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Neue Web-Suche: Google gegen das freie Web (Spiegel Online, 15.3.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Neue Web-Suche

Google gegen das freie Web

Google will seine Suchmaschine grundlegend überarbeiten, mehr Inhalte direkt bei sich präsentieren, um Nutzer zu binden. Damit gerät der Konzern in Konkurrenz zum Rest des Webs.

Spiegel Online, 15.3.2012
{jumi [*3]}

Aber Google bringt dir Publikum! Dieses Argument kann man heute jedem Web-Publizisten entgegenhalten, der sich darüber ärgert, dass Google sein Online-Angebot für die Berechnung von Suchergebnissen nutzt und neben diesen Suchergebnissen Werbung präsentiert. Ja, Google verdient mit den Anzeigen neben den Suchergebnissen den Großteil seiner Milliarden. Aber dennoch klickt die Mehrheit der Nutzer nicht auf die Anzeigen, sondern auf die verlinkten Suchtreffer. Und mit diesem Klick sind die Werbeempfänger für Google verloren, nun übernimmt das Werbesystem des Betreibers der angeklickten Seite die Monetarisierung – sofern der nicht auch Google AdSense einsetzt.

So sah der informelle Deal zwischen den Seitenbetreibern, die Google ihre Seiten auswerten lassen, und dem Such- und Werbekonzern aus: Ihr verdient auf euren Trefferseiten, wir bei uns an dem Publikum, das von euch kommt. Langsam verändert Google diesen Deal zu seinen Gunsten. Das “Wall Street Journal” berichtet, Google plane eine fundamentale Überarbeitung der Präsentation von Suchergebnissen. Google will mehr Antworten auf Suchanfragen direkt auf seiner Suchseite geben, was Microsofts Bing schon vor Jahren versuchte. Anstelle von Verweisen will Google Inhalte direkt anzeigen.

Wie das aussehen könnte, kann man heute schon erahnen, wenn man beispielsweise auf Google nach “Aktie Commerzbank“, “>Kino München“, “Wetter Hamburg” oder “Flug Hamburg München” sucht. Bei diesen Anfragen zeigt Google heute schon auf seinen eigenen Seiten Verlaufskurven von Aktienkursen, Wetterprognosen, Kinoprogramme und Flugpläne.

Bei solchen Fragen muss man gar nicht mehr auf die Seiten anderer Anbieter weiterklicken. Das ist laut “Wall Street Journal” ein Ziel der Überarbeitung: Google wolle die Nutzer länger auf seinen Seiten halten, um ihnen mehr Anzeigen präsentieren zu können. Google ist heute schon nicht mehr nur ein Vermittler und Werbevermarkter, sondern auch ein Medienangebot mit angeschlossener Werbeabteilung.

Facebook bindet mehr Aufmerksamkeit

Wenn Google dieses Angebot ausbaut, mehr und mehr Anzeigen neben selbst aufbereiteten Inhalten verkauft, gerät es stärker in Konkurrenz mit dem Rest des Webs. Bislang war Google bei der Suche ein Vermittler von Aufmerksamkeit, nun will die Firma mehr und mehr diese Aufmerksamkeit für sich, für die eigenen Produkte und Anzeigen.

Das ist nicht überraschend, Facebook verfolgt diese Strategie von Anfang an. Facebook lässt Menschen und Firmen Fotos, Texte, Musik und Videos direkt ins eigene Angebot kippen. Man muss das Angebot nicht verlassen, um zu lesen, zu hören, zu sehen. Auf den Facebook-Seiten des “Guardian” etwa kann man heute ganze Artikel lesen. Die Folge dieser Entwicklung: Menschen verbringen mehr und mehr ihrer Online-Zeit in geschlossenen Netzen wie Facebook, Googles Anteil am Online-Zeitbudget steigt im Vergleich nur langsam.

Dass man bei Google über eine neue, Aufmerksamkeit stärker bindende Suche nachdenkt, deutete sich in den vergangen Monaten an. Im Oktober spekulierte Google-Forscher Dan Russell über diese neue Form der Ergebnispräsentation:

Russell: Ich sehe zum Beispiel, dass Menschen oft eine knappe Zusammenfassung eines Themas suchen. Menschen wollen sich schnell einlesen – 30 Sekunden. So ein Abriss müsste kürzer als ein Wikipedia-Artikel sein und vor allem eine Zusammenfassung zu jeder erdenklichen Suchanfrage bieten, nicht allein zu vorab definierten Themen.

SPIEGEL ONLINE: Das wären dann keine Treffer mehr, sondern Antworten. Die müsste Google selbst berechnen, auf Basis der im Netz verfügbaren Inhalte.Russell: Genau! Ich habe mir das gerade ausgedacht – das ist kein Produkt. Aber bei bestimmten Suchanfragen ist eine andere Präsentation als die zehn Top-Treffer sicher hilfreicher für die Nutzer.

So tritt Google nun mehr und mehr in Konkurrenz zum Rest des Webs, statt es zu erschließen. Die Suchmaschine hält in vielen Staaten auf der Welt den größten Anteil des Suchmaschinenmarkts. Für die Mehrheit der Nutzer ist Google das Betriebssystem des Internets – wer zu SPIEGEL ONLINE will, tippt “Spiegel” ins Suchfenster ein, die Kulturtechnik der Web-Adressen droht bald in Vergessenheit zu geraten.

Wenn Google diese Macht nutzt, um eigene Angebote zu bevorzugen, dürften bald Prozesse und erneute Regulierungsversuche auf den Konzern zukommen. Schon jetzt sind Kartellbehördendabei, die Praktiken des Konzerns zu überprüfen.

Google könnte bei der Ausweitung seines Anteils am Zeitbudget aller Web-Nutzer aber auch auf ganz andere Probleme stoßen: Vielleicht ist die künstliche Intelligenz gar nicht weit genug, um auch nur auf die Mehrheit der Suchanfragen hilfreiche Antworten zu geben. Google versteht nicht, was Menschen mit Suchanfragen meinen.

Google beobachtet, wie Millionen von Nutzern auf die Treffer reagieren, worauf sie klicken, wie lange sie auf den Trefferseiten bleiben. Google versteht Texte nicht, nur die Reaktionen der Nutzer und die von Menschen geschaffenen Beziehungen zwischen verschiedenen Quellen. Ob das für eine umfassende Antwortmaschine reicht, muss sich noch zeigen.

Vielleicht bleibt es 2012 erst mal bei der Wettervorhersage, Rezepten und dem Kinoprogramm.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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