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Nokia 808 Pureview: 38-Megapixel-Kamera hat Smartphone eingebaut (Spiegel Online, 10.7.2012)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Nokia 808 Pureview

38-Megapixel-Kamera hat Smartphone eingebaut

Der Bildsensor ist größer als bei den meisten Kompaktkameras: Nokia verspricht für sein Fotohandy 808 Pureview erstaunliche Bildqualität, besser als jedes Handy und so gut wie die meisten Taschenkameras. Schafft die Technik das?

Spiegel Online, 10.7.2012

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Aufnahmen mit 38 Megapixel Auflösung – das ist bei einem Fotohandy doch Unsinn. Das kleine Objektiv kann gar nicht die nötige Qualität liefern, die Aufnahmen verrauschen garantiert. Das waren die Bedenken, als Nokia Anfang des Jahres sein Fotohandy 808 Pureview vorstellte. Nun ist es regulär erhältlich, wir haben mit einem Testgerät am Tag und in der Dämmerung fotografiert. Wie gut ist das Megapixel-Monster?

Elvis und seine Vasen

Sehr gut: Die Bildqualität des 808 Pureview ist für ein Handy außergewöhnlich hoch. Das Nokia-Handy ist eigentlich nicht mit Smartphones zu vergleichen, sondern spielt in der Liga der Kompaktkameras. Bei einigen Aufnahmen derselben Motive konnten wir im Blindtest nicht einmal zuordnen, welche vom 808 Pureview, welche von der kompakten Canon S100 stammen. Das Nokia-Handy rechnet im Standardmodus benachbarte Punkte des Bildsensors zu einem Pixel zusammen, maximal acht Megapixel hat so eine Aufnahme. Mit dieser Auflösung liefert das 808 Pureview auch bei schlechten Lichtverhältnissen ordentliche Fotos, da kommt kein Handy heran.

Schön: Das 808 Pureview ist schneller einsatzbereit als die meisten Kompaktkameras: Wenn man bei dem gesperrten Handy auf den Auslöser drückt, löst die Kamera-Software sofort aus, nutzt die zuletzt verwendeten Einstellungen. Man kann beim Pureview ISO-Empfindlichkeit, Blitzfunktion, Belichtungsreihen und Auflösung manuell einstellen, Blendenöffnung (fest bei f/2,4) und Belichtungszeit hingegen nicht. Die Bedienung ist intuitiv: Man zoomt am Touchscreen per Fingerwisch, bearbeitet die Aufnahmen und verschickt sie per E-Mail oder veröffentlicht sie bei Flickr oder Facebook.

Geschmackssache: Nokia hat ein Weitwinkelobjektiv eingebaut. Das ist bei Landschaftsfotos und Straßenszenen gut geeignet, für Makro-Aufnahmen und Porträts weniger. Man kommt nicht nah genug heran. Da hilft es auch nicht, dass beim Pureview dank des großen Sensors der Hintergrund stärker in Unschärfe verschwimmt als bei vielen Kompaktkameras. Ein manueller Fokus fehlt, manchmal vermisst man die Einstellmöglichkeit, in der Dämmerung sucht die Software bisweilen unangenehm lang die korrekte Fokussierung. Für ein Smartphone ist das 808 Pureview recht schwer (169 Gramm) und ziemlich dick (1,4 Zentimeter). Für eine Kompaktkamera ist das allerdings erstaunlich leicht und klein – dagegen ist selbst die kleine Canon S100 ausladend.

Gebetsfahnen

Schlecht: Als Kamera mit etwas Smartphone als Dreingabe ist die Software des 808 Pureview gar nicht schlecht: Das Betriebssystem Symbian läuft meistens schnell genug, man kann Websites aufrufen, E-Mails senden (das Nokia Mail-Programm kommt auch mit ActiveSync-Konten gut zurecht) und navigieren (Nokia Maps kostenlos mit Offline-Navigation). Aber für Symbian gibt es nur wenige Anwendungen unabhängiger Entwickler. Gerade bei einem Fotohandy wären eine WordPress- und eine Tumblr-App sinnvoll, um das Foto-Blog direkt zu aktualisieren. Nokia bietet diese Funktionen nicht, Apps existieren keine. Bei Flickr und Twitter kann man problemlos publizieren, bei 500px mangels App hingegen nicht. So ist es bei vielen Web-Diensten: Für Evernote gibt es eine Symbian-App, für Wunderlist und die Stadtrad-Ausleihe hingegen nicht. Ärgerlich ist, dass man sich für unbeschränktes W-Lan-Tethering die zehn Euro teure App JoikuSpot kaufen muss. Immerhin gibt es die!

Fazit: Ich würde meine Kompaktkamera sofort durch das 808 Pureview ersetzen – wenn es entweder nur 250 Euro kosten würde oder mit einem zukunftsträchtigen Betriebssystem ausgestattet wäre. Nokia konzentriert die Entwicklung auf Windows, auf dem Pureview läuft das Alt-System Symbian. Wenn heute schon die hilfreichsten App von Nokia selbst kommen – wie wird das in einem Jahr aussehen? Als Kamera für schnelle, dokumentarische Fotografie unterwegs wäre das Pureview ideal. Ein zweites Smartphone will ich dann aber nicht mitschleppen müssen, eine WordPress-App wäre schon hilfreich und das Handyticket für den Nahverkehr auch. Es erscheint wenig wahrscheinlich, dass die noch für Symbian erscheinen werden. Für ein System mit derart ungewisser Zukunft kann man nicht 550 Euro verlangen, das ist zu riskant. Besser auf die Windows-Version oder auf Rabatte warten.

Vergleich: Nokia Pureview 808, Canon S100, Fujifilm X10
Kamera Nokia Pureview 808 Canon S100 Fujifilm X10
günstigster Preis Gehäuse * 549,65 368 419
Maße (Gehäuse) 12,4 x 6 x 1,4 9,9 x 6 x 2,8 11,7 x 7 x 5,7cm
Volumen (Gehäusemaße), cm³ 104,16 166,32 193,98
Gewicht (Gehäuse mit Ojektiv ca. in Gramm) 169 198 330
Objektiv (kb-äquivalente Brennweite in mm, Blendenöffnung) 28 / f/2,4 24 – 120 mm, 1:2.0-1:5.9) 28-112 mm kb-äquivalent., f/2 – f/1/2,8
Naheinstellgrenze 15 cm 3 cm 1 cm
Auflösung (Megapixel) 3 / 5 / 8 / 38,4 12,1 12
Sensorgröße (cm²) 0,85 0,45 0,58
Megapixel pro cm² 3,53 / 5,87 / 9,40 / 45,18 26,80 20,7
Display (Zoll Diagonale) 4 Zoll, 204.800 Pixel 3 Zoll, 461.000 Pixel 2,8 Zoll, 460.000 Pixel
Dateiformat JPG JPG/RAW RAW/JPG
* günstigster Preis im deutschen Online-Handel (laut geizhals.at, Stand 9.7.2012)

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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