Der deutsche Musikmarkt schrumpft nicht mehr
Download-Boom in Deutschland: 2011 war für die deutsche Musikbranche das beste Jahr seit langem. Das Digital-Wachstum kann die Verluste bei CD-Verkäufen fast ausgleichen. Ein Marktvergleich mit Schweden und den USA zeigt aber: Die radikalen Veränderungen kommen noch.
Spiegel Online, 19.4.2012
Zum ersten Mal in diesem Jahrtausend sind 2011 die Gesamtumsätze der Musikbranche in Deutschland nicht mehr geschrumpft. Das besagt zumindest die Jahresstatistik des Bundesverbands Musikindustrie.
Eine richtige Trendwende kann man aus den Zahlen nicht ablesen – das winzige Wachstum von 0,1 Prozent des Gesamtumsatzes verdankt die Branche gestiegenen Einnahmen aus Lizenzen für Musik in Fernsehen, Film und Werbung und – geschätzten – Umsatzsteigerungen bei den Leistungsschutzrechten, zum Beispiel für im Radio gespielte Aufnahmen.
Beim Verkauf von Musik lief es 2011 wie seit Jahren: Für CDs gaben die Kunden weniger Geld aus. Allerdings sind die Einnahmen voriges Jahr nicht mehr ganz so stark geschrumpft: 49 Millionen Euro Minus beim Tonträgerverkauf, 2010 waren es noch 117 Millionen Euro Verlust. Das Wachstum des Digital-Verkaufsumsatzes um 43 Millionen Euro hat die Verluste bei Tonträgern nicht ausgeglichen.
Mit Konzerten, Festivals und Musicals wurden einer Studie der GfK für den Bundesverband Veranstaltungswirtschaft zufolge 2009 gut 2,2 Milliarden Euro in Deutschland umgesetzt – aktuelle Zahlen für den Live-Markt als Ergänzung zu den neuen Daten zum Nicht-Live-Markt sind derzeit nicht öffentlich zugänglich.
Vergleicht man den deutschen Markt für Nicht-Live-Musik mit anderen Staaten, spricht einiges dafür, dass die großen Veränderungen noch anstehen. Der Anteil digitaler Musikverkäufe am Gesamtumsatz der Branche ist in Deutschland weit geringer als in den USA, Großbritannien oder Schweden. Die deutsche Musikbranche verdiente 2011 mit CD-Verkäufen mehr als mit allen anderen Produkten – gut eine Milliarde Euro, das ist das Vierfache der gesamten Digitaleinnahmen.
Niemand bezweifelt, dass die CD-Umsätze weiter schrumpfen werden. Die interessante Frage ist, ob der Wandel in Deutschland so läuft wie in den Vereinigten Staaten, oder eher so wie in Schweden. Beide Staaten haben Musikmärkte mit den höchsten Digitalanteilen weltweit – gut 50 Prozent in den USA, 44 in Schweden. Doch der Gesamtumsatz mit Nicht-Live-Musik hat sich in beiden Staaten ganz unterschiedlich entwickelt: In Schweden war er 2011 fast so hoch wie 2007, in den USA schrumpfte er in dem Zeitraum um 28 Prozent.
Wird die Branche in Deutschland mit steigender Digitalquote so radikal schrumpfen wie in den USA, oder läuft es so wie in Schweden? Ein Grund für die erstaunliche Entwicklung in Skandinavien könnte der Erfolg des Flatrate-Streamingdienstes Spotify sein.
In Schweden wird die Kultur-Flatrate bald Realität
In Schweden machten Abo-Gebühren für Streamingdienste 2011 gut 82 Prozent des Digitalumsatzes der Musikbranche aus. In den USA hingegen ist der Abo-Anteil am Digitalumsatz gering – sechs Prozent 2011. In Deutschland ist er ähnlich winzig, obwohl Simfy seit Jahren eine Musikflatrate bietet. Die Abo-Quote in Schweden ist seit dem Start von Spotify 2008 kontinuierlich gestiegen. Wenn die Tonträger-Umsätze weiter sinken, könnte die Kulturflatrate in Schweden bald Realität sein – mit der Besonderheit, dass ein privates Unternehmen den Markt kontrolliert.
Inzwischen bietet in Deutschland neben Simfy und Spotify ein halbes Dutzend anderer Firmen Musik-Flatrates an. Ob die Pauschalangebote den Musikmarkt so umkrempeln wie in Schweden, ist aber keineswegs ausgemacht. Spotify verdankt schätzungsweise ein Viertel seiner Abo-Kunden in Schweden einer Partnerschaft mit dem Internetprovider Telia. In Frankreich (Abo-Anteil am Digitalmusikmarkt 23 Prozent 2011) ist es beim Flatrate-Marktführer Deezer ähnlich: Dort sind die meisten der gut 1,5 Millionen zahlenden Deezer-Nutzer tatsächlich Kunden des französischen Mobilfunkanbieters Orange, der die Musikflatrate als Teil bestimmter Paketangebote vertreibt.
Angesichts dieser Entwicklung erscheint es fraglich, ob Spotify, Deezer und all die anderen Flatrate-Dienste in Deutschland ohne Provider-Partnerschaften ähnlich erfolgreich werden wie in Schweden. Vielleicht kann das aggressive Marketing über Facebook die Vertriebsmacht der Provider ersetzen – das wird sich 2012 auf dem deutschen Markt für Digitalmusik zeigen. Spotify setzt auf Marketing per Facebook, über Provider und auf Partner wie Coca-Cola, die Spotify-Dienste in ihren Werbekampagnen nutzen werden. Wenn diese Strategie so aufgeht wie in Schweden, könnte Spotify den Markt für Digitalmusik ähnlich dominieren wie Facebook den für soziale Netzwerke.