Musikindustrie: Provider sollen Kunden überwachen, anschwärzen, abklemmen (Spiegel Online, 16.3.08)
Wunschzettel der Musikindustrie
Provider sollen Kunden überwachen, anschwärzen, abklemmen
Anwälte und Lobbyisten der Musikindustrie fordern weltweit die Aufsichtspflicht für Internet-Provider: Sie sollen kontrollieren, was ihre Kunden im Web tun. Wer Raubkopien anbietet, wird abgeklemmt. Nach Erfolgen in Japan und Frankreich will die Industrie nun den EU-Kontrollpakt.
Spiegel Online, 16.3.2008
Frankreich hat es vorgemacht: Wenn dort ein Internet-Provider zum dritten Mal einen Kunden beim Tauschen von Raubkopien im Web erwischt, wird der Übeltäter vom Netz abgeklemmt. So sieht es das Gesetz vor, das Präsident Nicolas Sarkozy für dieses Jahr angekündigt hat.Ein entsprechendes Abkommen haben der Staat, die Provider und Rechteinhaber in Frankreich schon unterzeichnet. Demnächst soll es weltweit so zugehen. Das will die Musikindustrie in diesem Jahr mit aller Macht durchsetzten. Ihr Weltverband IFPI stellt seinen aktuellen Jahresbericht 2008 unter dieses Motto: "2007 wurde die Provider-Verantwortlichkeit akzeptabel, 2008 muss sie Realität werden." Daran arbeiten die Anwälte und Lobbyisten der Musikindustrie gerade weltweit.
Aktuelle Beispiele der Kampagne für eine Kontrollpflicht der Provider:
- Musterklage: In Irland hat das oberste Zivilgericht vorige Woche eine Klage der vier großen Labels EMI, SonyBMG, Warner und Universal gegen den größten Internet-Provider Irlands Eircom zugelassen. Eircom hatte es zuvor abgelehnt, die Filter-Software "Audible Magic" einzusetzen – nun wollen die Musikkonzerne Eircom per Gerichtsentscheidung zum Filtern zwingen.
- Gesetz zur Auskunftspflicht: In Schweden haben am Freitag die Justiz- und die Kulturministerin eine gemeinsame Gesetzesinitiative angekündigt. Internet-Provider sollen demnächst verpflichtet sein, den jeweiligen Rechteinhabern Auskunft über Kunden zu geben, die in Tauschbörsen Raubkopien der entsprechenden Werke angeboten haben. Über einzelne Fälle sollen Gerichte auf Basis des neuen Gesetzes entscheiden.
- EU-Regulierung: IFPI-Geschäftsführer John Kennedy erklärt seinen Verbandsmitgliedern, nach dem Kontrollpakt in Frankreich sei nun die Zeit reif für eine EU-Regelung. Man arbeite daran. ( PDF) Das wird dauern. Erster Erfolg: Die EU-Kommission fragt das EU-Parlament und andere Gremien im Hinblick auf mögliche neue Regulierungsmaßnahmen zu ihrer Meinung über den Filterpakt: "Sind Sie der Ansicht, dass die jüngst in Frankreich unterzeichnete Vereinbarung ein Beispiel ist, dem gefolgt werden sollte?" Ja, antwortete am Freitag der deutsche Bundesrat in einer Stellungnahme ( PDF).
- Erzwungener Kontrollpakt: In Großbritannien hat die Regierung ein Gesetz für April 2009 angekündigt, das Provider zur Kooperation mit den Rechteinhabern verpflichten soll. Das ist die Peitsche. Das Zuckerbrot: Wenn sich Provider und Copyright-Halter einigen, soll es kein Gesetz geben.
- Freiwilliger Kontrollpakt: In manchen Staaten kommen die Internetprovider den Rechteinhabern entgegen – wohl auch angesichts der Drohungen, ansonsten stärker von Gerichten oder dem Gesetzgeber reguliert zu werden. In Japan haben die vier größten Internet-Provider-Verbände (vertreten zusammen etwa 1000 Provider) am Freitag angekündigt, von sich aus jene Kunden vom Netz zu trennen, die wiederholt Raubkopien in Tauschbörsen anbieten.
Die japanischen Provider nehmen sich in ihrer Selbstverpflichtung den
französischen Kontrollpakt zum Vorbild. Laut der Tageszeitung Yomiuri
Shimbun haben die Provider ein entsprechendes Abkommen mit
Rechteinhabern unterzeichnet. Der Mechanismus ist identisch: Eine
gemeinsame Organisation von Rechteinhaber und Providern soll die
IP-Adressen der in Tauschbörsen beim Upload von Raubkopien beobachten
Nutzer an die jeweiligen Provider weiterleiten.
Die Provider ordnen den IP-Adressen Kunden zu und verschicken erst
einmal eine Warn-E-Mail. Wer noch einmal beim Raubkopie-Tausch
beobachtet wird, dem soll für eine kurze Zeit der Internetzugang
gekappt werden. Wer dann noch weitertauscht, dem soll sein Provider den
Vertrag kündigen.
Deutsche Provider wettern gegen Musikindustrie
In Deutschland gibt es noch keine konkreten Prozesse und
Gesetzesvorschläge der Musikindustrie. Die droht den Providern nur
vage. Dieter Gorny, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes
Musikindustrie, kommentiert: "Während die Internetprovider von der
Musik- und Filmindustrie profitierten, entziehen sie sich beim Kampf
gegen die Internetpiraterie aber der Verantwortung."
Darauf reagiert der eco-Verband, der auch Provider vertritt, scharf.
Vorstand Oliver Süme sagte SPIEGEL ONLINE: " Provider sind keine
Internetkontrolleure. Sie können und sie dürfen nicht entscheiden, wem
welche Daten vorenthalten werden."
Vor allem ist die Filtertechnik bei weitem nicht perfekt. Von
Tauschbörsen benutzte Ports zu sperren, dürfte nicht praktikabel sein.
Denn zunehmend nutzen auch eindeutig legale Anbieter Dienste wie
Bittorrent zur schnellen, günstigen Verbreitung von Dateien. Auch die
Blockade einzelner Internetseiten – etwa der Verzeichnisse illegaler
wie legaler Tauschbörseninhalte in Katalogen wie Piratebay – ist
technisch anspruchsvoll.
Angesichts dieser technischen Herausforderungen ist der französische
Weg aus Sicht der Rechteinhaber der wohl gangbarste: Statt per Software
mühsam vorab zu filtern, überwacht man, wer was in Tauschbörsen tut und
versucht dann anhand der IP-Adressen gegen die Personen vorzugehen.
Nach diesem Prinzip läuft in Deutschland auch die Abmahnwelle gegen
Tauschbörsen-Nutzer.
Extrem-Tauschbörsennutzer kosten Geld
Abzuwarten bleibt, wie fest die Provider-Front gegen Kundensperren
bleibt, wenn die Musikindustrie den Druck erhöht. Schließlich sind
Extrem-Tauschbörsennutzer nicht unbedingt die attraktivsten Kunden für
Provider.
Laut dem IT-Onlinemagazin Heise.de, das auch eine große Datenbank mit
Internetstörungen verwaltet, klagen Tauschbörsennutzer bei mehreren
deutschen Providern über ausgebremste Download-Datenströme. Aktuell
sollen Kunden von "Kabel Deutschland" betroffen sein. Der Anbieter
1&1 hat Kunden, die sehr große Datenmengen saugten, eine Zeit lang
eine Prämie von 100 Euro angeboten, damit sie ihren Vertrag kündigen.
Extrem-Tauschbörsennutzer kosten die Provider ab einem bestimmten
Datenaufkommen offenbar mehr als sie einbringen. Nun ist es auch nicht
billig, die Überwachungs-Forderungen der Musikindustrie zu erfüllen.
Aber vielleicht gibt es bei der Kostenfrage einmal eine gütliche
Einigung zwischen Providern und Rechteinhabern.
Und wenn die Musikindustrie den Providern die Ermittlungsarbeit
abnimmt, könnten die Ergebnisse für einige Anbieter vielleicht eine
schöne Entschuldigung sein, ein paar teure Extrem-Nutzer loszuwerden.