Netz-Humor: Tragische Torten, komische Eltern (Spiegel Online, 30.09.2009)
Netz-Humor
Tragische Torten, komische Eltern
Geklonte Plastikbabys schmücken Torten. Hasen singen Loblieder auf die Wirbelsäule. Coole Eltern posieren in Frottee-Unterhemden: Das Web ist eine großartige Quelle abseitigen Humors. Und gute Gags müssen nicht gehässig sein – SPIEGEL ONLINE zeigt die besten Witzseiten ohne Häme.
Spiegel Online, 30.09.2009
Katzen und kaputte Hosen – das sind die erfolgreichsten Rezepte für Witzeseiten im Web. Schadenfreude und süße Tiere mit kruden Sprüchen hat das Seitenkonglomerat namens Pet Holdings als Geschäftsmodell perfektioniert: Menschen laden Fotos hoch, pappen mit einem Webeditor halbwegs lustige Sprüche drauf und fertig ist der schnelle, schmutzige und gratis nutzergenerierte Witz im Web. Und bei den Videos stürzender Radfahrer braucht man nicht einmal einen Text.
Doch es geht auch subtiler – und abseitiger: Der britische Komiker Joel Veitch produziert Musikvideos, in denen Hasen Loblieder auf die Wirbelsäule singen, Jennifer Yates sammelt Fotos bizarrer Torten und zwei New Yorker kaufen kiloweise alte VHS-Bänder, um die merkwürdigsten Aufnahmen der achtziger Jahre zu entdecken. Ihre Filme sind witzig – aber statt Häme schwingt hier etwas Wehmut mit.
Fiese Torten, singende Hasen und VHS-Kontaktanzeigen – SPIEGEL ONLINE zeigt die lustigsten Seiten mit subtilem Humor im Netz:
Cakewrecks.com – Babys reiten auf Karotten
Jennifer und John Yates aus Orlando sind ein Nerd-Traumpaar: Sie sammelt Star-Trek-Taschenbücher, er zimmert ihr ein Regal dafür und beide interessieren sich für merkwürdige Dinge (Langbögen, Zitate aus Achtziger-Jahre-Filmen). Da ist es nicht besonders überraschend, dass John seiner Frau vor zwei Jahren zu Weihnachten einen Torten-Deko-Kurs schenkte, den beide vier Monate lang absolvierten. Heraus gekommen sind viele Torten und das CakeWreck-Blog, eine Sammlung schlechter Vorbilder für Torten-Verzierer.
Im Mai 2008 startete Yates nebenbei ihren Tortenwrack-Blog – inzwischen ist die Seite so erfolgreich, dass ein Verlag einen Tortenwrack-Bildband veröffentlicht. “Cake Wrecks” ist in den USA im September erschienen.
Was ein Tortenwrack ausmacht, definierte Yates in einem Interview so: “Eine Torte, die seltsam, unangemessen, albern, sonderbar oder tragisch ist.” Zum Beispiel die Babys-auf-Gemüse-Torte. Yates: “Diese Torte ist so beunruhigend. Die geklonten Plastikbabys tragen nichts als Irokesen-Schnitte, was schlimm genug wäre – aber sie reiten auch noch auf Möhren! (…) Welcher Anlass verlangt nach einer Nackte-Babys-auf-Möhren-Torte? Vielleicht will ich das gar nicht wissen.”
Rathergood.com – Ein Hoch auf die Wirbelsäule!
Die besten von Veitchs Filmen haben eingängige Melodien und Textzeilen. Wie zum Beispiel der “Spine Song”, ein Hoch auf die Wirbelsäule, gesunden von einem Hasen in Jeans und beigefarbenem Grobstrickpulli, begleitet von zwei kleinen weißen Kaninchen, die mit Knochen auf einem Brustkorb trommeln.
Der Refrain: “Eveything in life is fine – when you’re constructed with a spine” , sinngemäß: Das Leben ist wunderbar, wenn man eine Wirbelsäule hat. Der singende Hase verspottet Schnecken (“Dumm und schleimig – hättest wohl auch gern eine Wirbelsäule!”) und erklärt, dass Bäume keine Wirbelsäulen haben, obgleich ihre Form der der Giraffen ähnelt.
Sein Gespür für absurde, aber dann doch wunderbar passende Musikvideo-Remixe beweist Veitch mit “Fat Man Can”, einer Art YouTube-Kommentar-Musical: Veitch hat einen (nicht ganz ernst gemeinten) Schimpf-Clip eines US-Videobloggers neu geschnitten und mit Jacques Offenbachs “Can Can”-Melodie unterlegt. Das Ergebnis dürfte ähnlich viele Schimpfworte pro Minute aufweisen wie die mitunter hitzigen Kommentare zu YouTube-Videos. Wichtiger Unterschied: Veitchs Version klingt viel freundlicher.
Coole Eltern in Frottee-Unterhemden
My Parents Were Awesome ist kein Lach-, sondern ein Lächel-Blog. Das ist sehr sympathisch: Statt sich über die ach so merkwürdigen Klamotten und Frisuren vergangener Jahrzehnte lustig zu machen, zeigt der anonyme Autor (angeblich ein Mitarbeiter des AOL-Blogs Urlesque) von Lesern eingeschickte Fotos aus einer anderen Zeit (siehe oben). Der Grundton ist wehmütig, aber nicht nostalgisch: “Bevor sie Bauchtaschen trugen und zu Andrea-Bocelli-Konzerten gingen, waren deine Eltern (und Großeltern) einst frei, hipp und überhaupt großartig.”
Trotzdem sind gestreifte Frottee-Unterhemden heute unterhaltsam anzuschauen.
Bist du die Göttin?
Die New Yorker Joe Pickett und Nick Prueher kaufen bei Haushaltsauflösungen, in Ramschläden und auf Flohmärkten kistenweise alte VHS-Kassetten. Sie sichten das Material, schneiden die lustigsten Szenen zu einer Show zusammen, verkaufen DVDs und touren mit Live-Präsentationen als “Found Footage Festival” (sinngemäß: gefundenes Videomaterial) durchs Land.
Video Dating – Found Footage Festival
Die achtziger Jahre nennt Pickett in einem Interview mit dem Lokalblog Houstonist die “goldene Ära der VHS-Videos”. Damals entstanden (rückblickend) aberwitzige Verkaufsshows und – glaubt man Pickett und Prueher – auch diese Video-Kontaktanzeigen. Sie sollen aus dem Jahr 1987 stammen – von einem US-Dienst namens Videomate. Schauspieler David Cross habe ihnen den Mitschnitt gegeben.
Die Figuren und Sprüche (“Bist du die Göttin?”) in diesem Clip sind so seltsam, dass viele Zuschauer einen Fake vermuten. Aber ganz gleich, ob die Aufnahmen tatsächlich vor 22 Jahren gemacht wurden oder nicht – die (unfreiwillige?) Komik ist enorm.
Itmademyday.com – Der Spruch des Tages
It made my day – diesen Spruch kann man schlecht übersetzen, sinngemäß sagt man damit begeistert so etwas wie: “Das war der Höhepunkt meines Tages” – nur klingt es deutlich lockerer. Das It-made-my-day-Blog (IMMD) sammelt die kleinen Geschichten, die Menschen den Tag versüßen.
Das Besondere an der Seite: Statt auf schnell geknipste Fotos zu setzen, veröffentlicht IMMD nur Kürzestgeschichten. Unter den meist nur wenige Sätze langen Beiträgen liest man immer wieder gelungene Alltagsminiaturen. Zum Beispiel: “Gestern rief ich meine Oma an, um zu fragen, wie lange Huhn sich hält. Sie sagte, ich solle das googeln.”