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Netter Schottenrock (Zeitung zum Sonntag, 18.5.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Netter Schottenrock

Thomas Gottschalk wird 50. Und begeistert noch immer junge, alte, gebildete und weniger gebildete. Warum?

Zeitung zum Sonntag, 18.5.2000

Thomas Gottschalk ist „Wetten, dass…?“ und „Wetten, dass…?“ ist Thomas Gottschalk. Was den blondbelockten Plapper-König einzigartig macht, wird klar, schaut man sich die erste „Wetten, dass..?“ Folge an. Damals, vor knapp zwei Jahrzehnten brauchte Frank Elstner eine geschlagene Stunde um in Grundschullehrermanier die Spielregeln zu dozieren. Als dann der halbblinde Stargast Curd Jürgens einen Armbrustpfeil neben die Zielscheibe schoss, rief er „Treffer“.

Bei Gottschalk kommt es nicht auf die Regeln an. Er ist keine Autorität und er ist nicht autoritätsfürchtig. Die letzte „Wetten, dass…?“ Sendung vor der diesjährigen Sommerpause moderierte er im Schottenrock. Modedesignerin Vivienne Westwood hatte ihm dazu noch ein dunkles Jackett kreiert – mit Schlitzen unter den Achseln. Noch während der Sendung riefen Hunderte an und wiesen auf das zerrissene Jackett hin.

Gottschalk ist nicht nur ein Clown. Vor allem ist er mutig, selbstironisch und sehr locker. Er muss aich nicht verstellen wie ein Frank Elstner: „Am Samstag um 20.15 Uhr komme ich raus, verneige mich, und die Leute wissen: So isser. Und sie haben recht. Ich bin tatsächlich so.“ Das macht es ihm so leicht mit den größten Stars zu menscheln, bei denen ein Frank Elstern vor Ehrfurcht im Boden versinken würde.

Und noch einen Vorteil hat Gottschalk: Es mit Popkultur groß geworden und er ist Teil von ihr. Deutlich wurde das, als er die britische Rocklegende „Deep Purple“ zu Gast hatte. Nachdem die zum hunderttausendsten Mal „Smoke on the water“ zum besten gaben, fragte sie Gottschalk nicht etwa langweilige Fragen nach neuer Platte oder ähnlichem. Nein, er erzählte, wie bei ihrem Münchener Konzert 1972 der Organist Jon Lord ihm fast seine spätere Frau Thea ausgespannt hätte. „I won“, grinste er dann.

Aber Gottschalk ist auch kein Rebell. Gern wird er Lausbube genannt, doch in Wirklichkeit ist er ein verschmitztes Kerlchen, über das selbst die Oma gern lacht. Stefan Raab hat das auf den Punkt gebracht, als Gottschalk ihn einmal als seinen Nachfolger ins Spiel brachte: „Ich bin noch nicht so weit und alt, dass ich zu allen nett sein kann, wie es Gottschalks Aufgabe seit vielen Jahren ist.“ Das ist sie. Höhnisch goss das „Die Woche“ einmal in die ewigen Worte: „Für die Herstellung des allgemeinen Konsenses ist Helmut Kohl ersetzbar, Thomas Gottschalk nicht“.

In der Tat ist Gottschalk fast schon konfliktscheu. Das war einer der Gründe, warum seine tägliche Late- Night Show bei RTL 1992/1993 scheiterte. Harald Schmidts tabuloser Humor schlug später wie eine Bombe ein. Late Night muss fies und hart sein. Wie der Amerikaner David Letterman, aus dessen Show die hochtoupierte Nastassja Kinski weinend floh, als er sie fragte: „Sag mal, nistet `ne Eule auf deinem Kopf?“. So etwas würde Gottschalk nie machen. In seiner Late-Night Show war VW-Chef Piech eingeladen. Damals liefen Ermittlungen gegen seinen Vorständler Lopez. Gottschalk kam nicht drauf zu sprechen. „Wunderbar, völlig in Ordnung“ sei Piech. Gottschalk der verrückte, aber liebe und nette Junge von nebenan.

Was nicht heißt, dass ihn harte Fragen vom Kopf her überfordern würden. Dem „Spiegel“ verriet er mal in einem langen Interview seine persönliche Fernsehutopie: „Da gibt es die kommerzielle Unterhaltungsmaschine: Dummtalk, Gameshow, Klatsch und Seicht-Reportagen. Dazwischen Werbung, Werbung, Webung. Dazu im bewussten Gegensatz das gebührenfinanzierte, werbefreie öffentlich-rechtliche System, ohne Quotenverpflichtung, aber mit Niveau.“ Hier wird klar, dass Gottschalk ein Mensch mit Idealen ist. Jemand, dem an Menschen liegt – wie hätte er sonst auf Lehramt studieren können. Und wenn er schon den Gute-Laune Mann mimt, dann wenigstens so, dass alle ihn mögen. Ohne Fiesigkeiten a la Raab. Nur einmal ist aus Gottschalk herausgebrochen, in Helmut Dietls Film „Late Show“. Da spielte er einen Moderator, der anfing zu brüllen: „Fernsehen macht krank, blind und blöd! Und zwar alle: die, die zuschauen, und die, die’s machen. Fernsehen ist Scheiße! Scheiße! Scheiße!“ Zumindest er selbst ist noch nicht betroffen.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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