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Netz-Regulierung: Es geht um mehr als Googles Suchmaschine (Spiegel Online, 23.7.2011)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Netz-Regulierung

Es geht um mehr als Googles Suchmaschine

Man kann doch nicht das Googeln verbieten – so wehren reaktionäre Netzbewahrer Ideen für eine Regulierung des Quasi-Monopols ab. Doch es geht um mehr als die Web-Suche: Wollen wir, dass ein Unternehmen Zugang, Inhalte und Infrastruktur im Web anbietet – und die Nutzung analysiert?

Spiegel Online, 23.7.2011

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Ein Marktanteil von 70 Prozent hätte “im klassischen Medienbereich schon längst die Medienkontrolleure und die Medienaufsicht auf den Plan gerufen”: Mit diesem Vergleich forderte der Journalistik-Professor Marcel Machill eine Regulierung des Quasi-Monopols von Googles Suchmaschine – im Jahr 2004.

Ernsthafte Vorschläge, was man nun warum regulieren will, hat seitdem kein Verantwortlicher geäußert. Googles Suchmaschine hat in Deutschland heute einen Marktanteil von mehr als 90 Prozent – und die Debatte plätschert eher vor sich hin. Nun geht es wieder um die Suchmaschine, doch auf Frank Schirrmachers Analyse der Weltwahrnehmung per Google kommen nur erwartbare Antworten der Netzreaktionäre: Das war schon immer so, das ist die Zukunft und so weiter.

Wo Google-Kritiker Probleme sehen

Dabei geht es schon lange nicht mehr um die Suchmaschine an sich. Die Expansion Googles und anderer Netz-Giganten stellt uns vor eine grundsätzliche, letztlich eine politische Frage: Will man, dass Unternehmen mit der Macht von Quasi-Monopolisten Zugang, Inhalte und Infrastruktur im Web anbieten und die Nutzung analysieren?

Mit immer neuen Diensten, die in den vergangenen Jahren gestartet sind, sind neue Probleme hinzugekommen.

  • Macht: Für die Mehrheit der Nutzer ist Google das Betriebssystem des Internets – wer zu SPIEGEL ONLINE will, tippt “Spiegel” ins Suchfenster ein, die Kulturtechnik der Web-Adressen gerät in Vergessenheit. Dadurch hat Google Macht – Konkurrenten werfen dem Unternehmen vor, diese manchmal zu missbrauchen und ihre Angebote bei den Suchergebnissen zu benachteiligen – Google bestreitet das.
  • Transparenz: Außenstehende haben keinen Einblick in die Algorithmen, nach denen Google die Relevanz von Seiten im Web, Facebook die Relevanz von Meinungsäußerungen in seinem Dienst bewertet und Aufmerksamkeit verteilt. Letztlich ist es eine Glaubensfrage, ob Google unter den ersten Treffern wirklich die besten Ergebnisse anzeigt und ob Google überhaupt alle nötigen Quellen erfasst hat.
  • Wissenshorter: Google ist längst nicht mehr nur ein Vermittler zwischen Suchenden und Inhalten, zum Geschäft des Konzerns gehört mehr und mehr auch das Speichern und Veröffentlichen digitaler Inhalte: Videos, E-Books, Musik, Fotos, Beiträge aus Newsgroups, E-Mails, Debatten und Beziehungen im Netzwerk Google+.
  • Expansion in neue Bereiche: Google dringt in neue Geschäftsbereiche vor – Betriebssysteme für Computer und Smartphones, Vertriebsplattformen für Software, Bezahlsysteme für Web-Dienste, soziale Netzwerke und Infrastruktur für Web-Anwendungen wie App Engine.
  • Datenbank menschlicher Absichten und Netzwerke: Dieser 2003 vom “Wired”-Mitgründer John Battelle geprägte Begriff beschreibt, wie Web-Unternehmen die enormen Anwenderzahlen ihrer Dienste geschickt nutzen, um Anzeigenschaltungen und Software zu verbessern. So erkennt Google über Cookies, welchen angeschlossenen Seiten in seinem Werbenetzwerk von einem bestimmten Computer, Smartphone oder Tablet aus abgerufen worden sind. Google sortiert auf Basis dieser Informationen die einzelnen Rechner konkreten Interessenkategorien zu und kann so den Anzeigenkunden wertvolle Exklusiv-Informationen zum Targeting bieten. Facebook verfügt über eine Datenbank mit demografischen Daten zu mehr als 750 Millionen Profilen und ihren Verbindungen.
  • Software-Optimierung durch Nutzermassen: Google protokolliert anonymisiert bestimmtes Nutzerverhalten bei Gratisdiensten. Zum Beispiel bei Google Voice: Wenn die Google-Spracherkennung falsch interpretiert, was man sagte, kann man sie korrigieren. Die Korrekturen nutzt Google, um seine Spracherkennungsalgorithmen zu verbessern. All diese Informationen hat Google exklusiv – je mehr Anklang Googles Dienste finden, umso größer ist das Wissen zum Verbessern dieser und zur Entwicklung neuer Dienste, desto attraktiver werden wiederum die Angebote – ein Netzwerkeffekt.

Was kann, was will die Gesellschaft regulieren?

Die Übersicht zeigt, dass es bei der Debatte um das Quasi-Monopol Googles tatsächlich um ganz unterschiedliche Entwicklungen geht, die bei Kritikern Unbehagen auslösen. In der Debatte trennt die aber kaum jemand – entsprechend vage wirken die Vorwürfe, was nun eigentlich das Problem ist und wie sich mögliche Fehlentwicklungen verhindern ließen.

Am einfachsten ist es wohl beim Thema Machtmissbrauch: Sollte Google tatsächlich Konkurrenten benachteiligen, indem zum Beispiel ihre Web-Angebote in Googles Suchergebnissen systematisch zurückgestuft werden, ist das ein klassischer Fall für die Wettbewerbshüter, ebenso die Expansion in andere Geschäftsbereiche wie Musikvertrieb oder Infrastuktur.

Schwieriger ist es bei den Fragen nach der Transparenz. Einige Kritiker schlagen vor, Expertengruppen müssten Einblick in Google Algorithmen erhalten und bewerten, ob der Konzern mit dem Quasi-Monopol nun korrekt das Web sortiert. Diese Forderung scheint wenig praktikabel zu sein: Was sollen denn die allgemeingültigen Kriterien für Relevanz im Web sein? Mit solchen inhaltlichen Definitionsversuchen hält der Staat sich auch sonst zum Glück zurück. Es gibt keine Experten-Kommission, die prüft, nach welchen Kriterien Journalisten die Welt abbilden. Welche Verfahren da besonders gut ankommen, entscheidet der Wettbewerb.

Keine Drittanbieter-Deals für Suchmaschinen mit Quasi-Monopol

Deshalb zielt Medienregulierung immer darauf ab, Vielfalt zu sichern und Wettbewerb zu garantieren. Das wäre bei Suchmaschinen der praktikablere Ansatz. Allein: Kann man Menschen verbieten, Google zu nutzen? Niemand ist gezwungen, mit Google zu suchen.

Allerdings bringt Googles marktbeherrschende Stellung bei der Web-Suche dem Angebot einige Wettbewerbsvorteile: Kaum ein Anbieter im Web kann es sich leisten, Googles Suchmaschine auszuschließen. Im Gegenteil: Die meisten geben sogar Geld dafür aus, ihre Angebote für Googles Roboter so gut lesbar wie irgend möglich zu machen. Denselben Vorteil hat Facebook bei der Integration seiner Dienste in Web-Angebote: Kaum ein Anbieter will darauf verzichten, das Facebooks Millionen-Publikum Seiten mit einem Klick weiterempfehlen kann und so breitet sich Facebooks soziale Infrastruktur im gesamten Web aus.

Das sind die Vorteile der Quasi-Monopolisten. Sieht man mangelnde Nutzungsvielfalt als Kernproblem, gibt es eine radikale Lösung: Google darf nur 60, 70 oder sonst wie viel Prozent der Suchanfragen binnen eines Monats beantworten, den Rest an die Konkurrenz weiterreichen. Doch ganz so radikal muss es vielleicht gar nicht sein – es gibt auch pragmatische Lösungen:

  • Viele Webportale wie T-Online und MySpace binden die Google-Suche als Standard ein, Google ist die voreingestellte Suchmaschine im Firefox-Browser – Regulierer könnten dominanten Suchmaschinen solche Abkommen mit Drittanbieterm verbieten.
  • Google erlaubt es Betreibern von Websites, eine Google-Suchbox für ihr Angebot auf ihren Seiten zu integrieren – auch solche Deals könnte man bei Suchanbietern mit Quasi-Monopol regulieren.
  • Googles schlägt auf Android-Geräten, in Googles Betriebssystem ChromeOS und dem Browser Chrome seine Suchmaschine als Zugang zum Web vor. Es gibt zwar Auswahl, bei der Chrome-Installation unter Windows schlägt Google als Optionen neben der eigenen Suchmaschine auch Ask, Bing und Yahoo! vor. Auf einem GalaxyTab mit Android-System ist die Reihenfolge dieselbe: Google, Ask, Bing, Yahoo! – warum eigentlich?

Gegen eine solche Regulierung lässt sich einwenden, dass Googles und Facebooks Quasi-Monopole vielleicht nur vorübergehend sind. Es gibt auch andere Ansätze, das Web zu erschließen; ein neuer Anbieter kann Google da durchaus Publikum abspenstig machen, Facebook zum Beispiel. Und Facebook könnte von einem Konkurrenten überholt werden wie es einst MySpace überholte. Bislang sieht es bei Web-Suche und sozialen Netzwerken allerdings nicht danach aus.

Datenanalyse als Preisbildung definieren

Ein Problem taucht in der Debatte über Googles Quasi-Monopol bislang kaum auf: Facebooks exklusiver Zugriff auf Datenbanken sozialer Verbindungen, GooglesDatenbanken menschlicher Absichten und auf enorme Nutzermassen zur Software-Optimierung. Darüber wird nur im Rahmen von Datenschutz-Bedenken gesprochen, dabei gibt es auch einen wichtigen wettbewerbsrechtlichen Aspekt.

Bei den Quasi-Monopolisten haben Regulierungsbehörden bisher immer geprüft, ob sie ihre Marktmacht missbrauchen und zu hohe Preise für ihre Dienste verlangen. Nun muss ein Nutzer für die meisten Google-Dienste ebenso wenig bezahlen wie für Facebook.

Man könnte aber die anonymisierte Auswertung von Daten, die Quasi-Monopolisten wie Facebook und Google sich per Nutzungbedingungen einräumen, als Preis bewerten und regulieren. Quasi-Monopolisten dürften dann nicht mehr so viel Daten verlangen, analysieren und verknüpfen, könnten nicht mehr enorme Netzwerkeffekte aus dem exklusiven Zugriff auf ihre Bestände nutzen, um Werbeplattform und andere Dienste zu verbessern.

Dann wäre es auch nicht ganz schlimm, wenn 90 Prozent der Nutzer Google als Betriebssystem des Webs und Facebook als Kneipe mit integriertem Telefonbuch, Abi-Jahrbuch, Stammbaum und Poesiealbum nutzen.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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