Zum Inhalt springen

Morpheus und die Albträumer (Fluter.de / Bundeszentrale für politische Bildung , März 2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Morpheus und die Albträumer

Filme in Internet-Tauschbörsen – ein Überblick

Fluter.de / Bundeszentrale für politische Bildung , März 2002

Die Achse des Bösen umfasst mehr, als selbst George W. Bush glaubt: „Wir kämpfen unseren eigenen Krieg gegen den Terrorismus“, verkündete jüngst Jack Valenti, Präsident der Motion Pictures Association of America (MPAA). Damit meinte er den Kampf gegen illegal kopierte Filme in Internet-Tauschbörsen.

Valentis rhetorischer Ausrutscher ist verständlich, immerhin wurde die Filmindustrie schneller als von ihr erwartet vom selben Albtraum heimgesucht wie die Musikindustrie schon vor einiger Zeit: Eine halbe Millionen Filmdateien werden nach Schätzungen des Consulting-Unternehmens Viant täglich über das Internet getauscht. Dem Angebot in den gängigen Tauschbörsen nach zu urteilen, dürften dabei neben Pornographie den größten Anteil die urheberechtlich geschützten Produkte der Filmindustrie ausmachen.

Vor drei Jahren kursierte im Internet kurz nach dem US-Start von „Star Wars Episode 1“ eine Version, die Kinobesucher im Saal abgefilmt und digitalisiert hatte: Die Datei war bei miserabler Qualität 1,2 Gigabyte groß. Mit Hilfe neuer Komprimierungsverfahren benötigt man heute für zwei Stunden Film in Videoqualität nur die Hälfte (600 Megabyte) des Speicherplatzes. Das leistet ein Video-Codec (von COmpression/DECompression) namens DivX, der heute so etwas wie das Standardformat der Raubkopierer ist.

In fast allen Internet-Tauschbörsen findet man aktuelle Filme im DivX-Format. So wurde gut zwei Wochen nach dem Start von „Die Monster AG“ in Deutschland der Film in unterschiedlichen Sprach- und Qualitätsvarianten in allen unten beschriebenen Tauschbörsen angeboten. Zu diesen erhält man Zugang über sogenannte Client-Programme, die auf dem eigenen Rechner zu installieren sind. Man gibt ein bestimmtes Verzeichnis seines Computers frei, so dass andere Nutzer die darin enthaltenen Dateien finden und auf ihrem Rechner speichern können, ebenso wie man mit seiner Suchanfrage die freigegebenen Verzeichnisse der Anderen durchkämmt.

Fast alle diese Clients installieren zusätzliche Programme auf dem Computer. Manche mit, manche ohne vorherige Zustimmung des Nutzers. Was diese Programme – für deren Verbreitung die Hersteller der Clients bezahlt werden – im einzelnen genau mit seinem Rechner anstellen, bleibt für den Nutzer oft schleierhaft. Relativ harmlos ist New.net, das den Zugriff auf nicht-offizielle Domainendungen wie .gmbh ermöglicht. Andere Programme sind Spyware, sie überwachen das Surfverhalten des Nutzers und übertragen Informationen darüber ohne seine Wissen an Datenbanken, die dann von Werbekunden genutzt werden. Solche Programme sind für Laien schwer zu deinstallieren, hilfreich ist da zum Beispiel das kostenlose Programm Ad-Aware. Bevor man Tauschbörsen-Clients herunterlädt, sollte man in jedem Fall einen sogenannten Personal Firewall wie das für Privatpersonen kostenlose Zonealarm installieren. Solche Programme entscheiden nach den Einstellungen des Nutzers, welche Programme Zugang zum Internet erhalten.

Der BearShare-Client gewährt – wie einige andere Clients auch – Zugang zum Gnutella-Netz. Dieses Netz ist dezentral, jeder Client weiß, wo sich bestimmte Dateien befinden. Weil diese Informationen nicht zentral gespeichert werden, ist es schwer, gegen illegale Inhalte vorzugehen. Dementsprechend breit gestreut sind auch die Inhalte. Man muss für den Zugang weder einen Benutzernamen noch ein Passwort festlegen oder selbst Daten zur Verfügung stellen.

Beim System von Direct Connect (http://www.neo-modus.com) können die Nutzer selbst entscheiden, ob sie auch einen eigenen Server, genannt „Hub“ betreiben wollen. Man merkt dies, wenn man mittels des einfachen Clients Zugang zum Direct Connect-Netz sucht: Eine Liste gibt Aufschluss über die Inhalte und Anforderungen der Hubs, bei denen man sich einloggen kann. Diese Anforderungen können bei Direct Connect die Betreiber eines Hubs definieren. Gerade bei DivX-Hubs wird oft eine große Menge an zur Verfügung gestelltem Material verlangt – mein 5 bis 50 Gigabyte –, oft auch schneller Zugang. Diese Restriktionen machen die Qualität von Direct Connect aus.

Der Client Morpheus (http://www.musiccity.com) bedient sich wie auch Grokster (http://www.grokster.com) und KaZaA des Fasttrack-Protokolls (http://www.fasttrack.nu/). Dieses Protokoll bietet einige Feinheiten mehr als Bearshare, vor allem aber ist die Nutzerbasis und damit auch das Angebot sehr groß: Mehr als 40 Millionen mal wurden die Programme Morpheus und KaZaA bereits heruntergeladen, eine halbe Million Nutzer soll oft gleichzeitig online sein.

Die in diesen Tauschbörsen heruntergeladenen Filme werden wohl meist am Computerbildschirm betrachtet. Den TV-Ausgang bei der Grafikkarte vorausgesetzt, kann man das Signal vielleicht sogar zum Fernseher leiten. Aber es ist schon heute möglich, mit ein wenig Zeit und relativ normaler Hardware aus dem Internet geladene Filme mit einem DVD-Player zu betrachten. Sofern dieser nämlich in der Lage ist, Standard-CD-Rohlinge zu lesen (Eine Übersicht: http://www.vcdhelp.com/dvdplayers.php), anstatt mehrere tausend Mark für DVD-Brenner, Authoring-Software und Rohlinge auszugeben, einfach Video-CDs brennen (Näheres: http://www.zdnet.de/tut/artikel/200102/svcd_00-wc.html). Allerdings passen auf diese lediglich 74 Minuten Filmmaterial, bei Super-Video-CDs, deren Qualität nahe an DVDs kommt, sind es nur 35 Minuten.

Diese Entwicklung erinnert an die Anfänge von Napster – die Reaktion der Filmindustrie auch. Wie deren Angebote im Internet genau aussehen werden und wann sie genau kommen, ist noch immer nicht bekannt. Stattdessen wurde KaZaA und Grokster von der MPAA verklagt. In Deutschland hat Ende Januar T-Online auf Betreiben der Rechteinhaber Menschen verwarnt, die in Tauschbörsen Kopien des Films „Shrek“ angeboten hatten. Mittels der IP-Adressen sind diese nicht sonderlich schwer zu identifizieren. Da die Vervielfältigung und Verbreitung von urheberechtlich geschützten Werken an Unbekannte nicht legal ist, dürften die Anbieter in jedem Fall schlechte Chancen vor Gericht haben. Menschen, die sich solches Material auf ihre Festplatte laden, unter Umständen auch – denn der Download ist ja eine Vervielfältigung. Fraglich ist allerdings, ob es zu solchen Prozessen kommen wird, denn es dürfte selbst die Ressourcen der Filmindustrie übersteigen, jeden dieser Raubkopierer einzeln vor Gericht zu bringen – was ihre Taten aber keineswegs zu einem Kavaliersdelikt macht.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert