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Mozilla-Projekte: Wie Firefox das Internet aufbrezeln will (Spiegel Online, 15.2.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Mozilla-Projekte

Wie Firefox das Internet aufbrezeln will

Ein cooler Handy-Browser, Online-Speicher, Killer-Anwendungen für Büro und Privatleben: Mozilla plant einen Generalangriff auf Apple, Nokia und natürlich Microsoft. Firefox 3 wird zum Herzstück der Offensive – SPIEGEL ONLINE zeigt die Zukunft.

Spiegel Online, 15.2.2008

Der Erfolgs-Browser Firefox wird dicker. 6,5 Megabyte groß ist die neueste und letzte Beta-Version von Firefox 3 – etwas mehr als jene, die SPIEGEL ONLINE vor zwei Monaten getestet hat (mehr…). Gut 1300 Verbesserungen versprechen die Entwickler in ihren Notizen. Schneller, sicherer und stabiler sei Firefox 3 geworden. Tatsächlich bietet der neue Browser aber auch einige Innovationen jenseits des Tunings. Besonders interessant ist der Offline-Modus: Firefox 3 soll internet-basierte Anwendungen wie Google Mail oder Browser-Textverarbeitungsprogramme ausführen, als sei es herkömmliche Software, die zum Funktionieren kein Internet braucht. Sprich: Man tippt im Taxi seine E-Mails und Texte in Firefox ins System – und sobald der Rechner online ist, synchronisiert er die Dokumente mit dem Internet.

Doch das ist längst nicht die einzige Innovation. Tatsächlich planen die Entwickler der Firefox-Stiftung einen Generalangriff auf Google, Apple, Nokia – und natürlich Microsoft.

Das Projekt Browser-Erweiterung – so brezeln Mozilla-Entwickler Firefox zum Internet-Betriebssystem auf:

Firefox-Betriebssystem – Web-Anwendungen offline, neue Suche

Noch ist die Offline-Websoftware im Firefox Theorie. Mitchell Baker, Vorstandsvorsitzende der Firefox-Stiftung Mozilla, sagte SPIEGEL ONLINE: "Damit das funktioniert, müssen Browser und Web-Anwendungen den Offline-Modus unterstützen. Firefox 3 wird den Offline-Modus bieten – jetzt müssen wir sehen, was die Anbieter daraus machen." Laut Baker spricht Mozilla mit Google und Adobe über eine Offline-Unterstützung für deren kostenlose Webanwendungen.
Google bietet im Netz Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, RSS-Reader, Kalender und E-Mail. Adobe hat die Web-Textverarbeitung Buzzword gekauft und verspricht für dieses Jahr eine web-basierte Version der Bildbearbeitung Photoshop.

Eine echte Neuerung ist auch die Suchfunktion in der Adresszeile des neuen Firefox-Browsers: Man kann hier statt Internet-Adressen auch Schlagworte eintippen. Wenn die in der Beschreibung oder dem Titel einer einmal aufgerufenen Webseite standen, schlägt Firefox diese Treffer vor.

Beispiel: Vor ein paar Tagen hat man eine interessante Seite über Dachse gesehen, die Adresse nicht gespeichert. Statt nun mühsam in der Auflistung aller besuchten Seiten nach dem zu suchen, tippt man "Dachse" in die Firefox-Adresszeile – stand der Begriff im Seitentitel, schlägt Firefox die richtige Adresse vor. Diese Suche in der eigenen Surfgeschichte könnte Firefox 3 in Zukunft auf jedem Rechner bieten, an dem man sich mit seinem Firefox-Konto einloggt.

Weave – persönliche Online-Festplatte und Synchronmacher

Weave soll die Grenzen zwischen Desktop- und Web-basierten Programmen verwischen. Die Idee: Wer sich mit seinem Weave-Konto an irgendeinem Rechner auf der Welt mit Internet-Zugang und Firefox-Browser einloggt, hat sofort seine Lesezeichen und die Liste aller von ihm besuchten Webseiten zur Verfügung – und kann sie durchsuchen wie daheim. Außerdem deutete Mozilla-Chefin Mitchell Baker im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE die Möglichkeit an, dass Weave diese Informationen sicher auf Mozilla-Servern speichert:

  • abonnierte RSS-Feeds,
  • von Firefox gespeicherte Logins für Webseiten,
  • Profildaten (zum Beispiel Name, Adresse usw. als Ausfüllhilfe für Formulare),
  • persönliche Einstellungen.

Und alles, was man unterwegs verändert, ist auch auf jedem anderem Gerät mit Firefox-Browser verfügbar, wenn man sich anmeldet. Weave könnte die Browser auf dem Mobiltelefon, Laptop, Heim- und Bürocomputer immer auf demselben Stand halten.

Die Macher versprechen in ihrer Ankündigung mehr als einen simplen Lesezeichen-Synchronisierer. Weave soll es Entwicklern ermöglichen, "ihre eigenen Dienste einfach auf Basis standardisierter Werkzeuge aufzusetzen", "einige grundlegende Dienste von Mozilla anbieten" und Nutzern die Kontrolle darüber geben, "ob und wie sie ihre Daten mit Verwandten, Freunden und Dritten teilen".

Die erste öffentlich verfügbare Weave-Version ( 0.1) für den selbst noch in der Betaphase steckenden Firefox 3 synchronisiert Browsereinstellungen, Lesezeichen und abonnierte RSS-Feeds. Diese Daten speichert Mozilla verschlüsselt auf eigenen Servern – Weave-Nutzer müssen sich daher bei Mozilla registrieren.

Schon mit diesen ersten Diensten steht Weave im Wettbewerb mit vergleichbaren Diensten von Google und anderen Anbietern: Google Bookmarks, der Google Reader und die Firefox-Erweiterung Google Browser Synch leisten schon lange, was Weave in den Firefox-Browser integrieren soll. Einige Branchen-Beobachter beäugen Weave daher skeptisch. Das Branchenblog Techcrunch schreibt, Mozillas Vision sei es eindeutig, "das Betriebsystem des Internets zu werden, ganz ähnlich wie Windows das Betriebsystem für die meisten Desktops ist." Kein schmeichelhafter Vergleich.

Prism – Schreibtisch fürs Internet

Wer heute ein Textdokument von seinem Rechner mit einem Online-Office wie Google Documents bearbeiten will, muss sich umständlich durchklicken: erst sicherstellen, dass der Rechner online ist, dann einen Browser starten, dann die Google-Documents-Seite aufrufen, sich einloggen, das Dokument hochladen und schließlich bearbeiten. Mozillas Projekt Prism soll diese Hürden beseitigen.

Die ersten Vorab-Versionen von Prism sind schon jetzt für Macs, Linux und Windows verfügbar. Das Ziel der ersten, für 2008 erwarteten Fassung ist noch nicht allzu ambitioniert: Die Erweiterung soll web-basierte Programme so funktionieren lassen wie herkömmliche Desktop-Software. Sprich: Ein Angebot wie etwa Googles Web-Textverarbeitung läuft in eigenem Programmfester, mit eigenen Einstellungen, eigenem Startsymbol, unabhängig vom Webbrowser. Will man eine Datei bearbeiten, zieht man sie vom Desktop einfach ins Fenster.

Auf mittlere Sicht könnte Prism kompatible Web-Anwendungen auf Wunsch arbeiten lassen wie herkömmliche Programme. Sprich: Doppelklick auf das Textdokument auf der Festplatte, und schon öffnet Google Documents (oder welche Web-Textverarbeitung auch immer man voreingestellt hat) die Datei. Wenn Prism mit den Offline-Eigenschaften von Firefox 3 zusammenarbeitet und die Entwickler sich darauf einlassen, ist auch das denkbar: Man sitzt mit dem Laptop im Taxi, ohne Web-Anbindung, und tippt in eine Web-Textverarbeitung wie in traditionellen Desktop-Programmen. Eine echte Bedrohung für Microsoft.

Firefox Mobile – der neue Browser für unterwegs

Seit vier Monaten arbeitet ein Mozilla-Programmiererteam in Kopenhagen an einem Firefox-Browser für Mobiltelefone. Eine erste vollständige Programmversion soll noch 2008 erscheinen – "vielleicht schon in einigen Monaten", sagt Mozilla-Vorstandsvorsitzende Mitchell Baker im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. Man arbeite "eng" mit "mehreren Geräteherstellern" zusammen.
Für welche Plattformen der Mobil-Firefox zunächst erscheinen wird, will Baker nicht definitiv sagen, das könne sich noch ändern, ziemlich sicher werde man aber einen Browser für Geräte mit Windows Mobile und Symbian anbieten – und damit den internen Browsern von Nokia & Co Konkurrenz machen.

Mozilla lässt offen, ob es eine Firefox-Version für das iPhone geben wird. Sicher ist aber, dass eine Variante des Firefox-Handy-Browsers die Taststeuerung auf Geräten mit berührungsempfindlichen Displays unterstützen wird. Im Mozilla-Wiki kann man den Stand der Entwicklung mitverfolgen: Derzeit erinnert die Bedienung in einigen Punkten an Apples Version des Safari-Browser für iPhone und iPod Touch.

Wie beim Apple-Browser steuert man mit Pfeilen am unteren Bildschirmrand vor und zurück zwischen den bereits aufgerufenen Seiten. Und ähnlich wie bei Apples Unterwegs-Browser springt man in einer Übersichtsansicht zwischen mehreren offenen Browser-Tabs hin und her.

Die Verwaltung von Lesezeichen beim Mobil-Firefox erinnert an die Betaversionen des Firefox 3: Mit einem Klick auf ein Stern-Piktogramm neben der Adressleiste ruft man die Lesezeichen-Liste auf, mit einem Doppelklick fügt man die aktuelle Seite hinzu.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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