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Ohne Plattenvertrag auf Nr. 1: Die iTunes-Königin (Spiegel Online, 20.4.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Ohne Plattenvertrag auf Nr. 1

Die iTunes-Königin

Es geht auch ohne Plattenvertrag: Die britische Folk-Sängerin Kate Walsh hat als erste Künstlerin ohne Label die iTunes-Charts in Großbritannien gestürmt – und dabei "Take That" von Platz 1 verdrängt.

Spiegel Online, 20.4.2007

Ihr Album "Tim’s House" hat die britische Sängern Kate Walsh im Schlafzimmer aufgenommen. Genauer gesagt im Schlafzimmer ihres Bekannten Tim Bidwell, wo er mit ein paar Ballen Samt eine einigermaßen schalldichte Aufnahmekabine eingerichtet hat. Das war voriges Jahr. Heute ist die 24-jährige Walsh die erste Sängerin ohne Plattenvertrag, deren Album es auf Platz 1 der iTunes-Charts geschafft hat. Sie hat "Take That" und die "Kaiser Chiefs" geschlagen. Und diese Woche ist Walshs Album die Nummer 2 in den italienischen iTunes-Charts.

Akustische Gitarre, hingehauchte Melancholie und bei aller Zartheit ein rauer, nicht ganz perfekter Klang – diese Mischung verdankt "Tim’s House" Walshs Können (sie hat eine klassische Klavierausbildung absolviert) und den Produktionsbedingungen: Umgerechnet knapp 900 Euro hat die Aufnahme gekostet. Mangels Plattenvertrag wandte sich Walsh an den britischen Online-Musikanbieter "Artists without a label" ( AWAL), der Musik übers Web vertreibt, seine Künstler bei iTunes, Napster und den britischen Online-Musikplattformen von HMV und Virgin unterbringt.
iTunes Europa-Chef: "Einmalig"

AWAL schaffte es, Walshs Lied "Talk of The Town" als Single der Woche bei iTunes unterzubringen. Das war Mitte März. iTunes-Kunden wurden aufmerksam, sahen sich Walsh Myspace-Seite an, empfahlen sie weiter und dann, zu Ostern, war ihr Album tatsächlich in den Top Ten der iTunes-Charts in Großbritannien. Vorige Woche landete es schließlich auf Platz 1, diese Woche steht "Tim’s House" auf Platz 2 der italienischen iTunes-Charts. So etwas gab es noch nie. Oliver Schusser, iTunes-Marketing-Chef in Europa sagte dem "Evening Standard": "Einmalig, wenn man bedenkt, dass sie ohne Plattenvertrag mehrere internationale Stars geschlagen hat."

Der Preis: AWAL bekommt 15 Prozent von Walshs Einnahmen – mehr nicht. Im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE sagte die Sängerin: "Da entsteht eine völlig neue Kultur des Selbermachens: Bei Online-Musik gibt es kaum Produktions- und Vertriebskosten, es ist so viel einfacher seine Musik herauszubringen und tatsächlich auch finanziell zu gewinnen, wenn sie den Menschen gefällt."

Und, wenn sie die Musik entdecken. Ohne iTunes wäre Walshs Erfolg kaum möglich gewesen. Vor ein paar Monaten schrieb sie noch auf ihrer Myspace-Seite: "Ich habe noch nie ein Blog geschrieben, ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass ich etwas zu sagen habe, das wichtig genug ist, dass ihr es hören wollt."

Geschrieben hat sie dann wirklich wenig. Aber viel Musik eingestellt. Inzwischen betreut sie die Seite nicht mehr allein, liest zwar noch jede Nachricht selbst, beantwortet aber nicht mehr jede. Ihren Teilzeit-Job als Verkäuferin bei der Kosmetikkette Crabtree & Evelyn hat sie inzwischen aufgegeben – bis Ende August ist sie auf Tour durch Großbritannien und Irland.

Walsh hatte noch nie einen iPod

Was sich noch geändert hat: Inzwischen hat Kate Walsh einen iPod. Apple hatte sie in die Londoner Niederlassung eingeladen, um mit Apple-Mitarbeitern den Nr.-1-Erfolg zu feiern. Und da, in der Kantine wurde ihr ein pinkfarbener iPod Nano überreicht: "Ich weiß noch nicht genau, wie er funktioniert." Es ist der erste iPod der iTunes-Königen. Inzwischen hat sie immerhin 1200 Lieder draufgespielt.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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