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Niederknüppeln und ausrotten (Jungle World 9.06.1999)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
7 minuten gelesen

Niederknüppeln und ausrotten

Wie man aus vier Hooligans nützliche Dämonen und den Nivel- Prozeß zum Spektakel machte.

Jungle World 9.06.1999

"Eine Schande für Deutschland" hatte Kanzler Kohl Ende Juni 1998 auf einmal ausgemacht. Die galt es auszurotten. Vorschläge: "Schlagstock, Schleierfahndung, Strafverschärfung" (Kanther), "Ausmerzen" (Kinkel), "Einschläfern" (Michael Schumacher). Schließlich war sich der Formel-1-Held nicht sicher, "ob man die überhaupt noch Menschen nennen darf".

"Die" sind deutsche Hools. Gut 600 waren zum Fußball-WM-Spiel Deutschland – Jugoslawien in Lens am 21. Juni angereist. Kaum einer hat Karten fürs Spiel bekommen, jugoslawische Hools als Prügelpartner fehlen. Nach dem Spiel beginnen am Nachmittag Scharmützel mit der Polizei, ein Kameramann wird zusammengeschlagen, Flaschen und Stühle fliegen. Die Police Nationale hat die Situation unter Kontrolle, drängt die Masse zurück. Etwa 30 Hools treffen in einer Seitengasse unerwartet auf drei Polizisten. Minuten später liegt Gendarm Daniel Nivel am Boden, mit Gewehrkolben, Flaschen, Springerstiefeln halbtot geprügelt, Blut fließt aus Augen, Nase, Ohren und Mund. Er überlebt, sprachbehindert, das rechte Auge blind, der rechte Arm gelähmt.

Die "Hooligan- Schande" (BILD) und der blindwütige Mob sind bald herbeigeschrieben. Vergessen ist, daß in Lens gemessen am Gewaltpotential wenig passierte. WM-Sicherheitschef René Querry: "Den ganzen Tag gab es sonst keinen ernsthaften Vorfall und kaum Beschädigungen." Michael Gabriel von der "Koordinationsstelle Fan- Projekte" (KOS) betont: "Das war keine typische Hooligan- Aktion." Vergessen sind auch der wachsende rechte Einfluß auf Hools, die immer noch unzureichende Ausstattung der Fan- Projekte. Die Gewalt ist ja viel einfacher zu erklären und zu lösen: Hools laut Kanther eh "kaum resozialisierbar", für die B.Z. "Hooligan-Quäler". Die Hamburger Morgenpost sekundiert beflissen: "Hoffen wir nur, daß nicht wieder mal die Idee aufkommt, ‚die Gesellschaft' sei schuld".

 

Das Medienspektakel geht in die Fortsetzung. Seit Ende April stehen vier mutmaßliche Täter in Essen vor Gericht. Die Anklage: Versuchter Mord, schwere Körperverletzung und schwerer Landesfriedensbruch. Der Journalistenandrang ist groß. Fast jeden Verhandlungstag dasselbe Bild: Handys lassen die Lautsprecheranlage knacken, die ersten Stuhlreihen sind mit weißen Kärtchen für WDR, RTL, AFP und Konsorten reserviert. Berichtet wird allein, welcher Zeuge was wie schockiert sagte. Unterstellt wird, da? Entschuldigung der Angeklagten nur ein Trick war. Angehörige und Zuschauer drängen sich fein säuberlich abgetrennt in den letzten Reihen. Ein Fotograf schimpft über die Angeklagten: "Die sitzen aber schlecht." Schnell werden sie noch von zwei Kamerateams abgefilmt. Die vier blicken zur Seite, zu Boden. Keiner will sich die Bestien entgehen lassen. Nur entsprechen die leider nicht so recht dem Bild vom primitiv- tierischen Unterschichtshool.

 

Die dunklen Haare dezent zurückgekämmt, das Oberlippenbärtchen fein ausrasiert begann der 31jährige Frank Renger am ersten Prozeßtag zu heulen, als Richter Rudolf Esders ihn ansprach. "Es tut mir wirklich leid, sehr leid", flemmte er. Der Gelsenkirchener Renger ist verheiratet, verdiente an die 3000 Mark monatlich in einer Molkerei und hat bisher nur drei Lappalien im Strafregister. Szenenkundigen Beamten war er zwar aus dem Schalker Hool- Umfeld bekannt, galt aber nicht als Schläger. Eher als Fan. Am 21. Juni hat er laut Staatsanwaltschaft "aus Lust an der Mißhandlung brutal mit dem Schuhabsatz auf den Kopf" des am Boden liegenden Gendarms Nivel getreten. Renger gesteht, zugetreten zu haben. Wohin, weiß er nicht mehr. Daß er mitprügelte, bestätigen Zeugen. Der schmächtige 18jährige Walter Sauer und der 24jährige Berliner Raimund Emrich waren als Groundhopper vor Ort. Ihr Job: Fotos von Klopperei schießen und dann an Hools verkaufen. Renger wollte angeblich erst vorbeilaufen, nur "war ich dann wie elektrisiert und habe auch zugetreten".

Auch der 28jährige Andre Zawacki kommt aus der Schalker Hooliganszene. Und auch er war eher unscheinbar: "Ob der da war oder nicht, war völlig egal", verriet ein Szenekundiger dem Spiegel. Zawacki hat laut Anklage mit einem Gewehraufsatz "mindestens dreimal wuchtig auf den Schädel" des am Boden liegenden Nivel eingeschlagen. Das bezeugen Sauer und Emrich.

"Typische Hooligans würden das nicht geplant tun", glaubt der Hannoveraner Sportsoziologe Gunter Pilz. Er plädiert für eine differenzierte Betrachtung von Lens: "Eine Eskalation hängt vom Vorgehen der Polizei und der Gemengenlage vor Ort ab. Den Hools schließen sich ja oft alle möglichen gewaltfaszinierten Menschen an. Irgendwann ist der Moment da, wo Gewalt entregelt ist." Hools wollen sich normalerweise mit anderen Hools prügeln. Die oft zitierten Regeln, zum Beispiel auf einen am Boden liegenden nicht einzuschlagen, sind für Pilz durchaus Realität. Fanbetreuer Michael Gabriel erinnert sich an seine Arbeit bei Eintracht Frankfurt: "Wenn einer zu Boden ging, hat den manchmal sogar der Schläger rausgebracht." In Lens waren keine jugoslawischen Hools da, kaum einer kam an die teuren Karten fürs Stadion. Das Auftreten der Polizei habe die Aggression der Zukurzgekommenen noch angeheizt, erzählt ein szenenkundiger Beamter vor Gericht. Und schließlich war die Gewalt "entregelt".

"Ich bin mitgelaufen, weil alle mitgelaufen sind", versucht der 25jährige Tobias Reifschläger sich zu rechtfertigen. Mit seinem an den Seiten kurzgeschorenen Blondschopf stempelt man ihm zu gern zur Fascho- Glatze. Er gehörte zu den Hamburger Ultras, hat eine Lehre zum Einzelhandelskaufmann abgebrochen, hielt sich mit Gelegenheitsjob und etwas dümmlichem Waffenhandel über Wasser. 14 Uzi- MPs hat er als Rekrut gestohlen, á 700 Mark verscherbelt. Nicht nur mitgelaufen ist er in Lens. Fotos zeigen, wie er auf Nivel eintritt. Brust und Kopf will er nicht getroffen haben. Ein Bild, das anderes impliziert, erklärt er so: "Da bin ich gerade über ihn rübergesprungen." Fotograf Emrich dazu: "Er hat Nivel regelrecht eingestampft."

Für die Rolle des kriminelle Mastermids hat man den "brutalsten Berliner" (B.Z.) auserkoren. Der 24jährige Cristipher Rauch aus Erkner will nicht aussagen. Schwarzer Anzug, dezenter Scheitel und Intellektuellenbrille passen gut ins Medien- Bild. Vor allem wegen Koksgeschäften soll er in U-Haft sitzen. Der gelernte Elektriker aus Thüringen kommt aus einer wohlhabenden Familie, seinem Vater gehört eine Firma für Schweißtechnik. Als gewaltbereiter Hool aus dem FC Berlin Umfeld war Rauch bei der Polizei bekannt. In Lens soll er laut Anklage mit einem Holzschild Nivel "mit großer Wucht auf den Schädel" geschlagen haben. Groundhopper Sauer bestätigt das.

War die Attacke geplant? Der Essener Anwalt, der die Nebenklage der Nivels vertritt, gibt zu bedenken, daß Nivel der einzige mit Funkgerät vor Ort war, also hätte Hilfe holen können. Doch geplante Gewalt widerspricht dem Wesen der Hools. Die Szene ist kaum organisiert. Man trifft sich beim Spiel. Sind genug Leute da, verabredet man sich per Funktelefon mit verfeindeten Hools zur Schlägerei. "Es kann immer sein, daß gar nichts passiert, daß sie sich untereinander prügeln, oder daß es eskaliert", betont Sportsoziologe Pilz. Etwa 8000 gewaltbereite Hools, knapp fünf Prozent der Fans also, vermutet die "Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze" (ZIS) beim LKA Düsseldorf in Deutschland. 1992 lag die Zahl noch bei 12000. Es gibt viele junge Hools, aber der Nachwuchs wird doch weniger.

Das spricht für die Arbeit der Fan- Projekte. 1992 etablierten sie im Rahmen des "nationalen Konzepts Sport und Sicherheit" in den Vereinen der 1. und 2. Liga. Sozialarbeiter organisieren jugendliche Fans, vertreten ihre Interessen gegenüber dem Verein. Die 27 Projekte mit ihren knapp 70 Mitarbeitern werden zu je einem Drittel von Land, Kommune und DFB finanziert. Fanbetreuer Michael Gabriel umreißt die Aufgabe: "Wir müssen in der Fan- Szene Strukturen stärken, die Spaß versprechen. Fanzines, Radiogruppen und so weiter. Denn seit einigen Jahren dominiert eindeutig die rechte Kultur." Die verschärfte in Lens die Stimmung. Unter 20000 deutschen Fans formte sich kein Widerstand gegen Sprechchöre wie "Wir sind wieder einmarschiert" und "Hier kommt der nationale Widerstand". Normalität in der Fan- Kurve: "Husch, husch, husch, Neger in den Busch", "Wir sind in Polen, um Juden zu versohlen". In Hannover ("Hannover 96 – Deutscher Meister 1936") demonstrierten gut 80 Hools gegen die Wehrmachtsaustellung.

Angesichts dieser bedrohlichen Einflußnahme klagt Gabriel über mangelnde Unterstützung für Fan- Projekte: "Organisierte Präventionsarbeit, wie wir sie verstehen, sehe ich in kaum einem Verein." Beispiel Berlin: Vier hauptamtliche Betreuer kümmern sich um die Hools von Herta, Tennis Borrusia, Dynamo, Union, Eisbären. Beispiel Duisburg: Hier kündigte eine Mitarbeiterin des Fan- Projekts. Ihr Vorwurf: Das Projekt werde nicht ausreichend unterstützt. Seit August '98 warnte man vor einer wachsenden rechten Szene. An die straff organisierten 40 Mann ist nicht heranzukommen, zusätzliche Präventionsarbeit können zwei 30- Stunden- Kräfte kaum leisten. Mehr ist nicht drin. Die Stadt zahlt ihr Drittel fürs Fanprojekt in Sachleistungen. Da wird zum Beispiel die Benutzung eines Basketballfeldes in Rechnung gestellt. Eine laut KOS übliche Praxis.

Die vier Regionalligen sind gar nicht erst in das Finanzierungskonzept für Fan- Projekte einbezogen. Dies ist aber nötig. Die Hool- Szene verlagert sich in die unteren Ligen, wie die Stadion- und Straßenschlacht nach dem Himmelfahrts- Spiel Offenbacher Kicker gegen Waldhof Mannheim zeigen.

Aber es gibt ja so viel einfachere Lösungen für "kaum resozialisierbare Hooligan- Quäler". Auch für die EM 2000 in Belgien und den Niederlanden: "Die einzige Sprache, die diese Bande versteht, ist der Knüppel." Das philosophierte nicht etwa ein Hool zusammen. So umriß der Sicherheitschef des belgischen Fußballverbandes Roger de Bree sein innovatives Sicherheitskonzept.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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