Reaktionen in Mikroblogs auf den Gewaltausbruch der zwei gut vernetzten Rüpel in Peking zeigen, wie sehr sich der Umgang der Machthaber mit den Online-Plattformen seit der Li-Gang-Affäre gewandelt hat. Diesmal bestimmen nicht allein empörte Internetnutzer die Onlinedebatte. Bei Sina Weibo, mit etwa 200 Millionen Nutzern einem der großen Mikrobloggingportale Chinas, war die Schlägerei in Peking schon nach zwei Tagen Gegenstand einer Art offizieller Gegendarstellung.

China Mikroblogger sollen Gerüchtestreuer anschwärzen

Die Betreiberfirma Sina hatte Ende August einen Kanal eingerichtet, der Nutzer über “unwahre Gerüchte” informieren soll, die gerade die Runde machen. Zwei Tage nach dem Vorfall in Peking veröffentlichte Sinas Dementi-Kanal diese Nachricht: Nach sorgfältiger Prüfung hätten die Sicherheitsbehörden in Taiyuan festgestellt, dass der zweite Schläger in Peking nicht mit dem Polizeichef Su Hao in der Shanxi-Provinz verwandt sei. Außerdem habe sich das Kennzeichen des Audis in Peking als eine Fälschung herausgestellt. Die Behörde für Umerziehung durch Zwangsarbeit in Shanxi besitze einen Toyota-Geländewagen mit demselben Kennzeichen.

Die Botschaft ist klar: Das hier ist kein zweiter Fall Li Gang – es gibt eine Verbindung zum Militär, aber keine zur Polizei.

Dass staatliche Stellen so schnell auf online kursierende Berichte reagieren, ist Zeichen eines Wandels in der Medienpolitik. Dass die Machthaber sich der Mikroblogs annehmen wollen, zeichnete sich Anfang August ab, als binnen kurzer Zeit in mehreren Staatsmedien entsprechende Kommentare erschienen. Ein Kommentar im Parteiorgan ” Renmin Ribao” ( englische Übersetzung) rief Funktionäre gar zum Mikroblogging auf: “Meisterschaft in der Nutzung des Internets zeigt die Qualität und die Fähigkeiten eines Anführers.”

Portalbetreiber müssen die Nutzer stärker und subtiler steuern

Parallel zu dieser Umarmungs-Offensive drängten Machthaber auf neue, subtilere Kontrollmechanismen bei Mikroblog-Betreibern. Mitte August besuchte der Parteisekretär in Peking Liu Qi die Zentrale des Betreibers Sina. Onlinedienste sollten mehr gegen “falsche und schädliche” Informationen unternehmen, sagte Liu Qi am Rande des Besuchs.

Sinas offizieller Dementi-Kanal startete wenig später. Die Gerüchte-Patrouille greift regelmäßig besonders oft weitergereichte Kurznachrichten auf (eine angebliche Flugzeugentführung, angebliche Veruntreuungen beim Roten Kreuz, angebliche Fotos von Kinderarbeitern), fragt bei den Behörden nach und dementiert dann öffentlich die Behauptungen. Manchmal melden die Aufpasser auch, dass die Mitgliedskonten der Gerüchte-Verbreiter zur Strafe für einen bestimmten Zeitraum gesperrt werden.

Wer Gerüchte weitertratscht, wird suspendiert

Bislang hat das Konto der Gerüchte-Patrouille fast eine halbe Million Abonnenten, einige Beiträge wurden mehrere tausend mal weiterempfohlen und ebenso oft kommentiert. Sina ruft Mitglieder dazu auf, verdächtige Äußerungen der Gerüchte-Patrouille zu melden – per E-Mail oder der Markierungsfunktion unter jedem Beitrag auf der Seite.

Natürlich löschen die Sina-Mitarbeiter parallel weiterhin bestimmte Veröffentlichungen aus dem Angebot. Doch bei Aufregern wie der Li-Gang-Affäre funktioniert das simple Filtern und Verschweigen nicht – die Gerüchte kursieren weiter und jede offensichtliche Blockade nährt das Misstrauen der Nutzer.

Hat die Partei immer recht?

Mit Sicherheit wird die Gerüchte-Patrouille oft auch echte Falschmeldungen aufdecken und von Regierungsstellen die Tatsachen erfahren. Aber wie kann man diese Fälle von anderen unterscheiden? Ist alles falsch, was staatliche Stellen dementieren?

Ein Kommentator unter dem Klarstellungsbeitrag auf Sina Weibo formuliert seine Skepsis systemfreundlich: “Einige sagen: Ich glaube der Kommunistischen Partei, aber ich glaube nicht allen Kommunisten. Ich glaube der Polizei, aber ich glaube nicht allen Beamten.”

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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