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Neue Statussymbole: Kunsthandwerker brezeln Technik-Spielzeug auf (Spiegel Online, 6.10.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Neue Statussymbole

Kunsthandwerker brezeln Technik-Spielzeug auf

Illustratoren und Künstler haben den Gadget-Markt entdeckt: Speicherkarten, Kabelrollen und Notebooktaschen. Es gibt nichts, was nicht noch veredelt werden könnte. Und Technik-Fans greifen zu – es gibt sogar USB-Sticks in limitierter Auflage.

Spiegel Online, 6.10.2007

Kleine Knubbelarme, Minibäuchlein und ein übergroßer Kopf: Die USB-Speicher-Sticks der US-Firma Mimoco haben eine merkwürdige Form. Ihre immergleichen Knubbelkörper verwandeln Künstler und Designer in anmutige Königinnen, grimmige Geister oder gefräßige Monster. Gloomy Bear zum Beispiel. Diese Figur des japanischen Illustrators Mori Chack ist das Gegenstück zu allen Disney-Helden.

Der kleine, zahme Bär wächst bei einem Kind auf, wird aber älter, aggressiver, greift seinen Besitzer an und zieht fortan blutbespritzt durch die Welt und frisst Menschen. Als USB-Stick kann man den düsteren Bären bei Mimoco kaufen. Preis: 50 bis 110 Dollar, je nach Speicherplatz. Jede Bären-Edition ist auf 1000 Exemplare limitiert, um den Sammlerwert zu steigern.


Das ist die Geschäftsidee des Mimoco-Gründers Evan Blaustein: Angewandte Kunst macht simple USB-Speicher zu Sammlerobjekten. Blaustein sieht hier eine Marktlücke: "Viele Technik-Spielzeuge sehen heute uniform aus, ahmen die minimalistisch-moderne Ästhetik nach, die vor allem Apple geprägt hat."

Die Rechnung geht auf: In einer Welt, wo fast alle USB-Sticks glatt und schwarz sind, zahlen einige Enthusiasten mehr für eine außergewöhnliche Gestaltung. In Webshops bieten inzwischen zig Gestalter von ihnen entworfene Extras für iPods, Laptops und Mobiltelefone an. Die Verkaufsplattformen für Selbstgemachtes Etsy und Dawanda sind Fundgruben dafür (mehr…). Mimoco-Gründer Evan Blaustein war einer der ersten Unternehmer, die diese Gestaltungsmarktlücke entdeckt haben.

Speicher-Sticks in limitierter Edition

Seit gut zwei Jahren läuft das Geschäft mit den Kunst-Speicher-Sticks. Auf die Idee kam Blaustein, damals Toningenieur in Boston, im Jahr 2005. Seine Frau Cécile suchte einen USB-Stick in ihrer Handtasche und holte aus Versehen eine Spielfigur heraus. Von da an wollte Blaustein beides kreuzen. Mit dem Industriedesigner Baron Brandt und dem Illustrator Yahid Rodriguez entwarf er die ersten neun Mimobots.

Inzwischen hat Blaustein mehr als 50 Mimobot-Editionen aufgelegt. Den Erfolg erklärt er so: "Gute Gadgets müssen echte Probleme lösen und müssen einfach zu bedienen sein. Aber sie brauchen auch eine gutes, emotionales Design, um einen Eindruck zu hinterlassen."

Ein Jojo gegen den Kabelfrust

Nach diesem Prinzip funktioniert zum Beispiel das Kabel-Jojo des kalifornischen Designers Dominic Symons. Er gestaltet sonst Edel-Leuchten und Sessel, kam aber 2004 aus eigener Not dazu, ein Technik-Spielzeug zu entwerfen: "Ich war frustriert, dass jedes meiner Elektrogeräte ein Ladegerät und mindestens zwei Meter Kabel hatte. Sogar die drahtlosen Geräte!" Schließlich müssen auch die zum Aufladen in Steckdosen gestöpselt werden. Und dann liegen überall Kabel herum.

Die bändigte Symons mit einem Kunststoffquadrat: ein Zentimeter dünn, acht mal acht Zentimeter groß. Auf die Spindel in der Mitte kann man Kabel wickeln und das Ganze mit einer selbstklebenden Rückseite irgendwo befestigen. Cableyoyo nannte Symons sein Technik-Schmuckstück – seit vier Jahren ein Verkaufserfolg. Für die Kopfhörerkabel von iPod und anderen MP3-Playern hat Symons ein Mini-Jojo nachgelegt: Mit einem Saugnapf kann man es auf die iPod-Rückseite pappen oder mit einer Klammer an der Kleidung festpinnen. Ansonsten funktioniert das schlichte Cableyoyo Pop wie sein großer Bruder: Man wickelt die lästigen Kabel auf, sie verschwinden im Jojo.

Symons minimalistische Gestaltung seiner iPod-Helfer erinnern sehr an das reduzierte Design der Musikabspieler. Diese glatten, uniformen Technik-Ikonen verstecken manche Besitzer in extrem bunten, völlig Apple-untypischen Hüllen. Solche knallig-bunte Schutzhüllen dominieren bei Verkaufsplattformen wie Etsy.

Schutzhüllen aus Filz, Leder und Vinyl

Dort verkauft inzwischen auch Michael Wood seine iPod-Schonbezüge aus Vinyl. Der Amerikaner ist seit 2003 im Geschäft. Seine Firma Tinymeat setzt auf dasselbe Prinzip wie Mimoco mit den Kunst-Speicherstick: Gestalter veredeln ein Massenprodukt. Wood: "Mich haben die iPod-Hüllen damals gelangweilt. Es gab entweder überkandidelte Modelle oder lieblose Standard-Gummihüllen." Wood lässt seine Stücke von Illustratoren entwerfen. Mit mehr als 50 Gestaltern arbeitet Tinymeat inzwischen zusammen. Ihre Entwürfe zeigen grüne Katzen, pinke Rennwagen und himmelblaue Yetis.

Nicht ganz so knallig kommen die Filzhüllen für iPhones und Laptops des Designerduos Workingclassheroes daher. Die österreichische Modedesignerin Monika Katzenschlaeger entwirft mit dem britischen Gestalter James Teal Gadget-Hüllen aus Filz und Leder. Die Schonbezüge habe aber nur zwei Farben: grau und braun. Naturprodukte in Öko-Farben schützen Hightech-Geräte – was für eine Kombination.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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