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Neue Richtlinie: EU-Kommission drängt auf schärfere Datenschutz-Gesetze (Spiegel Online, 4.11.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Neue Richtlinie

EU-Kommission drängt auf schärfere Datenschutz-Gesetze

Die EU-Kommission verlangt mehr Schutzrechte gegen Staatsschnüffler, strengere Regeln für den Datenexport in die USA, prüft ein Recht auf Kollektivklagen für Verbraucherschützer. Die Richtliniendebatte wird zur Bewährungsprobe für die Bundesregierung – wie wichtig ist ihr der Datenschutz wirklich?

Spiegel Online, 4.11.2010

{jumi [*3]}

Beim flüchtigen Lesen klingen die Pläne der EU-Kommission merkwürdig: Internetnutzer sollen ihre Daten bei Internetanbietern löschen können? Aha! In den Details des Vorschlags der EU-Kommission für eine neue Datenschutzrichtlinie verstecken sich aber einige Punkte, die weit über plakative Facebook-Kritik hinausgehen. 2011 will die Kommission den Entwurf der neuen Richtlinie (eine Regelung, die die Mitgliedstaaten in eigenen Gesetzen umsetzen müssen) vorstellen, was dann passiert, bestimmen EU-Parlament und die Regierungen der EU-Staaten mit.

{jumi [*4]}

Für private Nutzer von Internetdiensten – und allen anderen Angeboten, bei denen personenbezogene Daten verarbeitet werden – will die EU-Kommission ein in allen Mitgliedstaaten einheitliches Recht auf das Löschen von Daten einführen.

Europaweit einheitliches Löschrecht

Das ist durchaus nicht so trivial wie es klingt – bis Daten tatsächlich gelöscht sind, kann viel Zeit vergehen, nachdem ein Nutzer den entsprechenden Button angeklickt hat. Und der ist nicht immer so leicht zu finden: Bei Facebook findet man in den Kontoeinstellung nur einen Schalter zum “Deaktivieren” des Kontos (Facebook behält in dem Fall sämtliche mit dem Konto verknüpften Daten, zeigt sie nur niemandem mehr an), für das echte Löschen muss man eine spezielle Hilfeseite finden und aufrufen.

Interessant ist die Formulierung in dem Vorschlag, die das Löschen nicht nur auf ausdrücklichen Wunsch der Kunden verlangt, sondern auch zu dem Zeitpunkt, an dem “die Daten nicht mehr benötigt werden”. Das ließe sich durchaus als eine Löschpflicht zum Beispiel von Transaktionsdaten bei Netzwerken (wer klickt was wann an?) interpretieren.

In den Passagen zu den Verbraucherrechten des EU-Dokuments stehen viele derart vage Formulierungen. Da ist die Rede davon, dass Nutzer zum Beispiel beim Surfen im Internet der Verarbeitung personenbezogener Daten informiert zustimmen müssten – extrem ausgelegt könnte das zu einer umfassenden Zustimmungs- und Informationspflicht beim Aufruf von Web-Seiten führen, die sogenannte Cookies einsetzen, um zum Beispiel die Abrufe von Anzeigen auf Seiten zu erfassen.

Klar ist bei diesen Absichtserklärungen nur die Marschrichtung: Strengere Auflagen für Unternehmen, nicht nur für Online-Riesen wie Facebook, Google, Microsoft und jeden anderen Anbieter.

Kollektivklagen der Verbraucherschützer

Sehr weit unten im Dokument der Kommission versteckt findet sich ein konkreter Vorschlag, der den Widerstand der Bundesregierung provozieren könnte: Die Kommission will prüfen, ob bei Datenschutzvergehen auch die Datenschutzbehörden und Verbände als Vertreter der Betroffenen klagen dürfen.

Dieses Recht fordern deutsche Verbraucherschützer seit Jahren. Denn die Verbände können dem Gesetz über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechtsverstößen nach zum Beispiel bei Fernabsatzverträgen, Haustürgeschäften oder Reiseverträgen Anbieter wegen aller verbraucherschädigender Praktiken abmahnen. Datenschutzverstöße fallen in Deutschland allerdings nur teilweise unters Verbraucherschutzrecht, zu dem Schluss kamen zum Beispiel die Oberlandesgerichte in Frankfurt und Düsseldorf in entsprechenden Fällen.

Die Folge: Bei Datenschutzärger müssen die Betroffenen in bestimmten Fällen selbst gegen Konzerne vorgehen, in anderen können sie auf die kollektive Vertretung durch Verbraucherschützer hoffen.

Bundesregierung lehnt Kollektivklagen ab

Eine einfache Ergänzung des Gesetzes über Unterlassungsklagen bei Verbraucherrechtsverstößen könnte das ändern, man müsste nur in einem Paragrafen ergänzen, dass Verbraucherschutzgesetze im Sinne der Vorschrift auch die Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes sind. Die Ergänzung ist seit fast zehn Jahren im Gespräch, ein Gutachter hatte sie dem Innenministerium empfohlen, passiert ist bis heute nichts.

Die Position der Bundesregierung zu Kollektivklagen von Verbraucherschützern ist bekannt: Einen entsprechen Vorschlag der EU-Kommission von 2008 lehnt die Regierung ab, erklärte 2009, man wolle derzeit keine verbindlichen Maßnahmen auf europäischer Ebene.

Datenschutz als Abwehrrecht gegen den Staat

Hört man Regierungsvertreter wie die Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner gegen Google (“flächendeckende Fotoaktion ist nichts anderes als eine millionenfache Verletzung der Privatsphäre”) und Facebook (“Ich habe ein Problem damit, wenn ein Teil der Gewinne von Facebook auf der Verletzung bestehender Gesetze beruht”) wettern, entsteht schnell der Eindruck, als sei Datenschutz nur ein Recht der Bürger gegenüber Unternehmen.

Dabei ist der Datenschutz auch ein Abwehrrecht gegen den Staat. Gegen den deutschen Staat zum Beispiel, der bis vor kurzem protokollieren wollte, wer mit wem am Telefon gesprochen hat, wer wann das Internet benutzt und an wen E-Mails versendet – das Bundesverfassungsgericht kassierte dann das entsprechende Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung. Die Unionsparteien wünschen es sich seitdem lautstark zurück.

Nun kündigt die EU-Kommission an, die Datenschutzrichtlinie auch im Hinblick auf die Strafverfolgung zu überarbeiten, um zu garantieren, dass auch hier die Rechte der Bürger wirksam geschützt sind. Und, so der Wortlaut des EU-Papiers: “Die Kommission überprüft ebenfalls die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung von 2006” – jene Vorgabe, welche die große Koalition auf verfassungswidrige Art in deutsches Recht umsetzte.

Da die EU-Kommission unter Datenschutz nicht nur Google- und Facebook-Kritik versteht, dürfte die Debatte über die neue Datenschutzrichtlinie zeigen, wie ernst es der Bundesregierung mit dem Thema wirklich ist.

{jumi [*5]}

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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