Zum Inhalt springen

Der deutsche Musikmarkt schrumpft nicht mehr

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen
Der deutsche Musikmarkt schrumpft nicht mehr

Download-Boom in Deutschland: 2011 war für die deutsche Musikbranche das beste Jahr seit langem. Das Digital-Wachstum kann die Verluste bei CD-Verkäufen fast ausgleichen. Ein Marktvergleich mit Schweden und den USA zeigt aber: Die radikalen Veränderungen kommen noch.

Spiegel Online, 19.4.2012

Zum ersten Mal in diesem Jahrtausend sind 2011 die Gesamtumsätze der Musikbranche in Deutschland nicht mehr geschrumpft. Das besagt zumindest die Jahresstatistik des Bundesverbands Musikindustrie.

Eine richtige Trendwende kann man aus den Zahlen nicht ablesen – das winzige Wachstum von 0,1 Prozent des Gesamtumsatzes verdankt die Branche gestiegenen Einnahmen aus Lizenzen für Musik in Fernsehen, Film und Werbung und – geschätzten – Umsatzsteigerungen bei den Leistungsschutzrechten, zum Beispiel für im Radio gespielte Aufnahmen.

Beim Verkauf von Musik lief es 2011 wie seit Jahren: Für CDs gaben die Kunden weniger Geld aus. Allerdings sind die Einnahmen voriges Jahr nicht mehr ganz so stark geschrumpft: 49 Millionen Euro Minus beim Tonträgerverkauf, 2010 waren es noch 117 Millionen Euro Verlust. Das Wachstum des Digital-Verkaufsumsatzes um 43 Millionen Euro hat die Verluste bei Tonträgern nicht ausgeglichen. 

Umsatzentwicklung Musikkaufmarkt in Deutschland (2004-2011)
Gesamt (Mio. Euro) digital (%) physisch (%)
2004 1753 0,74 99,26
2005 1747 1,72 98,28
2006 1706 4,81 95,19
2007 1652 5,33 94,67
2008 1623 8,87 91,13
2009 1575 10,98 89,02
2010 1489 13,70 86,30
2011 1483 16,66 83,34
Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V.; media control / GfK Panel Services / * inkl. Downloads à la carte, Mobile (Realtones, Ringbacktones), Aboservices, werbefinanzierte Streaming-Services, sonstigem Einkommen aus digitalen Geschäftsfelder

Mit Konzerten, Festivals und Musicals wurden einer Studie der GfK für den Bundesverband Veranstaltungswirtschaft zufolge 2009 gut 2,2 Milliarden Euro in Deutschland umgesetzt – aktuelle Zahlen für den Live-Markt als Ergänzung zu den neuen Daten zum Nicht-Live-Markt sind derzeit nicht öffentlich zugänglich.

Vergleicht man den deutschen Markt für Nicht-Live-Musik mit anderen Staaten, spricht einiges dafür, dass die großen Veränderungen noch anstehen. Der Anteil digitaler Musikverkäufe am Gesamtumsatz der Branche ist in Deutschland weit geringer als in den USA, Großbritannien oder Schweden. Die deutsche Musikbranche verdiente 2011 mit CD-Verkäufen mehr als mit allen anderen Produkten – gut eine Milliarde Euro, das ist das Vierfache der gesamten Digitaleinnahmen.

Wichtigste Formate bei Musikverkäufen in Deutschland (nach Umsatz)
Format Anteil Verkauf 2011 (%) Umsatz 2010 (Mio. Euro) Umsatz 2011 (Mio. Euro) Veränderung (%)
CD 74,04 1130 1098 -2,83
DVD/VHS 7,22 115 107 -6,96
Download-Bundles 7,89 91 117 28,57
Download-Singletracks 5,80 66 86 30,30
Streaming 1,75 25 26 4,00
Vinyl 0,94 12 14 16,67
Single 0,81 19 12 -36,84
“Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V.; media control / GfK Panel Services / * inkl. Downloads à la carte, Mobile (Realtones, Ringbacktones), Aboservices, werbefinanzierte Streaming-Services, sonstigem Einkommen aus digitalen Geschäftsfeldern”

Niemand bezweifelt, dass die CD-Umsätze weiter schrumpfen werden. Die interessante Frage ist, ob der Wandel in Deutschland so läuft wie in den Vereinigten Staaten, oder eher so wie in Schweden. Beide Staaten haben Musikmärkte mit den höchsten Digitalanteilen weltweit – gut 50 Prozent in den USA, 44 in Schweden. Doch der Gesamtumsatz mit Nicht-Live-Musik hat sich in beiden Staaten ganz unterschiedlich entwickelt: In Schweden war er 2011 fast so hoch wie 2007, in den USA schrumpfte er in dem Zeitraum um 28 Prozent.

Gesamtumsatz Musikmärkte weltweit 2007 – 2011
2007 (Mio. USD) 2011 (Mio. USD) Veränderung 2007-2011 (%) Digitalanteil 2011 (%)
USA 6112,6 4372,9 -28,46 50,6
Norwegen 141,3 115,1 -18,54 44,9
Schweden 156,1 155,3 -0,51 44,2
Großbritannien 1651,1 1433,7 -13,17 31,7
Japan 5285 4087,7 -22,65 22,1
Frankreich 1252,1 1002,2 -19,96 19,2
Finnland 90,8 72,2 -20,48 16,5
Deutschland 1591,1 1473,7 -7,38 15,3
Basis: Umsatz zu Handelsabgabepreisen in Dollar; physischer und digitaler Musikverkauf, Performance Rights, Synchronisation; Quelle: IFPI

Wird die Branche in Deutschland mit steigender Digitalquote so radikal schrumpfen wie in den USA, oder läuft es so wie in Schweden? Ein Grund für die erstaunliche Entwicklung in Skandinavien könnte der Erfolg des Flatrate-Streamingdienstes Spotify sein.

In Schweden wird die Kultur-Flatrate bald Realität

In Schweden machten Abo-Gebühren für Streamingdienste 2011 gut 82 Prozent des Digitalumsatzes der Musikbranche aus. In den USA hingegen ist der Abo-Anteil am Digitalumsatz gering – sechs Prozent 2011. In Deutschland ist er ähnlich winzig, obwohl Simfy seit Jahren eine Musikflatrate bietet. Die Abo-Quote in Schweden ist seit dem Start von Spotify 2008 kontinuierlich gestiegen. Wenn die Tonträger-Umsätze weiter sinken, könnte die Kulturflatrate in Schweden bald Realität sein – mit der Besonderheit, dass ein privates Unternehmen den Markt kontrolliert.

Inzwischen bietet in Deutschland neben Simfy und Spotify ein halbes Dutzend anderer Firmen Musik-Flatrates an. Ob die Pauschalangebote den Musikmarkt so umkrempeln wie in Schweden, ist aber keineswegs ausgemacht. Spotify verdankt schätzungsweise ein Viertel seiner Abo-Kunden in Schweden einer Partnerschaft mit dem Internetprovider Telia. In Frankreich (Abo-Anteil am Digitalmusikmarkt 23 Prozent 2011) ist es beim Flatrate-Marktführer Deezer ähnlich: Dort sind die meisten der gut 1,5 Millionen zahlenden Deezer-Nutzer tatsächlich Kunden des französischen Mobilfunkanbieters Orange, der die Musikflatrate als Teil bestimmter Paketangebote vertreibt.

Angesichts dieser Entwicklung erscheint es fraglich, ob Spotify, Deezer und all die anderen Flatrate-Dienste in Deutschland ohne Provider-Partnerschaften ähnlich erfolgreich werden wie in Schweden. Vielleicht kann das aggressive Marketing über Facebook die Vertriebsmacht der Provider ersetzen – das wird sich 2012 auf dem deutschen Markt für Digitalmusik zeigen. Spotify setzt auf Marketing per Facebook, über Provider und auf Partner wie Coca-Cola, die Spotify-Dienste in ihren Werbekampagnen nutzen werden. Wenn diese Strategie so aufgeht wie in Schweden, könnte Spotify den Markt für Digitalmusik ähnlich dominieren wie Facebook den für soziale Netzwerke.

Streamingdienste im Überblick
Angebot Spotify Simfy Napster Deezer Rdio Juke
Titel im Katalog 16 Mio. 16 Mio. 15 Mio. 13 Mio. 15 Mio. 15 Mio.
Browser nein ja ja ja ja ja
Player Desktop Windows, MacOS, Linux, iOS, Android, Blackberry Windows, MacOS, Linux, iOS, Android, Blackberry Windows / MacOS nein Windows / MacOS nein
Player Mobil iOS, Android, Blackberry, WP 7 iOS, Android, Blackberry iOS, Android iOS, Android, Blackberry iOS, Android, Blackberry, WP 7 iOS, Android
Offline-
Modus (Desktop)
ja (9,99 Euro) ja (9,99 Euro) ja ja (9,99 Euro im Monat, 1 Rechner) nein ja
Offline-
Modus (mobil)
ja (9,99 Euro) ja (9,99 Euro) ja (12,95 Euro) ja (9,99 Euro im Monat, 1 Gerät) ja (9,99 Euro im Monat) ja
Eigene Daten (Desktop) ja ja nein ja ja nein
Eigene Daten (mobil) ja (9,99 Euro im Monat) nein nein ja ja (9,99 Euro im Monat) nein
App-
Plattform
ja nein nein nein nein nein
Künstler-
Radio
ja ja nein ja ja nein
Bitrate 160 Kbit/s Dektop, 320 Kbit/s (99 % 9,99 Euro) 192 – 320 kBit/s 128 kbps (Streaming Dekstop) bis zu 320 kb/s bis zu 320 kb/s keine Information
Gratis werbe-
finanziert (sechs Monate unbegrenzt auf dem Desktop, welt-
weit begrenzt auf 10 Stunden nach sechs Monaten)
werbe-
finanziert (20 Stunden Streaming auf Desktop / per Browser, 5 Stunden nach zwei Monaten)
30 Sekunden zum Reinhören / Testversion 15 Tage Premium Testversion 7 Tage Unlimited nein
Bezahl-Angebot 1 4,99 Euro (unbe-
grenztes Streaming Desktop)
4,99 (unbe-
grenztes Streaming auf Desktop / per Browser)
7,95 (Streaming Desktop) 4,99 (Browser / Desktop), 9,99 (Mobil, Offline-Funktion) 4,99 (Browser / Desktop), 9,99 (Mobil, Offline-Funktion)
Bezahl-Angebot 2 9,99 Euro / Monat 9,99 Euro / Monat 12,95 (Desktop und Mobil) 9,99 (Mobil, Offline-Funktion) 9,99 (Mobil, Offline-Funktion) 9,99

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert