Zum Inhalt springen

Neue Regeln: Facebook macht mehr öffentlich (Spiegel Online, 20.4.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Neue Regeln

Facebook macht mehr öffentlich

Generalüberholung bei Facebook: Das größte soziale Netzwerk der Welt baut um, damit Nutzer ihre Interessenprofile viel leichter pflegen und veröffentlichen können. Jeder Klick ist eine werberelevante Meinungsäußerung.

Spiegel Online, 20.4.2010

Facebook-Manager Alex Li klärt die Begrifflichkeiten. Im Firmenblog erklärt er, dass Mitglieder des größten sozialen Netzwerks der Welt bislang “Fans” von Produkten, Web-Angeboten, Filmen und Musikern wurden, dass sie bald solche Seiten aber einfach nur gut finden sollen. Das klingt nach Spitzfindigkeiten, doch die neuen Begriffe ziehen Änderungen beim Datenschutz nach sich, die man so zusammenfassen kann: Facebook-Mitglieder werden bald mehr ihrer Vorlieben veröffentlichen als bisher.

Das ist das Ziel des Wechsels von Fan-Werden zu Mögen, schreibt Li: “Wir hoffen, dass diese Aktion leichter fällt, und dass so der Umfang der Verknüpfungen auf der Seite steigt.” Im Klartext heißt das: Bislang haben Facebook-Mitglieder auf bestimmten Seiten angeben müssen, dass sie diese abonnieren, ein “Fan werden” wollen. Das klingt gewichtiger als einen Schalter “Gefällt mir” anzuklicken, läuft in der Facebook-Datenbank aber auf dasselbe raus: Jemand tut kund, dass er sich für ein Produkt, ein Buch, einen Film, eine Sprache, einen Musiker, eine Stadt oder sonst etwas interessiert.

Es liegt auf der Hand, warum Facebook es seinen Mitgliedern noch leichter macht, solche Präferenzen anzugeben: Je mehr sie über sich mitteilen, umso attraktiver wird das Angebot für alle Beteiligten und desto größer wird die Aufenthaltsdauer. Zudem schaffen die Nutzer mit solchen Selbstauskünften eine perfekte Werbe-Infrastruktur: Mit jedem Klick auf Dinge, die sie mögen, verfeinern sie ihr öffentliches Interessenprofil, das Facebooks Werbekunden zur Feinabstimmung von Anzeigen nutzen können.

Gezielte Anzeigen statt willkürlichem Geblinke

Anzeigenkunden könnte diese Selbstauskünfte nicht personalisiert nutzen. Sie sehen nicht, wer Hühnchen gut findet. Sie können nur pauschal Werbeformate auf Facebook allen Leuten zeigen lassen, die Hühnchen gut finden (und gerade Geburtstag feiern und in München leben). Ein Datenschutz-Skandal sind die Werbeformate bei Facebook also nicht. Wer weiß, was er tut und veröffentlicht, kann das sogar positiv sehen: Man sieht eines Tages vielleicht nur noch Anzeigen, die einen wirklich interessieren statt des ganzen Schrotts, der heute im Netz herumblinkt.

Andererseits hat Facebook da ein sehr hehres Bild seiner Nutzer: Sie handeln immer reflektiert, sind intellektuell imstande, lange Anleitungen zur Feinabstimmung der Datenschutz-Einstellungen zu lesen und umzusetzen. Diesen Nutzer hat Facebook-Manager Alex Li wohl im Kopf, wenn er in seinem Beitrag betont, man könne nun noch feiner abstimmen, wer welche Informationen auf den Profilseiten sehen darf. Das stimmt. Und es ist auch überfällig, dass Facebook den Nutzern endlich die Kontrolle darüber zurückgibt, wer ihre Freundschaftslisten einsehen darf, wer ihren Wohnort und die Seiten angezeigt bekommt, denen sie sich angeschlossen haben.

Facebook ändert sein Öffentlichkeitskonzept

Der mündige Facebook-Nutzer kann die Verbreitung seiner Profileinträge nun also feiner beschränken. Einerseits. Andererseits renoviert Facebook das Netzwerk so, dass es leichter ist, Meinungsäußerungen zu veröffentlichen, die bislang nicht unbedingt so öffentlich waren. Ein Beispiel dafür ist die neue Darstellungsform der persönlichen Interessen und andere Angaben zur eigenen Person. Bislang waren das Informationen, die man auf die eigene Profilseite schrieb.

Nach der Renovierung behandelt Facebook diese Interessen nicht mehr als Aussagen über die eigene Person, sondern als Verknüpfungen mit Interessengruppen. Konkret: Wer früher als Interesse “Kochen” angab, wird nach dem neuen Facebook-Prinzip nur noch Mitglied der großen Interessengruppe “Kochen” sein können. Facebook-Manager Li beschreibt das anhand derart harmloser Beispiele:

 

“Von nun an enthalten bestimmte Teile der Profile, einschließlich des Wohnorts, des Geburtsort, der Ausbildungsstätten, der Arbeitsstelle und der Vorlieben und Interessen Verbindungen. Statt langweiliger Text sind das Verbindungen zu tatsächlichen Seiten, eure Profile sind ab sofort mit den Orten, Dingen und Erfahrungen verbunden, die euch wichtig sind.”

Bei Vorlieben wie Kochen und klassischer Musik ist das harmlos. Aber es gibt ja auch strittigere Themen. Mancher möchte womöglich nicht unbedingt auf einer Sammelseite zum Thema “Klimalüge” oder als Anhänger liberaler Drogenpolitik zu sehen sein. Natürlich ist es wieder die Entscheidung jedes einzelnen mündigen Nutzers, welche Interessen er bei Facebook veröffentlichen will.

Beachtlich ist der Wandel des Öffentlichkeitskonzepts bei Facebook: Vorlieben und Interessen sind von nun an grundsätzlich etwas, das man mit einer unbestimmten Öffentlichkeit teilt. Wer das nicht will, hält sich lieber gleich ganz bedeckt. Denn man kann zwar auf der eigenen Profilseite das Anzeigen von Interessen sehr fein einschränken. Auf den entsprechenden Seiten taucht das eigene Profil aber als Verknüpfung in jedem Fall auf, auch wenn ein systematisches Abgreifen und Analysieren dieser Daten kompliziert sein dürfte.

Das Facebook-Prinzip: Gut finden

Die Renovierung der Facebook-Seiten entwickelt das Angebot vor allem in eine Richtung weiter: zum Werbenetzwerk für sehr gut abgestimmte Anzeigen. Das ist unvermeidlich, so lange Facebook-Nutzer nicht Geld für den Dienst zahlen. Dann sind eben Informationen fällig. Der Deal ist ähnlich wie bei Googles Suchmaschine: Man gibt etwas über die eigene Gemengelage preis (sucht bei Google nach etwas, findet bei Facebook etwas gut) und erhält im Gegenzug einerseits Inhalte (Suchergebnisse bei Google, Freundeskreis-Grundrauschen bei Facebook) und andererseits der Gemengelage angepasste Werbung.

Was zählt, veranschaulicht ein Detail des Facebook-Prinzips sehr gut: Man kann Dinge mit einem Mausklick nur als gut befinden.

Einen Ein-Klick-Schalter für Missfallen gibt es nicht.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert