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Neue Werbemails: Witzig, witziger, Spam (Spiegel Online, 24.7.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Neue Werbemails

Witzig, witziger, Spam

"Gott übernimmt Verantwortung für Hurrikan": Weil Reize wie "Viagra umsonst" sich längst abgenutzt haben, bombardieren Spammer die Welt jetzt mit skurrilen Botschaften. Gute Gags gibt’s nur auf Englisch – deutscher Werbemüll ist höchstens unfreiwillig komisch.

Spiegel Online, 24.7.2008

Alles super, alles sicher, alles so gut wie geschenkt – mit solchen
extremen Werbebotschaften haben Spammer die Empfänger ihrer Nachrichten
abgestumpft. Wer klickt heute noch auf Nachrichten mit Betreffzeilen
wie "Mercedes CLK zu gewinnen", "Bankkonto mit 2.500 Euro kostenlos"
oder "Mittel gegen Impotenz"?

Eben. Ein paar Unbelehrbare fixt das sicher noch an. Doch je länger
Web-Nutzer online sind, desto eher erregen die klassischen Spam-Reize
(billig, nackt, lukrativ, potenzfördernd) Misstrauen statt der von den
Absendern beabsichtigten Neugier.

Da kann Humor helfen. Wie wäre es mit einer Betreffzeile wie "Gott
zerstört US-Stadt, weil sie nicht schwul genug ist?" (im Englischen
Original: "God Destroys Boise for Not Being Gay Enough"). E-Mails mit
solchen Schlagzeilen schwappen derzeit in Massen in die E-Mail-Ordner
argloser Empfänger.

Und obwohl viele
Mail-Anwendungen diese Nachrichten zuverlässig als Spam markieren,
macht die überraschende Betreffzeile Leser neugierig genug, um die
Nachricht zu lesen. So zum Beispiel den "Wired"-Redakteur Ryan Singel,
der anerkennend bemerkt: "faszinierend."

Im eigentlichen Nachrichtentext der E-Mail steht dann nur noch, dass
Barack Obama magersüchtig sei und man sich doch bitte ein Beweisvideo
anschauen solle.

Wer auf den Link klickt, kommt auf Seiten, die versuchen, dem
Computer den Pandex-Trojaner unterzuschieben. In jeder der derzeit
kursierenden Mails verweist ein Link auf eine Seite, wo ein
präpariertes Video zu finden ist. Statt abzulaufen und die bizarre Mail
zu erklären, drängt der Clip zur Installation eines vermeintlichen
Video-Codes, der aber tatsächlich den Trojaner enthält.

Die Schad-Software klaut sich zwecks Verbreitung geschickt Inhalte
aus dem Web zusammen. Die Schlagzeile von der Gottesstrafe für die zu
wenig schwule Stadt im amerikanischen Hinterland zum Beispiel haben die
Spammer bei der Satireseite "The Specious Report" abgekupfert.

Dort zitierten die Autoren nach einer Überschwemmung im mittleren
Westen der USA einen erfundenen Prediger aus San Francisco, der
argumentiert habe, dies sei Gottes Strafe für Menschen, die "im Alltag
viel zu konservativ" seien.

Abgedrehter Spam klingt wie Spam-Satire

Und so zaubert die Spam-Software der Kriminellen hinter dem
Trojaner-Spam bizarre Maschinenprosa. Das Programm kombiniert immer
zwei Überschriften aus Online-Quellen wie dem Satiremagazin "The
Specious Report": eine kommt in die Betreffzeile, die andere in den
E-Mail-Textkörper vor den Link zum Trojaner-Video. So entstehen dann
ebenso absurde wie amüsante Kombinantionen. Zum Beispiel:

  • Hulk zermatscht (Video) – Paris Hilton referiert über Dickens und Dostojewski
  • Präsident Bushs iPod: die gesamte Playlist – Gott übernimmt Verantwortung für Hurrikan "Katrina"
  • Pferd tritt Harrison Ford in den Bauch – Mörderhaus schließt endlich
  • Angelina Jolie gebiert Drillinge – Was jeder über Obamas fiese Methoden wissen sollte

An die Absurdität dieser automatisch gedichteten Nachrichten kommen
die vermutlich von den Spam-Versendern selbst geschriebenen Botschaften
nicht heran – aber auch die werden bemüht alberner, wie IT-Sicherheitsanalyst Christopher Boyd bilanziert. Sein Kommentar: "So viel toller Spam zur Auswahl". In der Tat:

  • "iPhone explodiert beim Aufladen"
  • "Jesus zerstört Madonnas ehemaliges Anwesen"

Das ist so überdreht, dass es fast schon als Spam-Satire durchgeht.
An dieses Niveau reichen deutschsprachige Spam-Botschaften meist nicht
heran. Das war schon vor zwei Jahren so, als SPIEGEL ONLINE die bizarrste Werbelyrik kürte (mehr…)

Deutschsprachiger Spam ist inzwischen immerhin unfreiwillig komisch. Es
gibt noch immer die Klassiker der Babelfish-Dichtung – schiefe
Computer-Übersetzungen wie diese: 

  • "Hallo, ich bin der Manager ‘Euro Software’ und mich froh, dir anzubieten"
  • "Es sind die Programme notig? Drucke hierher"

Neu sind die biederen Botschaften von offensichtlich halbwegs
engagierten Muttersprachlern. Die formulieren ihre Spam-Prosa so
ausführlich, so bemüht seriös und dabei unfassbar dilettantisch, dass
sie auf eine ganz eigene Art unterhalten. Zum Beispiel die
E-Mail-Werbung für den "Profi-Alkohol-Test".

"Blut und Alkohol, in der Tiefe der Lunge"

Fast 4000 Zeichen Text hat die Werbemail – beinahe so viel wie
dieser Artikel. Die Betreffzeile erklärt väterlich: "Ein Betrieb kann
mit zu viel Alkohol oder überhaupt Alkohol nicht profitabel arbeiten."
Die schönsten Stellen der ungelenken Werbenachricht:

  • Die Spammer können sich nicht entscheiden, wie ihr Produkt heißt.
    Mal ist es der "Profi-Alkohol-Test", dann wieder der "TEST 2007" (ein
    Jahr zu spät dran?). Werbeslogan: "TEST 2007 – Der Profi-Alkohol-Tester
    für alle Gelegenheiten." Und gemeint sind wirklich alle Gelegenheiten:
    "Sozialstationen, Industrie, Verkehrsbetriebe und Wachunternehmen oder
    wo auch immer."
  • Wie das 98 Euro billige (statt 1000 Euro!) Gerät funktioniert,
    versucht die Spam-Botschaft mit vielen Worten zu erklären und verliert
    sich dabei in herrlichen Sätzen wie: "Blut- und Atemalkohol stehen in
    einem engen Verhältnis zueinander. In der Tiefe der Lunge."
  • Schulterklopfsätze wie dieser klingen nach "7. Sinn"-Parodie:
    "Oftmals wurden sicher die Risiken nach dem Genuss von Alkohol
    verdrängt. Vielleicht war auch nicht bekannt, dass es handliche Geräte
    für den privaten Gebrauch gibt."

"Nationalstolz macht immer einen guten Eindruck"

Ein Alkohol-Tester erscheint ja zumindest vom Prinzip her sinnvoll –
doch richtig schwer haben es die Superflaggen-Spammer: Bei einem 6,20
Meter hohen Flaggenmast (mit Nationalflagge "A, CH oder andere auf
Wunsch") muss der Absender sich schon viel Mühe geben, um einen Nutzen
für sein Produkt zu finden. Die Superflaggen-Verkäufer versuchen es mit
dieser Betreffzeile: "Nationalstolz macht immer einen guten Eindruck."

Und dann geht es in der E-Mail im Großbuchstaben-Kommandoton weiter: "FLAGGE HISSEN!".

Wo? Wo auch immer: "In Ihrer Firma, Bei Festen, Beim Sport, Camping, Beim Jubiläum, Im Club, Im Garten, Zu Hause".

Moment, ein 6,20 Meter hoher Flaggenmast "Zu Hause" oder "im Club"?
Egal: Wer 6,20 Meter hohe Decken hat, bekommt bei den Superflaggen das
volle Programm: "Alle Nationen jetzt lieferbar!", jubeln die Spammer.

Das Flaggengeschäft scheint recht gut zu laufen, denn auf der
beworbenen Flaggenseite sucht das Unternehmen neue Mitarbeiter.
Einsatzort: "Belgien (10 km zur deutschen Grenze)."

Welche Flagge dort wohl gehisst wird?


Aufruf: Schicken Sie uns ihre liebste Spam-Lyrik, ihre schönsten
E-Mail-Bizarrheiten, möglichst in kurzen Häppchen, gern mit knapp
gehaltener eigener Interpretation. Scheuen Sie sich nicht, nur einen
einzigen Satz (oder irgendetwas, das typografisch als solcher
betrachtet werden könnte) zu schicken, wenn er Ihnen aus der Seele spricht. Komplette E-Mails dagegen bitte nicht schicken. Betreffzeilen-Stichwort: Spamlyrik.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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