Nachhilfe für die Musikindustrie: So sollten erfolgreiche Musikdienste aussehen (Spon, 27.2.2009)
Nachhilfe für die Musikindustrie
So sollten erfolgreiche Musikdienste aussehen
Legale Musikdienste wie Spotify bieten eine Angebotsvielfalt, die es so noch nie gab – und auch nicht überall gibt. Denn die Lizenzpolitik der Labels sorgt dafür, dass das, was Nutzer in einem Land begeistert, sie in einem anderen nur frustriert. Wir zeigen, wie sich Kunden Musik wünschen würden.
Spiegel Online, 27.2.2009
Ein Zufall, aber ein symbolträchtiger: In Stockholm läuft gerade der Strafprozess gegen die Betreiber der Torrent-Suchmaschine Pirate Bay mit starkem Medienecho und reger Beteiligung der Musikindustrie. Knapp zwei Kilometer westlich vom Amtsgericht entwickeln in einem Bürogebäude eine Handvoll Programmierer ein verblüffendes Online-Musikangebot. Und kaum jemand merkt’s.
Spotify heißt der schwedische Dienst, den man auch in Deutschland nutzen kann.
Bei dem Streaming-Angebot kann man für zehn Euro im Monat, einen Euro am Tag oder kostenfrei mit Werbeeinblendungen den gesamten Musikkatalog hören – auf beliebig vielen Computern, ohne Einschränkung. Das ist in dieser Kombination einzigartig (siehe Kasten unten).
ONLINE-MUSIK: WAS AN SPOTIFY INNOVATIV IST
- Angebot: Es überraschend groß – alle großen (Universal, Sony BMG, EMI, Warner, viele kleinere Label.
- Design: Die Spotify-Software (Mac und Windows) ist schlank, schnell und sehr
einfach in Google-Logik zu bedienen: Man tippt in ein Suchfeld
Künstler, Songtitel und den Namen eines Albums ein, sieht sofort eine
Auswahl an Treffern aus dem Katalog und ist mit einem Klick auf der
Seite mit allen Sucherergebnissen zu einem Künstler. Zur
Suchmaschinenlogik gehören auch Vorwärts- und Zurückknöpfe und eine
History, die alle gespielten und noch zu spielenden Stücke anzeigt. Die
Oberfläche ist sehr reduziert und sehr angenehm zu bedienen – das
Google-Gefühl - Geschwindigkeit: Obwohl Spotify die Musik streamt, gab es beim Selbstversuch keine
Verzögerung. Ein Klick und man hört sofort, was man hören will oder
springt an die Stelle des Songs, die man auswählt. Das geht meist sogar
schneller als bei der lokalen iTunes-Bibliothek auf dem Mac. Denn
Spotify streamt nicht nur von seinen Servern, sondern nutzt zudem auch
die Rechner der Kunden für eine Peer-to-Peer-Infrastruktur. - Freiheit: Anders als etwa LastFM folgt Spotify nicht der Radio-, sondern der
iTunes-Logik: Man kann hören, was, wann, an welcher Stelle und in
welcher Reihenfolge man will. Und: Man kann mit seinem Zugang auf
beliebig vielen Rechnern Musik hören - Playlisten: Spotify-Nutzer können in beliebig vielen Abspiellisten Songs sammeln.
Die sind mit dem eigenen Login dann auf jedem Rechner mit
Spotify-Software verfügbar und sie lassen sich einfach per
Drag-and-Drop ex- und importieren, veröffentlichen, weitermailen. Denn
eine Playlist ist nur ein Link zum Spotfiy-Server.
So muss ein Streaming-Angebot aussehen: Umfassendes Angebot,
kinderleichte Bedienung, schlanke, schnelle Software, einfache
Preismodelle mit einem werbefinanzierten Gratisangebot zum Anfixen.
Allein: Spotify ist nicht perfekt. Idee, Design und Programmierung sind
genial, doch wer das Angebot ein paar Tage lang testet, merkt, dass die
Lizenzpolitik der Musiklabels einen großen Erfolg wohl verhindern
dürfte. Was bei Spotify nicht funktioniert, ist symptomatisch für den
gesamten Online-Musikvertrieb.
Zehn Jahre nach Napster hat die Musikindustrie das Web noch immer
nicht begriffen. SPIEGEL ONLINE beschreibt die vier größten Fehler am
Beispiel Spotify.
Nationales Lizenzchaos behindert innovative Angebote
Das Geschäftsmodell von Spotify sieht eigentlich so aus: Als
Lockangebot gibt es eine Kostenlosversion, bei der regelmäßig Werbung
eingespielt wird. Wie das werbefreie Premiumangebot aussieht, kann man
mit einer Tagesflatrate für einen Euro testen, ein Abo gibt es für zehn
Euro im Monat oder 100 Euro im Jahr.
Deutsche Kunden können Spotify allerdings nicht in der Gratis- oder
Tagesvariante testen. Diese Angebote sind, so die Spotify-Mitteilung,
"wegen Lizenzeinschränkungen in Ihrem Staat leider nicht verfügbar".
Das könnte eine Schutzbehauptung sein, weil Spotify sich noch
nicht mit dem Anzeigenvertrieb in Deutschland übernehmen will. Aber
wahrscheinlich sind die Dinge tatsächlich so absurd, wie es in der
Mitteilung steht: Die Musikfirmen schreiben einem internationalen
Musikdienst Land für Land vor, was sie wie vertreiben dürfen.
Schließlich gibt es die Gratisversion von Spotify ja zum Beispiel schon
in Schweden, Großbritannien und Spanien.
Dieses nationale Lizenzchaos ist ein Relikt aus der Zeit ohne
Internet. Wenn Kaufmusik eine Chance gegen das internationale
Raubkopieangebot haben soll, muss die Musikindustrie schleunigst die
Länderlizenzen abschaffen, so schwierig das auch sein mag. Denn
offensichtlich schaffen es nur Start-ups wie Spotify, überzeugende
Online-Angebote zu gestalten.
Damit solche Angebote auch nur den Hauch einer Chance haben,
genügend zahlende Kunden zu finden, müssen sie eine möglichst große
Zielgruppe erreichen. Für jeden europäischen Staat eigene Lizenzen
auszuhandeln und dann für jede Region die dort zugelassenen
Vertriebmodelle umzusetzen, dürfte gerade für Start-ups eine erhebliche
Hürde sein. Mit solchen Hindernissen, die wenigen Anbieter zu bremsen,
die dem illegalen Gratisangebot der Tauschbörsen Konkurrenz machen, ist
Schwachsinn.
Diese Erkenntnis setzt sich zurzeit auch bei der Europäischen
Kommission durch: Viviane Reding, die Kommissarin für die
Informationsgesellschaft und Medienwirtschaft, drängt die
Copyright-Branchen, endlich ein europäisches Lizenzierungswesen zu
schaffen. Bisher müssen Lizenzen in jeder Region aufs neue zwischen
Urhebern, Verlagen, Vertrieben und Verwertungsgesellschaften verhandelt
werden. Das Resultat kennen Internet-Nutzer nur zu gut: Bei fast allen
attraktiven Multimedia-Diensten aus Übersee heißt es "Wir müssen
draußen bleiben".
Legale Online-Musik ist das digitale Mikronesien
Es könnte so einfach sein bei einem Dienst wie Spotify: Man zahlt
100 Euro im Jahr und hört – Internet-Flatrate vorausgesetzt – zu Hause,
im Büro oder bei Freunden, was immer man hören will. Legal, sofort,
ohne nervenraubende Suche, Synchronisation und mit einer immer wieder
überraschend großen Auswahl auch kleiner deutscher Labels wie zum
Beispiel Audiolith.
Aber natürlich
funktioniert es so nicht. Gerade einmal zwei Oasis-Songs kann man in
Deutschland bei Spotify hören, gar nichts von Poni Hoax oder
WhoMadeWho. Das dürfte daran liegen, dass die legale Online-Musikszene
heute immer noch an eine digitalen Version der Föderierten Staaten von
Mikronesien erinnert. Dieser Staat besteht aus ungefähr 2000 Inseln –
und ungefähr genauso unüberschaubar dürfte das Lizenzangebot für
Digitalmusik sein.
Wie kompliziert es ist, ein vollständiges und legales
Online-Musikangebot zu vertreiben, veranschaulicht Spotify. Ende Januar
schrumpfte der Musikkatalog plötzlich. Warum, erklärt Community-Manager
Andres Sehr im Firmenblog
so: "Leider müssen wir einige Songs aus unserem Katalog entfernen und
andere auf bestimmte Staaten beschränken, was sie für einige Nutzer
unabspielbar machen dürfte. Das ist nötig, um alle Einschränkungen
umzusetzen, die unsere Lizenzverträge mit den Labels vorsehen."
Wie zersplittert das digitale Musik-Angebot ist, merkt jeder, der
Songs einer bestimmten Band sucht. Bei iTunes findet man fast alles –
zum Kaufen und Downloaden. Bei Streaming-Angeboten sieht es schon
anders aus. Ein paar willkürlich ausgewählte Beispiele:
- Niels Frevert: nichts bei Spotify, sechs Songs bei LastFM, drei bei MySpace
- Mediengruppe Telekommander: 42 Songs bei Spotify, vier bei LastFM, sechs bei MySpace
- WhoMadeWho: 30-Sekunden-Schnipsel bei LastFM, nichts bei Spotify, sechs Songs auf MySpace
Natürlich ist es verständlich, dass Plattenfirmen die Kontrolle
darüber haben wollen, wo und zu welchem Preis was zu hören ist.
Allerdings muss man sich bewusst machen, dass die Konkurrenz zu diesen
zersplitterten legalen Angeboten so aussieht: Über eine Suchmaschine
wie Pirate Bay findet man in Sekunden Raubkopien so gut wie jedes Songs
oder Albums.
Solange man bei Flatrate-Angeboten wie Spotify jeden zweiten Tag
eine Lücke (die es im Nachbarland vielleicht gar nicht gibt) entdeckt,
die man nur per iTunes-Download schließen kann, wird kaum jemand Geld
für eine Musikflatrate zahlen. Solange es nicht so etwas wie eine
Globallizenz aller Verwerter für alle Inhalte gibt, wird es auch keine
echte Musik-Flatrate geben.
Je undurchsichtiger das Angebot, desto geringer die Bereitschaft der
Kunden, eine Pauschale zu bezahlen. Wenn man wie heute erst als
Abonnent beim Suchen merkt, wofür man eigentlich bezahlt hat und was
man dann doch noch extra anderswo kaufen muss, fühlt sich der Kunde bei
jedem Nicht-Treffer ein wenig betroffen. Das frustriert.
Keine Transparenz, was wo legal zu haben ist
Wenn es die Musikindustrie schon nicht schafft, so etwas wie eine
Globallizenz für legale Online-Musikangebote zu schaffen (was man zehn
Jahre nach dem Ur-Napster eigentlich erwarten könnte), muss zumindest
eine Suchmaschine möglich sein. So eine Art legales Pirate Bay, wo man
Künstler, Songtitel oder Albennamen eintippt und Links zu allen legalen
Quellen aufgelistet bekommt.
Wer darauf besteht,
für jeden Künstler und jeden Staat auf diesem Planeten unterschiedliche
Lizenzen zu verkaufen, könnte doch zumindest die Verteilung transparent
machen. Das ist sicher naiv und utopisch, aber angesichts der illegalen
Konkurrenz unabdingbar. Kostenpflichtige oder werbefinanzierte
Musikangebote haben nur eine Chance, wenn sie einfacher zu finden sind
als die kostenlose Raubkopie über eine Suchmaschine wie Pirate Bay.
Die Suchfunktionalität bei legaler Online-Musik ist heute gefühlt
auf dem Entwicklungsstand des Internets anno 1990 – der Zeit vor Yahoo
und Google.
Nutzer sind nicht Herr über ihre Nutzungsdaten
Google hat es erkannt und Facebook vorgemacht: Wenn soziale
Netzwerke es ihren Mitgliedern ermöglichen, ihre Daten (Freunde,
Kommentare, Vorlieben und Bewertungen) auch bei anderen Anbietern zu
nutzen, steigt die Anziehungskraft. Wenn man es dann noch Entwicklern
ermöglicht, diese Daten über eine Schnittstelle und offene Standards
für eigene Anwendungen zu nutzen, wächst die Nutzung eines Netzwerks
rasant.
Aus dieser
Entwicklung haben die Anbieter von Online-Musik nichts gelernt. Wer
viel Musik hört, kommt nicht umhin, in iTunes, auf LastFM, bei Spotify
und vielleicht noch ein paar anderen obskuren Diensten Playlisten und
Lieblingslieder zu haben.
Vernetzen, übertragen, synchronisieren kann man all die
Entdeckungen und Vorlieben kaum. iTunes-Favoriten oder Abspiellisten
bei LastFM oder Spotify importieren? Spotify-Playlists bei iTunes oder
LastFM einbinden? Alle Nutzungsgewohnheiten an einem Ort im Web
sammeln, vielleicht sogar mit einem Hinweis darauf, wo man diesen
wunderbaren Song nun eigentlich gehört hat und hören kann? Unmöglich.
Das muss man natürlich den Online-Anbietern anlasten. Es ist absurd,
dass LastFM es zum Beispiel bis heute nicht geschafft hat, dass man
über sein Adressbuch bei Google Mail oder Facebook Freunde auf LastFM
finden kann. Dabei ist gerade LastFM wie kein anderer
Online-Musik-Anbieter auf die Schwarmintelligenz und Vernetzung der
Mitglieder angewiesen.
Andererseits hätte gerade die Musikindustrie ein Interesse an einem
offenen Standard zur Übertragung von Nutzungsdaten zwischen den
unterschiedlichen Anbietern von Online-Musik. Und die Musikindustrie
hätte das ideale Druckmittel zur Durchsetzung eines solchen Standards:
Wenn man Anbieter dazu zwingen kann, in Norwegen andere Songs in
anderen Preismodellen zu verkaufen als in Deutschland, wäre es wohl ein
leichtes, bei Lizenzverträgen nebenbei einen offenen Standard
durchzusetzen wie es Google zum Beispiel mit Opensocial versucht.
Nur ist auf diese Idee offenbar bislang niemand gekommen.
Fazit – Online-Musik als Web 0.1
Das ist ein Unding: Zehn Jahre, nachdem Napster wohl jedem
klargemacht hat, wie die Konkurrenz legaler Angebote aussieht (gratis
und überall mit ein paar Mausklicks verfügbar) ist der Vertrieb von
Online-Musik auf diesem Stand: Es gibt kein legales Gegenstück zu
Suchmaschinen wie Pirate Bay, es gibt kein Gegenstück zu Standards wie
Opensocial, es gibt aber Hunderte nationaler Lizenzen, Lizenzgeber und
Lizenznehmer ohne zentrale Clearingstelle. Web 0.1 also.