Nutzungs-Statistik: Web-Erfinder warnt vor Facebooks Datenmonopol (Spiegel Online, 25.11.2010)
Nutzungs-Statistik
Web-Erfinder warnt vor Facebooks Datenmonopol
Für Tim Berners-Lee ist Facebook wie ein Daten-Silo. Der Erfinder des World Wide Web kritisiert die Vorherrschaft weniger Online-Riesen, die digitale Informationen einsperren. Konkret: Seiten wie Facebook saugen Daten auf, geben aber selbst wenig preis.
Spiegel Online, 25.11.2010
{jumi [*3]}
Vor fast 22 Jahren hat Tim Berners-Lee mit einem Aufsatz die Welt verändert. Damals setzte der junge Informatiker sich in Genf an seinen Rechner und tippte 30.000 Zeichen Text unter dem Titel ” Informationsmanagement: Ein Vorschlag” – es war der Bauplan für das World Wide Web, wie wir es heute kennen. Nun hat Berners-Lee wieder einen Aufsatz über das Netz geschrieben, gut 23.000 Zeichen lang diesmal, unter dem Titel ” Lang lebe das Web“.
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Dass das Web, wie wir es kennen, lange fortbesteht, hält Berners-Lee nicht für ausgemacht. Im Gegenteil, noch nie war es so sehr in Gefahr wie heute. Als größte Gegner eines freien Netzes macht Berners-Lee diese Gruppen aus:
- Regierungen, die das Nutzungsverhalten ihrer Bürger überwachen
- Internet-Provider, die bestimmte Daten bevorzugt transportieren wollen – gegen Bezahlung durch die Anbieter womöglich
- große soziale Netzwerke, die Informationen horten und streng abgeschirmt vom Rest des Webs Datenmonopole pflegen
In Gefahr sieht Berners-Lee vor allem diesen Grundsatz, den er vor 21 Jahren für das neue Netz aufgestellt hat: Ein “universelles, verbundenes Informationssystem” sollte das World Wide Web werden.
Berners-Lee: “Jede Seite ist ein Silo, strikt getrennt von den anderen”
Universell und verbunden – das sind die Informationen, die zum Beispiel der Netzwerkriese Facebook (Berners-Lee erwähnt den Dienst ausdrücklich neben Linkedin und Friendster) in seinen Datenbanken sammelt, bei weitem nicht. Berners-Lee beschreibt den Zustand so:
“Wer einmal Daten bei diesen Diensten eingibt, kann diese nicht einfach so auf anderen Seiten verwenden. Jede Seite ist ein Silo, strikt getrennt von den anderen. Ja, die Nutzerseiten bei einem Dienst sind im Web, aber die Daten sind es nicht. Nutzer können eine Webseite mit einer Liste ihrer Kontakte bei einem Dienst aufrufen, aber sie können diese Liste oder Teile davon nicht an andere Dienste senden.”
Das Problem bei dieser Architektur: Je intensiver man einen bestimmten Dienst nutzt, desto besser funktioniert er, desto attraktiver ist er für die Nutzer und desto schwieriger wird es, diesen Dienst wieder zu verlassen. Netzwerke wie Facebook zentralisieren Daten in einer exklusiven Datenbank, die ständig von den Nutzern kostenlos erweitert wird. Im Durchschnitt erstellt jedes der 500 Millionen Facebook-Mitglieder im Monat 90 Beiträge (Kommentare, Fotos, Verweise auf andere Webseiten), kommuniziert mit seinen durchschnittlich 130 Kontakten und folgt auf durchschnittlich 80 Facebook-Seiten den Äußerungen bestimmter Gruppen, Veranstaltungen oder Urheber.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches Netzwerk mit jedem neuen Mitglied, jeder Meinungsäußerung, jedem Foto, jeder Verknüpfung attraktiver für Menschen wird, die noch nicht dabei sind.
Facebooks Datenmonopol verstärkt sich selbst
Berners-Lee warnt: “Je weiter diese Art von Architektur sich verbreitet, desto fragmentierter wird das Web und desto weniger können wir einen universellen, verbundenen Informationsraum genießen.”
Bei diesem Konzentrationsprozess geraten die Giganten im Netz immer wieder aneinander, Anfang November sperrte Google zum Beispiel Facebook den Zugriff auf die Kontaktlisten seiner Kunden. Facebook bietet Nutzern an, ihre Kontaktlisten bei großen E-Mail-Anbietern wie Google, Yahoo oder Hotmail zu durchsuchen, um schneller ihre Bekannten auch bei dem sozialen Netzwerk zu finden. Dabei greift Facebook über sogenannte Programmierschnittstellen (APIs) auf die externen Systeme zu und schlägt dem Anwender die Kontaktaufnahme zu weiteren “Freunden” aus den Adressbüchern vor. Google werde anderen Websites grundsätzlich so lange keinen automatischen Zugang zu Kontaktdaten erlauben, bis sie eine ähnliche Funktion anbieten, sagte ein Google-Sprecher damals.
Das freie Web füttert Facebook
Facebook saugt an immer mehr Stellen im freien Web Informationen in seine Datenbanken. Dafür stellt das Unternehmen Web-Seiten-Betreibern kostenlos eine Reihe recht einfach zu integrierender Code-Schnipsel bereit, die sich aus dem Facebook-Datenpool bedienen und ihn füttern. Konkret sieht das zum Beispiel so aus: Wenn ein Facebook-Mitglied eine Webseite aufruft, sieht er sofort, welche Beiträge seine Facebook-Freunde dort schon empfohlen haben.
Der Vorteil für die Webseiten-Betreiber: Die Nutzer bleiben vielleicht länger auf den Seiten, weil sie mehr entdecken und Empfehlungen ihrer Freunde folgen können, denen sie vertrauen. Der Vorteil für Facebook: Die wertvollsten Informationen, nämlich die über Meinungsäußerungen, Vorlieben und Nutzungsarten bestimmter Nutzer, fließen von überallher aus dem Web in die Facebook-Datenbanken.
Die Strategie zahlt sich aus, Facebook bindet im Web immer mehr Aufmerksamkeit. Laut aktuellen Statistiken der US-Markforscher von Hitwise (das Unternehmen analysiert die Internet-Nutzung von mehr als zehn Millionen US-Bürgern) entfiel in der zweiten Novemberwoche jeder vierte Seitenaufruf von US-Internetnutzern auf Facebook – mehr als 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Dabei erfasst Hitwise nicht einmal die mobile Internetnutzung.
Die Basis für dieses rasante Wachstum hat vor 21 Jahren Tim Berners-Lee mit seinem Essay über das Web gelegt. Er schuf eine Infrastruktur, die komplett offen ist. Jeder kann sie nutzen. Kostenlos. Jeder kann sie erweitern. Dank dieser Offenheit konnten Konzerne wie Facebook zu den Giganten werden, die sie heute sind. Und nun sind es gerade diese Unternehmen, die im Internet Inseln errichten.
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