Neue Gesetze: US-Copyright-Cops greifen weltweit zu (Spiegel Online, 21.11.2011)
Neue Gesetze
US-Copyright-Cops greifen weltweit zu
Web-Sperre, Zahlungsstopp, Beschlagnahmung – neue US-Gesetze sollen die Jagd auf Raubkopierer erleichtern. Die amerikanische Justiz erklärt damit die ganze Welt zu ihrem Hoheitsgebiet: Sie will sogar einen Briten in den USA anklagen, der nach heimischem Recht wohl legal gehandelt hat.
SPIEGEL ONLINE, 21.11.2011
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Selten kritisiert die Bürgerrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen ein Gesetzesvorhaben in einem demokratischen Rechtsstaat mit derart harten Worten: Dieser Entwurf richte sich “eindeutig gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung”, urteilt die Organisation. Sie kritisiert die Vereinigten Staaten – und die Stellungnahme bezieht sich auf den Entwurf eines Gesetzes gegen Internet-Raubkopien, über das Abgeordnete gerade im US-Repräsentantenhaus debattierten.
Der Stop Online Piracy Act (SOPA) soll Internet-Provider und Suchmaschinen zwingen, Zugriffe auf bestimmte Websites zu unterbinden – ohne vorherige Anhörung zu dem Fall vor einem Gericht. Außerdem sollen Zahlungsdienstleister und Werbenetzwerke gezwungen werden können, Geschäftsbeziehungen zu vermeintlichen Piraterieseiten binnen fünf Tagen abzubrechen – ebenfalls ohne eine Anhörung zu dem Fall vor Gericht. Zudem sollen US-Ermittler die Web-Adressen angeblicher Piraterieseiten beschlagnahmen dürfen. Reporter ohne Grenzen fürchtet, dass dieses Gesetz es Rechteinhabern ermöglichen wird, “Internetfilter und -sperren ohne unabhängige gerichtliche Kontrolle einzurichten”.
Jede Suchmaschine könnte eine Schurkenseite sein
Viele US-Internetunternehmen und Bürgerrechtsorganisationen teilen diese Einschätzung: “Dieser Entwurf kann nicht repariert werden, er muss verschwinden”, urteilt die Electronic Frontier Foundation (EFF). Die Definition der im Entwurf als “Schurkenseiten” bezeichneten Web-Angebote ist sehr vage. Ohne Richtervorbehalt weggefiltert werden sollen Seiten, die
- sich zumindest in einem Unterangebot an US-Publikum richten,
- Urheberrechte verletzten oder Urheberrechtsverletzungen ermöglichen oder fördern.
Diese vage Definition beunruhigt US-Web-Konzerne, da theoretisch fast jede Web-Plattform Urheberrechtsverletzungen ermöglicht – angefangen von Cloud-Speicheranbietern wie Dropbox bis hin zu Suchmaschinen, über die ohne viel Aufwand Websites mit Raubkopien zu finden sind.
Bei der Aufregung um diesen Aspekt des Gesetzentwurfs geht ein wichtiges Detail unter: Gesetzentwürfe wie SOPA und der im US-Senat eingebrachte PROTECT IP Act erweitern die Zugriffsmöglichkeiten von US-Ermittlern auf Web-Angebote von ausländischen Betreibern.
Die Logik ist die: Wenn man die Betreiber nicht direkt angehen kann, soll ihr Angebot zumindest aus dem US-Internet weggefiltert und die Zusammenarbeit mit US-Werbevermarktern und Infrastrukturanbietern verboten werden.
Das gesamte Web wird zum US-Hoheitsgebiet
Sollten die Entwürfe SOPA und PROTECT IP Gesetz werden, könnten ausländische Web-Angebote bald vor enormen Problemen stehen: Ein Angebot, das zum Beispiel in Spanien legal betrieben wird, könnte Technikdienstleister, Werbevermarkter, Präsenz in sozialen Netzwerken und Domains verlieren, wenn die entsprechenden Firmen in den Vereinigten Staaten sitzen. Gegen diese Maßnahmen müsste das Unternehmen nach Vollzug in den Vereinigten Staaten klagen.
Die Ausweitung des US-Hoheitsgebiets auf das gesamte Web treiben US-Ermittler seit gut einem Jahr voran. Die zum US-Heimatschutzministerium gehörende Einwanderungs- und Zollbehörde (ICE) hat mehrmals die Domains von ausländischen Webangeboten beschlagnahmt, die in den Vereinigten Staaten registriert waren.
Legal in Spanien, verfolgt in den USA
Betroffen war davon auch das spanische Web-Angebot Rojadirecta.org. Diese Seite führte Links zu Livestreams von Sportveranstaltungen auf, zeigt die Inhalte aber nicht. Die ICE erwirkte eine richterliche Anordnung ohne Anhörung der Betroffenen, beschlagnahmte daraufhin die Domain. Der einzige Bezug von Rojadirecta.org zu den Vereinigten Staaten war die Tatsache, dass die spanische Firma die Domain bei einem US-Unternehmen erworben hatte.
Der spanische Betreiber legte, unterstützt von US-Bürgerrechtsorganisationen, Berufung gegen die Beschlagnahmung ein, das zuständige US-Gericht wies diese im August ab. Der Richter prüfte dabei nicht weiter, ob die Beschlagnahmung das Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Er argumentierte lediglich, dass dieses Vorgehen keine “schwerwiegendes Härte” für den spanischen Betreiber darstelle – die Firma habe ja ihr Publikum über den neuen Domain-Namen informieren können. Es war ja die eine bekannte Domain weg, nicht der Web-Auftritt an sich.
Großbritannien soll Studenten ausliefern
In Großbritannien versucht die ICE derzeit vor Gericht sogar die Auslieferung eines britischen Studenten zu erreichen. Der 23-jährige Richard O’Dwyer aus Sheffield hatte eine Website mit Links zu Streams aktueller Kinofilme und Fernsehserien betrieben. Ob seine Linksammlung in Großbritannien strafbar ist, ist unklar. In einem vergleichbaren Fall wurde der Betreiber der Linksammlung TV-Links von einem britischen Gericht freigesprochen. Die ICE will O’Dwyer ausliefern lassen, damit sein Fall vor einem US-Gericht nach US-Recht verhandelt werden kann, wo ihm eine mehrjährige Haftstrafe droht.
Über die Auslieferung wird wohl noch in diesem Jahr entschieden, eine Sprecherin O’Dwyers legt die Position des Verteidigers gegenüber SPIEGEL ONLINE so dar: “Die Auslieferung wäre falsch, da es hier um eine Sache geht, die in Großbritannien geschehen ist. Es sollte eine britische Strafverfolgung geben.”
Das sehen US-Ermittler ganz anders. Im Sommer erklärte der stellvertretende ICE-Chef Erik Barnett in einem Interview mit dem ” Guardian” seine Behörde für weltweit zuständig: “So lange eine Domain mit .com oder .net endet und in den USA produzierte Inhalte verbreitet, ist sie ein legitimes Ziel für unsere Strafverfolgung”.