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My fair KI (SPIEGEL online, 28.08.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

My fair KI

Ein Amerikaner lässt sich beim Internet-Chat regelmäßig von einer künstlichen Intelligenz vertreten – wenige bemerken, dass sie mit Software reden.

SPIEGEL online, 28.08.2000

Für eine gute Unterhaltung braucht man nichts weiter als einen alten Mac und ein halbwegs komplexes Perl-Programm. Aufgezeichnete Gespräche mit ahnungslosen Opfern von AOLiza, einer "KI" (Künstliche Intelligenz) -Software des Amerikaners Kevin Fox, beweisen das seit Mitte August. Fox war Beta-Tester für AOL und hat sich so den markanten "AOL"-Namen verdient. Nachteil: Viele Menschen vermuten dahinter fälschlicherweise einen Bekannten und bombardieren Fox über den AOL Instant Messenger (AIM) mit Botschaften, die eigentlich für andere bestimmt sind. Mit ihnen beginnt dann die AOLiza, ein so genannter Chatbot ("Schwatzroboter"), Gespräche.

Auf seiner Homepage veröffentlicht Fox anonymisierte Mitschriften dieser Unterhaltungen. Opfer Fünf wollte eigentlich nur ein paar Internetadressen zum Sporttauchen von einem Freund haben. AOLiza fragt ihn im Konversationsgeplänkel immer wieder: "Was willst du wirklich wissen?" und "Erzähl mir mehr darüber".

Nach einigen Versuchen, auf das Tauchthema zurückzukommen, bricht Fünf zusammen und erzählt von seiner Ex-Freundin: "Was meinst du? Ich dachte, ich bedeute ihr etwas, wir wären ein gutes Paar. Aber sie hat mich betrogen, sie hat mit mir gespielt."

Später erfährt AOLiza noch, dass Fünf seiner ehemaligen Beverley "alles" gab, sie ihn aber nach sieben oder acht Monaten für zu besitzergreifend hielt, dass er nicht ihr Typ war, dass sie sich von ihm trennte, dass sie eigentlich Freunde bleiben wollten, dass Beverleys neuer Freund dies aber verhindere.

Die Gesprächstechnik AOLizas ist recht einfach. Neben Phrasen ("Does talking about this bother you?") werden die Aussagen der Gesprächspartner zu psychoanalytisch angehauchten Fragen umformuliert: "Perhaps I already know you were late as usual they had already left?" – eine Technik, die Psychologen als "Paraphrasieren" bekannt ist.

Das hat sie mit ihren – meist simpel gestrickten – Kollegen gemeinsam, von denen einige im Netz zu testen sind: die sehr komplexe Alice, Jesus und zum Download ECC-Eliza. All diese Programme basieren auf dem ursprünglichen Programm Eliza des US-Professors Joseph Weizenbaum.

Als Name für seine Software wählte er als ironisches Zitat den der Heldin von "My Fair Lady", einer modernen Version von Pygmalions aus Elfenbein geschnitzter Jungfrau, die zum Leben erwacht. Weizenbaum lehrte von 1963 bis 1988 am renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) Informatik. Das Ur-Programm veröffentlichte er 1968 als Demonstration für maschinelle Sprachanalyse. Es parodiert gewissermaßen den Stil eines Psychiaters.

1977 schrieb Weizenbaum: "Kaum ein anderes Programm konnte so lebendig die Fähigkeit eines Computers zu Informationsverarbeitung einem Publikum demonstrieren, das nicht bereits über ein spezielleres Wissen – etwa in einem bestimmten mathematischen Bereich – verfügte."

Aber wie Weizenbaum feststellen musste, leistet das Programm weit mehr. Testpersonen wollten sich allein und ungestört mit Eliza unterhalten, die Protokollierung der Gespräche empfanden sie als Spionage. Ein Besorgnis erregendes Gespräch zwischen Eliza und einer jungen Frau druckte Weizenbaum in seinem 1976 erschienen "Computer Power and Human Reason" ab:

Junge Frau: "Meine Mutter kümmert sich um mich."
Eliza: "Wer noch in deiner Familie?"
Junge Frau: "Mein Vater."
Eliza: "Dein Vater."
Junge Frau: "Du bist in gewisser Weise wie er."
Eliza: "Welche Gemeinsamkeiten siehst du?"
Junge Frau: "Du bist nicht sehr aggressiv, aber ich denke, du willst nicht, dass ich das bemerke."

Weizenbaum entwickelte sich nach diesen Erfahrungen mit Eliza zum Kritiker Künstlicher Intelligenz. Nicht alles, was technisch möglich sei, solle auch getan werden.

Doch die Nachfahren von Eliza sind lebendiger als je zuvor. Schon in den Anfangstagen des Internets spielten sie eine Rolle. Mark HumphrysMGonz zum ersten Mal auf Netzchats los. Am 2. Mai 1989 unterhielt sich eine Person von der US-Universität Drake über 90 Minuten lang mit MGonz. Nach 13 Minuten erzählt sie stolz, "gestern" das letzte Mal Sex gehabt zu haben. Nach 24 Minuten gibt sie zerknirscht zu, es sei doch schon länger als 24 Stunden her. Nach 86 Minuten rastet sie aus und beschimpft MGonz: "Fuck you asshole". von der irischen Universität Dublin City ließ 1989 seinen Eliza-Nachfolger

Einige Wissenschaftler halten die Vermutung, dass Chatbots wohl irgendwann in naher Zukunft den Turing-Test bestehen, für nicht allzu abwegig. Der britische Mathematiker Alan Turing beschrieb 1950 in seinem Aufsatz "Computing Machinery and Intelligence" eine recht einfache Methode, Intelligenz und Bewusstsein zu testen: Wenn ein Computer bei der Kommunikation über ein Terminal glaubhaft machen kann, er sei ein Mensch, hat er bestanden. Turing rechnete damit, dass um die Jahrtausendwende ein Rechner bestehen würde.

Einen jährlichen Test für Chatbots veranstaltet seit 1990 der US-Soziologe Hugh Loebner mit der Stiftung The Cambridge Center for Behavioral Studies. Der Loebner-Preis für Künstliche Intelligenz verspricht dem Schöpfer des ersten Programms, dessen Antworten in einem freien Gespräch eine Jury aus Linguisten, Psychologen und Philosophen nicht von denen eines Menschen unterscheiden kann, 100.000 Dollar Preisgeld und eine Goldmedaille.

Manche Experten kritisieren die Programme als effekthascherisch, da sie nicht wirklich an einer "KI" arbeiten, sondern sich zum Teil mehr auf die Einfütterung aktuellen Gesprächsstoffes verlassen: Das Prinzip des Paraphrasierens setzt ein "Verständnis" der grammatikalischen Struktur des Fragesatzes voraus, nicht jedoch ein Verständnis des Satz-Sinnes.

Noch hat die Loebner-Goldmedaille niemand gewonnen. Zehnmal wurden Bronzemedaille und 2000 Dollar verliehen. Seit 1998 gibt es aber schon den Blurring Test der gemeinnützigen Organisation Web Lab. Es ist eine Art umgedrehte Turing-Prüfung für Menschen. Chatbot Mr Mind fragt beim Test seine Programmiererin: "Überzeug mich, zeig mir, dass du mehr bist als die Summe deines Codes". 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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