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Neue Online-Masche: Abmahnwelle überrollt Buch-Verkäufer (Spiegel Online, 17.12.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Neue Online-Masche

Abmahnwelle überrollt Buch-Verkäufer

Ärger für Online-Antiquare: Es hagelt Abmahnungen, weil sie seit langem indizierte Bücher anbieten, zum Beispiel "Das erotische Rowohlt Lesebuch". Was einst als jugendgefährdend galt, wirkt heute oft harmlos, bleibt aber 25 Jahre auf dem Index. Und ist abmahnbar.

Spiegel Online, 17.12.2007

Rosa Rüschenrock, schwarze Strümpfe, nackte Brüste – so etwas sieht man heute sogar im Fernseh-Vorabendprogramm, doch am 25. Mai 1983 indizierte die Bundesprüfstelle ein Buch mit diesem Cover als jugendgefährdend: Richard Werthers Erotikroman "Liebesnächte – Geständnisse einer Berliner Fanny Hill" darf seitdem nicht mehr an Minderjährige verkauft werden

Weil das so ist, droht die Anwältin Christine Ehrhardt dem Dortmunder Online-Gebrauchtbuchhändler Wolfgang Höfs mit Gerichts- und Anwaltskosten von "mindestens 4141,30" Euro.

Höfs hatte Werthers "Liebesnächte" für 6,90 Euro bei der Online-Gebrauchbuch-Plattform Booklooker angeboten. Am vorigen Donnerstag bekam der Online-Antiquar Post Anwältin Ehrhardt. Sie schreibt im Auftrag einer Bonner Fachbuchhandlung. Der Vorwurf: Höfs biete ein indiziertes Buch zum Kauf ohne Altersprüfung an. Damit verschaffe er sich einen Wettbewerbsvorteil per Rechtsbruch gegenüber anderen Buchhändlern, die beim Verkauf ähnlicher Werke eine teure Altersprüfung umsetzen müssten.

Vertragsstrafe: 5100 Euro

Diesen unzulässigen Wettbewerb soll Gebrauchtbuch-Verkäufer Höfs einstellen. Dem Anwaltschreiben ist eine Unterlassungserklärung angehängt: Bis zum 28. Dezember hat Höfs Zeit, zu unterschreiben und zu versichern, dass er weder Werthers "Liebesnächte" öffentlich zum Kauf anbieten wird noch andere "Schriften", die auf dem Index stehen. Sollte Höfs das nach einer Unterschrift noch einmal tun, sind für jedes so angebotene Buch 5100 Euro Vertragsstrafe fällig.

Sollte Händler Höfs nicht unterschreiben, kündigt Anwältin Ehrhardt an, "Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu stellen". Und rechnet vor: Allein durch dieses Verfahren würde der Online-Antiquar mit "Gerichtskosten und Anwaltsgebühren in Höhe von mindestens 4141,30 Euro" belastet.

Bislang wehren sich 200 Abgemahnte

Unterschreiben oder Verfahren riskieren? Vor dieser Entscheidung stehen derzeit viele Online-Antiquare. Denn Höfs ist einer von vielen Händlern, die Anwältin Ehrhardt für ihren Mandanten abgemahnt hat: Daniel Conrad, Geschäftsführer der Buch-Verkaufsplattform Booklooker, schätzt gegenüber SPIEGEL ONLINE: "Es sind mehrere Hundert Verkäufer betroffen, wir schätzen etwa 300."

Booklooker hat eine Informationsplattform für die Betroffenen eingerichtet, Mitarbeiter informieren im Diskussionsforum, Betroffene können sich von einer Kölner Anwaltskanzlei zum Pauschalpreis betreuen lassen. Der zuständige Anwalt Christian Solmecke spricht von "ungefähr 200 Buchhändlern", die sich in dieser Sache bereits am Freitag gemeldet hätten. Es würden noch weitere hinzukommen – "aus dem gesamten Bundesgebiet".

Abmahnung ohne Kostennote

Interessant an dem Fall ist, dass die Anwältin Ehrhardt für ihre Arbeit keine Kostennote beilegt – zumindest nicht der SPIEGEL ONLINE vorliegenden Abmahnung. Da mag es manchem abgemahnten Buchverkäufer auf den ersten Blick verlockend erscheinen, einfach zu unterschreiben. Denn offenbar sind die angebotenen Titel tatsächlich indiziert. Wer will schon mehr als 4000 Euro für das angedrohte Verfahren riskieren, wenn man die Sache per Unterschrift aus der Welt schaffen kann?

Aber so einfach ist die Sache nicht. Denn dass der Abmahnung keine Kostennote beiliegt, bedeutet nichts. Anwalt Christian Solmecke erklärt: "Unterschreibt der Abgemahnte die Unterlassungserklärung, kann man die Gebührennote einfach später nachschicken. Bei dem angesetzten Streitwert von 15.000 Euro dürften die Gebühren bei ungefähr 800 Euro liegen." Und wer einmal unterschrieben hat, so Solmecke, "kann später schlecht begründen, warum er plötzlich nicht die möglicherweise nachkommende Gebührennote bezahlen will".

Anwältin: Wer unterschreibt, muss nicht zahlen

Die abmahnende Anwältin Ehrhardt betont in einer Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE hingegen: "Den einsichtigen Händlern, welche fristgerecht eine unveränderte strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben haben, wurden keinerlei Gebühren in Rechnung gestellt." Diese Kosten wurden laut Erhardt ausschließlich von ihrer Mandantin getragen. Ehrhardt fragt: "Wo bitte ist hier das von der Gegenseite stets behauptete Gebührenerzielungsinteresse einer sogenannten Massenabmahnung?"

Es gehe um den Jugendschutz, stellt Ehrhardt dar. Anbieter hätten in "mehreren Hundert Fällen" von minderjährigen Testkäufern (14, 13, 12 Jahre) bestellte, jugendgefährdende Bücher ohne Rückfrage versandt. Darunter seien "zahlreiche pornografische Schriften" und Titel wie "Anleitung zum Selbstmord" und "Das definitive deutsche Hanfhandbuch" gewesen. Ehrhardt: "Wir meinen: Auch eine hundert Jahre alte Anleitung zum Selbstmord gehört nicht in Kinderhand."

Unterschreibern droht saftige Vertragsstrafe

Professionelle Buchhändler riskieren saftige Vertragsstrafen, wenn sie die von Ehrhardt verschickte Unterlassungserklärung abgeben. Wolfgang Höfs, Inhaber des Dortmunder Online-Antiquariats Emotioconsult, sagt, wenn er nun diese Unterlassungserklärung unterschreibt, müsse er "für jeden Fehler, den die Helfer machen, 5100 Euro Vertragsstrafe zahlen. Für jedes in den vergangenen 25 Jahren indizierte Buch, das ich aus Versehen online anbiete, wäre die fällig".

Ehrhardt hält dagegen: "Das Verhindern der Fälligkeit der Vertragsstrafe liegt einzig und allein in der Hand des Buchhändlers. Wenn er diesen ‘Dreck’ nicht mehr anbietet, hat er auch nichts mehr zu befürchten."

Das Problem von Online-Antiquaren wie Höfs: Es ist gar nicht so einfach herauszufinden, welche Bücher eigentlich indiziert sind: "Wir kriegen bei Ankäufen manchmal 5000 oder 10.000 Bücher auf einen Schlag. Da ist es kaum möglich, alle mit den Indizierungen der vergangenen 25 Jahre abzugleichen – die Listen gibt es nur schriftlich, die Titel kann man nicht online abrufen."

Schwierig zu prüfen, was indiziert ist

Wilfried Schneider, Sprecher der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien, wehrt diesen Vorwurf ab: "Das ist kein Geheimdokument, sondern für alle Erwachsenen zum Beispiel in Polizeidienststellen oder Jugendämtern einsehbar. Buchhandlungen und Bibliotheken können die Liste als Abonnement bekommen, sie erscheint vierteljährlich."

Insgesamt stehen auf der Liste 697 Bücher – indiziert in den vergangenen 25 Jahren. Nach diesem Zeitraum läuft die Indizierung aus, kann aber verlängert werden, falls die BPjM die Texte immer noch für jugendgefährdend hält. Bei Richard Werthers abgemahntem Erotikroman "Liebesnächte" wird das wohl kaum passieren. Schneider: "Liebesnächte wird im Mai 2008 bestimmt gestrichen."

Online-Antiquare kritisieren Bundesprüfstelle

Bis dahin aber kann jeder Händler abgemahnt werden, der dieses harmlose Buch online anbietet. Die Betreiber von Gebrauchtbuch-Plattformen sehen nun auch die Prüfstelle in der Pflicht. Daniel Conrad, Geschäftsführer von Booklooker, ist verärgert: "Eine häufigere Beurteilung wäre angebracht. Außerdem fordern wir, dass sich jeder nach einer Registrierung die Liste kostenlos in digitaler Form herunterladen kann." Booklooker hat sich einer Branchen-Initiative des Konkurrenten ZVAB angeschlossen.

Das hilft den nun abgemahnten Online-Antiquaren nicht mehr. Ihr Anwalt Solmecke sieht aber "viele Möglichkeiten, gegen diese Abmahnwelle vorzugehen". (siehe Kasten unten)

WIE SICH DIE ONLINE-ANTIQUARE WEHREN KÖNNTEN

Ist der Abmahner ein Wettbewerber?
Ein Ansatzpunkt für Christian Solmecke, den Anwalt der Abgemahnten: "Man muss sich auf jeden Fall genau angucken, ob der abmahnende Versandbuchhändler tatsächlich in diesem Geschäft tätig und somit ein Wettbewerber der Abgemahnten, ein Händler ist." Die Bonner Fachbuchhandlung gibt als Geschäftgegenstand im Handelsregister tatsächlich "Vertrieb von Medienerzeugnissen aller Art" an. Das wurde Ende Juli 2007 geändert. Zuvor saß die Firma in Kempenich, stand im Handelsregister in Koblenz und gab da als Geschäftsgegenstand die "Verwaltung von fremden Grundstücken, Gebäuden und Wohnungen" an. Den Geschäftsführer der nun daraus hervorgegangenen Fachbuchhandlung findet man im Bonner Telefonbuch unter der Firmenadresse der Versandbuchhandlung auch als Rechtsanwalt.

Sind die Abgemahnten wirklich Profi-Händler?
Der Kölner Anwalt Christian Solmecke vertritt einige der Abgemahnten. Er erklärt: "Unter denen, die sich bei uns gemeldet haben, sind auch Privatleute – Menschen, die im Jahr vielleicht 20 Bücher verkaufen. Da gibt es viel Unsicherheit, denn niemand kann sagen, ab wann man von einem Gericht als gewerblicher Verkäufer eingestuft wird." Das kann sogar schon bei monatlich 20 angebotenen Büchern passieren. Der Haken dabei ist: Wenn man einmal vor Gericht zieht und dieses dann feststellt, dass man doch ein gewerblicher Händler ist, dann fällt ein gutes Argument zur Abwehr dieser Abmahnung weg.

Sind 15.000 Euro Streitwert angemessen?
Christian Solmecke, der Anwalt der Abgemahnten, erklärt, wie der Streitwert von 15.000 Euro in der Abmahnung zustande kommt: "Natürlich kann man über diesen Streitwert diskutieren. Letztendlich muss darüber ein Gericht entscheiden. Nur: Die können den Streitwert relativ frei festlegen." Der bemisst sich nach dem Interesse des Abmahnenden, dass die beanstandete Handlung unterlassen wird. Und da haben die Gerichte unterschiedliche Ansichten. Anwalt Solmecke: "Die bei solchen Wettbewerbsgeschichten angesetzten Streitwerte reichen von 900 bis 50.000 Euro."

Der abmahnende Buchhändler verwies zu Fragen über den Umfang seines Buchgeschäfts und die Abmahnungen auf seine Anwältin Ehrhardt. Sie hat die Fragen von SPIEGEL ONLINE dazu nicht beantwortet.

Ausgang ungewiss

Das Recht hat der Versandbuchhändler auf jeden Fall auf seiner Seite, sollte ein Gericht nicht etwa seinen Status als Profi-Buchhändler anzweifeln. Denn was indiziert ist, darf nicht ohne Altersnachprüfung verkauft werden. Das findet sogar Online-Antiquar Höfs, der wegen Werthers "Liebesnächten" abgemahnt wurde. "Aber warum hat man mich nur abgemahnt? Schließlich verstößt es ja auch gegen Strafrecht, solche indizierten Titel anzubieten." Sein Wettbewerber könne ja auch Anzeige bei der Staatsanwaltschaft erstatten.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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