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Neugestaltung: Facebook baut sich zur Web-Schwatzbude um (Spiegel Online, 5.3.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Neugestaltung

Facebook baut sich zur Web-Schwatzbude um

Aktualisierungen in Echtzeit, Freundesprofile für Firmen und Politiker – das neue Facebook guckt sich ein paar Tricks bei Twitter ab. Ziel des Seitenumbaus: Die Community als zentraler Aufmerksamkeitsverteiler im sozialen Web..

Spiegel Online, 5.3.2009

Wenn sich die aktuellen Analysen zur Web-Nutzung auf einen Nenner bringen lassen, dann auf diesen: Junge Menschen verlagern ihr Sozialleben ins soziale Web. Netzwerke wie Facebook greifen E-Mail und eigenständigen Chat-Programmen die Nutzer ab, auf wenigen Seiten sind Menschen so häufig, so regelmäßig und so lange wie auf Facebook oder StudiVZ. Und wenn es nach Facebook-Boss Mark Zuckerberg geht, soll man bald gar keinen Grund mehr haben, die Seite zu verlassen.


Nächste Woche gibt sich Facebook ein neues Gesicht, und was man damit auf lange Sicht vorhat, beschreibt Zuckerberg im Firmen-Blog mit Schlagworten wie "Informationsstrom" oder "Menschen Kontakt zu allem geben, was sie interessiert". Auf lange Sicht sollen Menschen Facebook nicht mehr benutzen, um "bestimmte Inhalte zu finden, sondern um am Informationsfluss selbst teilzuhaben".

Moment mal – war dafür nicht eigentlich das Web da? Zuckerbergs
Ausführungen klingen je nach Lesart etwas nebulös oder
größenwahnsinnig, als Unternehmensstrategie ist die Idee von Facebook
als soziale Webzentrale aber folgerichtig: Ein Angebot, das Menschen
nutzen, wann immer sie online sind, bindet enorm viel Aufmerksamkeit
für Werbekunden.

Jederzeit-Live-Medium

Mit der Neugestaltung baut Zuckerberg Facebook ganz pragmatisch zum
Jederzeit-Medium um. Die Hauptseite soll demnächst in Echtzeit jedem
Mitglied Nachrichten darüber liefern, wer aus seinem Bekannten- und
Freundeskreis gerade was denkt, kommentiert, im Web entdeckt, gekauft,
gehört, gesehen hat. Bislang aktualisierte Facebook die zentrale
Nachrichtenseite nur alle 10 bis 15 Minuten, nun soll das ständig
passieren.

Die Facebook-Denke: Wenn ständig etwas Neues passieren kann, ist der
Drang groß, ständig die entsprechende Seite zu verfolgen. Das erinnert
sehr an den Reiz von Twitter, dem gerade enorm gehypten
Echtzeit-Mikroblogging-Dienst, der seinen Nutzern das Gefühl gibt,
nahezu live zu verfolgen, was im Web passiert.

Die zweite große Facebook-Neuerung erinnert auch an Twitter: In
Zukunft unterscheidet Facebook nicht mehr sonderlich zwischen den
Seiten von normalen Mitgliedern und Unternehmen, Politikern, Bands und
Stars.

Das ist mehr als eine optische Gestaltung, Facebook ändert damit sein
Funktionsprinzip: Bislang verfolgten Mitglieder über die Facebook-Seite
vor allem, was Freunde und Bekannte so denken, machen und kommentieren.
Facebook assoziierte man vor allem mit privater Kommunikation.
Mitglieder konnten systembedingt nicht mehr als 5000 Freunde um sich
scharen, für Unternehmen gab es eigene "Seiten", auf denen sie "Fans"
sammeln konnten.

Bei Twitter ist das anders, da scharen Politiker, Firmen, Medien
und Privatleute Anhänger um sich und kommunizieren direkt mit ihnen. Es
dürfte Facebooks Werbekunden wohl kaum gefallen haben, dass sie beim
Menschelnetz keine derart direkte Kommunikation aufbauen konnten.

Das ändert sich nun. In Zukunft kann dann also jeder Facebook-Nutzer
seinem Freund Obama oder SPIEGEL ONLINE zuhören wie den Schulkollegen.
Mark Zuckerberg beschreibt das im Firmenblog ganz anschaulich so: "Sie
können nun auf derselben Seite lesen, was Präsident Obama und was Ihre
besten Freunde sagen. Sie können verfolgen, was Ihre Mutter tut, was
Ihre Schulfreunde und der Präsident anstellen, denken und mit Ihnen
teilen, indem Sie sich einfach bei Facebook einloggen."

Facebook als Aufmerksamkeitsverteiler

Das klingt nach Web-Schwatzbude, geht aber noch darüber hinaus: Wenn
man Zuckerbergs Ausführungen liest, sieht man irgendwann Facebook als
den großen Aufmerksamkeitsverteiler im Web vor sich. Neue Musik? Mal
sehen, was die Freunde bei Facebook empfehlen. Gipfeltreffen in
Washington? Mal sehen, was Obamas Team schreibt.

Etwas beunruhigend ist der da durchscheinende Glaube, dass eine
direkte, unvermittelte Kommunikation von Politikern, Organisationen und
Firmen mit ihren plötzlich zu Facebook-Freunden gewordenen Wählern,
Mitgliedern und Kunden per se etwas Wunderbares ist, so ganz ohne
kritische Einordnung.

Aber die zu leisten, ist weder Facebooks Aufgabe noch das
Geschäftsmodell einer Firma, die sich mehr und mehr als eine Art
soziales Google-Gegenstück gibt. Facebook muss als Unternehmen
Aufmerksamkeit binden und Werbeplätze verkaufen.

Das dürfte nach der Neugestaltung besser funktionieren.


 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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