Mozilla-Chefin Baker: "Die Firefox-Gemeinschaft kann niemand kaufen" (Spiegel Online, 13.2.2008)
Mozilla-Chefin Baker
"Die Firefox-Gemeinschaft kann niemand kaufen"
Der Erfolgs-Browser Firefox luchst Microsoft Marktanteile ab. Nun soll die Software zum Web-Ausweis werden. Ein Gespräch mit der Mozilla-Vorstandsvorsitzenden Mitchell Baker über Zukunftspläne, Mozillas Millionenvermögen – und den Förderer und Konkurrenten Google.
Spiegel Online, 13.2.2008
SPIEGEL ONLINE: Handy-Browser, Offline-Unterstützung, Tabs – andere Browser hatten solche Innovationen früher als Firefox. Hinken Sie hinterher?
Baker: Nein. Das sind ja nicht die einzigen Innovationen, die es bei Internet-Browsern gab. Wir sind Vorreiter bei Sicherheit, Datenschutz, einer intuitiv verständlichen Benutzeroberfläche – die einfach bleibt, obwohl mehr und mehr Features dazukommen.
SPIEGEL ONLINE: Trotzdem entwickeln auch Sie jetzt einen Mobil-Browser – später als alle anderen.
Baker: Das stimmt, seit etwa vier Monaten arbeitet ein Team in Kopenhagen daran. Die erste Version werden wir in diesem Jahr veröffentlichen. Unser Ziel ist es, auch unterwegs richtige Internet-Erfahrung zu bieten.
SPIEGEL ONLINE: Richtig – das bedeutet: Wie beim iPhone und vielleicht sogar mit Flash?
Baker (lacht): Es gibt viel Flash im Web, doch Flash ist nicht das Web … Aber ja, möglicherweise auch Flash. Mit "richtig" meine ich vor allem die Möglichkeit, den Browser mit Add-ons zu erweitern, ihn den eigenen Bedürfnissen anzupassen.
SPIEGEL ONLINE: Für welche Handy-Betriebssysteme wird es Firefox Mobil geben?
Baker: Ziemlich sicher für Windows Mobile und Symbian – wobei wir da noch alle Optionen prüfen.
SPIEGEL ONLINE: Die großen Browser-Hersteller auf dem Mobilmarkt sind alle in irgendeiner Art mit Geräteherstellern verbunden. Firefox nicht. Wie können Sie da Erfolg haben?
Baker: Unser Vorteil ist, dass wir ein Open-Source-System haben und hinter Firefox die Mozilla-Stiftung steht. Wir brauchen keine komplizierten, lange zu verhandelnden Verträge mit Geräteherstellern, in denen die Aufteilung der Erlöse bis ins letzte Detail hart verhandelt ist. Das macht es Herstellern sehr leicht, mit uns zu sprechen, zu einem Ergebnis zu kommen, unsere Entwicklungen zu integrieren. Wir reden mit einigen. Mal sehen, was daraus wird. Wir zeigen lieber, wie Dinge funktionieren, statt sie anzukündigen.
SPIEGEL ONLINE: Was ist ihr Ziel für Firefox Mobil – ausgedrückt in Prozentpunkten Marktanteil?
Baker (zörgert): Es gibt Ziele. Und es gibt Marktanteile.
SPIEGEL ONLINE: Marktanteil ist also kein Ziel?
Baker: Doch, natürlich. Marktanteil ist uns sehr wichtig. Unsere Software muss genug Marktanteil haben, um eine echte Alternative zu sein. Ohne Marktanteil funktionieren wichtige Webseiten nicht mit einem Browser, das haben wir vor Jahren selbst erlebt, als Firefox noch nicht so populär war. Wir brauchen einen gewissen Marktanteil auch, damit unsere Stimme für ein offenes, standard-basiertes Internet relevant ist.
SPIEGEL ONLINE: Wie viele Prozentpunkte Marktanteil braucht Mozilla dafür?
Baker: So genau will ich …
SPIEGEL ONLINE: Zweistellig?
Baker: Natürlich, ordentlich zweistellig
SPIEGEL ONLINE: Mit Firefox Mobil treten Sie gegen Google an. Googles Handy-Betriebssystem Android ist auch Open-Source. Warum ist Firefox Mobil interessant für Entwickler, für Anwender?
Baker: Für Entwickler, weil es Firefox ist, weil 130 Millionen Menschen diesem Browser vertrauen, weil es sehr einfach ist, mit uns zusammenzuarbeiten. In Zukunft könnte unser Stiftungsstatus noch mehr Anwender locken. Denn wir werden auf Mobilgeräten ganz neue Werbemöglichkeiten und ganz neue Datenschutzprobleme bekommen. Die Software weiß nicht nur, was wir suchen und wer wir sind, sondern auch wo wir uns aufhalten. Wir müssen als Stiftung diese Möglichkeiten zur Umsatzmaximierung nicht ausreizen. Im Web bezahlen Anwender heute oft für kostenlose Dienste mit der Preisgabe persönlicher Informationen.
SPIEGEL ONLINE: Das will Mozilla ändern?
Baker: Wir denken darüber nach. Der Browser ist sicher der Ansatzpunkt, an dem man Nutzern die Wahl geben kann, wieviel sie im Web über sich preisgeben.
SPIEGEL ONLINE: Wie kann ein Browser das leisten?
Baker: Jeder im Web hat heute mindestens fünf Mal sein persönliches Profil auf irgendwelchen Seiten eingetippt: Wer bin ich, wen kenne ich? Das ist frustrierend. Warum sollten diese Informationen nicht an einem Ort gespeichert sein, wo der Nutzer sie verwalten und gezielt Daten für bestimmte Seiten freigeben kann? Wir kennen die genaue Lösung nicht, aber der Browser könnte ein guter Ort dafür sein.
SPIEGEL ONLINE: Aber praktisch wäre das doch nur, wenn der Browser diese Daten im Netz speichert, sodass man auf dem Handy, dem Laptop und dem Heimrechner dieselben Daten hat.
Baker: Ja.
SPIEGEL ONLINE: Würde Mozilla solch einen sicheren, neutralen Speicherort anbieten?
Baker: Ich beschreibe keinen Plan, sondern Dinge, über die wir nachdenken. Wir werden nicht diverse Online-Dienstleistungen anbieten. Unser Projekt Weave ist eine Plattform zum sicheren Speichern solcher Informationen. Unsere Beispielanwendung ist ein Synchronisierungsdienst für Lesezeichen. Man kann über sein Weave-Login an jedem Firefox-Browser denselben Lesezeichensatz nutzen und bearbeiten. Möglicherweise wird Weave es Nutzern ermöglichen, diese Lesezeichen mit anderen zu teilen, zusammen zu verwalten, vielleicht auch nur einen Teil der Lesezeichen dafür freizugeben.
SPIEGEL ONLINE: Wenn dieser Versuch zu einem Teil von Firefox 3 wird, macht Mozilla Google Bookmarks Konkurrenz.
Baker: Sollte der Lesezeichen-Online-Ddienst Teil eines Produkts werden, steht der Mechanismus allen Entwicklern offen. Jeder kann auf dieser Basis seinen eigenen, besseren Dienst für Firefox-Browser entwickeln. Heute muss jede dieser Web-Anwendungen die Infrastruktur neu erfinden. Wir würden das Fundament allen Entwicklern anbieten.
SPIEGEL ONLINE: Was heute allen Web-Anwendungen fehlt, ist eine Standard-Offline-Unterstützung. Ohne Netzzugang kann man keine Google-Mails tippen, Textdokumente nicht im Web bearbeiten. Ist das eine Aufgabe für Browser?
Baker: Offline-Unterstützung wird eine Basisfunktion von Firefox 3 sein. Ob die Entwickler das für ihre Webanwendungen nutzen, wird man sehen.
SPIEGEL ONLINE: Sprechen sie mit Entwicklern großer Webanwendungen? Google? Adobe? Microsoft?
Baker: Wir sprechen mit Google und Adobe sehr viel über Offline-Unterstützung, arbeiten eng mit ihnen zusammen.
SPIEGEL ONLINE: Wobei beide Firmen auch eigene Plattformen entwickeln, um Web- und Desktop-Software zu verknüpfen. Es gibt Google Gears, es gibt Adobe AIR – wie passt da Ihr Projekt rein?
Baker: Mozilla bietet eine neutrale, für alle offene Plattform.
SPIEGEL ONLINE: Zugleich resultiert der größte Teil der Mozilla-Einnahmen aus einem Vertrag mit Google über die Aufteilung der durch Firefox-Suchanfragen erzielten Werbeerlöse. Ist das ein Problem?
Baker: Es ist etwas, worüber wir nachdenken. Wir haben über die Jahre viel Vermögen angespart. Manche Leute fragen uns, warum wir so große Rücklagen haben und sie nicht antasten. Nun – das ist auch ein Sparkonto, das unsere Unabhängigkeit sichert. Wenn bei den Einnahmen mal etwas schief laufen sollte, haben wir Zeit, um eine Lösung zu finden.
SPIEGEL ONLINE: Im November läuft Mozillas Vertrag mit Google endgültig aus. Wird es einen neuen geben?
Baker: Nun … (Pause) Ich kann dazu nichts Definitives sagen. Wir führen viele Gespräche, wir sind nicht nervös.
SPIEGEL ONLINE: Könnte ein Börsengang der Mozilla-Firma der Mozilla-Stiftung als Eigentümer nicht die finanzielle Unabhängigkeit geben, die Sie braucht?
Baker: Finanziell vielleicht. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ein Börsengang die Mozilla-Entwicklergemeinschaft, die aus Zehntausenden unbezahlter Freiwilliger besteht, zerstören würde.
SPIEGEL ONLINE: Also nie an die Börse?
Baker: Das war für Mozilla nie eine Option. Mozilla hat 150 bezahlte Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von 70 Millionen Dollar. Das klingt nach einer Menge. Wenn man sich aber den Firefox-Marktanteil ansieht, ist das lächerlich wenig. Aber es genügt – weil wir eine große Gemeinschaft freiwilliger Helfer haben. Ihre Kraft könnten wir selbst mit dem Geld aus einem Börsengang nicht bezahlen. So eine Gemeinschaft kann man nicht kaufen.