Dieses Hündchen ist 3000 Euro wert
Konkurrenz für Artnet und Christie’s: Das Berliner Start-up Auctionata will online Kunst und Antiquitäten verkaufen. Die Firma nimmt ähnlich hohe Gebühren wie Christie’s und wirbt mit einer Echtheitsgarantie. Wie bewerten Experten solche Online-Auktionen?
Spiegel Online, 27.11.2012
Kommt man in Alexander Zackes Büro in einem Berliner Altbau am Kurfürstendamm, schaut man auf die Rückseiten von zwei Dell-Computermonitoren und steht dabei auf einem sechs Jahrzehnte alten Seiden-Gebetsteppich. Zwei Millionen Knoten je Quadratmeter hat der Teppich, geknüpft wurde er im türkischen Hereke. Geschätzter Wert: 20.000 Euro. Den Gebetsteppich und 99 andere Objekte (die meisten liegen in Außenlagern) versteigert Zackes Unternehmen Auctionata an diesem Freitag (7. Dezember) online.
Auctionata kündigt die Versteigerung etwas großspurig als “erste Live-Auktion in der Geschichte des Internets” an. Man kann auch vor Ort in Berlin und per Telefon bieten oder eben im Netz. Der Auktionator wird live in einem Studio gefilmt, die Regie schneidet aus mehreren Kamerabildern den Online-Stream zusammen. Interessenten sollen per Live-Chat Fragen stellen. Einige beantwortet der Kundenservice direkt, andere der Auktionator vor der Kamera, wenn es für alle Zuschauer der Auctionata-Versteigerung interessant ist. Bisher sind Videostreams aus dem Auktionssaal nicht besonders komfortabel, werden die Online-Kunden fast schon wie Zaungäste behandelt.
Auctionata will von 2013 an jede Woche Kunst und Antiquitäten online versteigern, bislang verkauft die Firma Kunst und Antiquitäten nur in einem Webshop zum Festpreis. Und das soll ausgerechnet ein Berliner Start-up besser machen als Christie’s, Artnet, Bruun Rasmusen und allen anderen Firmen, die seit Jahren online versteigern? Einige renommierte Investoren hat das Auctionata-Konzept überzeugt. Zuletzt ist die russische Investmentfirma Bright Capital eingestiegen, beteiligt sind auch schon Holtzbrinck Ventures und eVentures. 20 Millionen Dollar soll Auctionata bisher von Investoren eingesammelt haben, berichtet die russische Wirtschaftszeitung “Kommersant“.
Was sind die Vorteile und Nachteile der Live-Auktionen? Was sagen Auktionsexperten zu dem neuen Geschäftsmodell?
1. Sehr breites Angebot – Nachteil für Verkäufer
Das Geschäftsmodell bei Auctionata ist nicht neu. Die Firma verdient wie jedes Auktionshaus: Verkäufer zahlen einen Anteil des erzielten Preises (23,80 Prozent bei Auctionata), ebenso die Käufer (23,80 Prozent Aufschlag auf den Hammerpreis). Damit ist Auctionata ähnlich teuer wie große Auktionshäuser. Neu ist bei dem Online-Anbieter, dass gut 250 freiberuflichen Experten der Firma vergleichsweise schnell auf sehr vielen Gebieten Objekte schätzen (die ersten fünf kostenfrei). Bei der ersten Online-Auktion reicht die Bandbreite von einer indischen Sandstein-Skulpturen aus dem zehnten Jahrhundert bis zu einer Zeichnung von Saul Steinberg von 1968.
Ein derart breites Angebot sehen einige Experten skeptisch. Johan Bosch van Rosenthal, unabhängiger Berater für Käufer und Verkäufer im Kunstmarkt aus Amsterdam (davor Experte und Auktionator bei Christie’s), urteilt: “Ich bin mir nicht sicher, ob da wirklich alle Interessenten aus einem Sammlungsfeld die Angebote verfolgen.” Das könnte ein Nachteil für Verkäufer sein: “Ich rechne mit höheren Preisen bei Spezialauktionen oder bei den Auktionshäusern, die weltweit die wichtigsten Käufer kennen”, sagt van Rosenthal.
2. Schnelle Schätzung – Vorteil für Verkäufer
Es kommt allerdings nicht jedem Verkäufer auf den Höchstpreis an. Darauf setzt Auctionata. Geschäftsführer Zacke erklärt: “Sammler, die genau wissen, was sie haben, bieten ihre Objekte bei Spezialauktionen an. Zu uns kommen Menschen, die nicht genau wissen, was sie haben.” Oft seien es Erben. Kleinere Auktionshäuser schätzen bei solchen Anfragen nicht immer, sie sind oft spezialisiert und haben für bestimmte Gebiete keine Experten. Zacke verspricht, dass der Einlieferer bei Auctionata in der Regel binnen in 14 Tagen eine Expertise erhält – egal, ob zu Asiatika oder Steiff-Tieren.
3. Objekte per Foto bewerten – Nachteil und Vorteil
Auctionata-Experten schätzen meist auf Basis von Fotos. Firmengründer Zacke beurteilt die Qualität solcher Expertisen optimistisch. Anhand guter Fotos könnten Spezialisten “die überwiegende Zahl der Objekte” schätzen. Zacke erläutert: “Ab einem bestimmten Wert müssten die Experten die Objekte zwingend vor sich gehabt haben, die Summen sind von Gebiet zu Gebiet unterschiedlich, in der Regel ab 5000 Euro.”
Klar, bei niedrigeren Schätzpreisen ist es wenig wahrscheinlich, dass sich jemand die Mühe einer Fälschung macht. Aber bei der Schätzung geht es nicht allein um die Echtheit, sondern auch um den Wert. Und da sind nicht alle in der Branche von Fern-Schätzungen überzeugt. Stefan Horsthemke, geschäftsführender Gesellschafter der Düsseldorfer Kunstberatungsgesellschaft Berenberg Art Advice zum Beispiel hält es für unerlässlich, als Käufer Objekte über 2500 Euro vor Ort zu betrachten, um sie qualifiziert zu bewerten: “Man kann anhand eines Fotos nicht beurteilen, ob antikes Silber vielleicht nur versilbert ist, ob der Zustand eines Warhol-Drucks wirklich perfekt ist, wie gut ein Ölbild restauriert ist.”
Immerhin: Laut Alexander Zacke kann jeder Interessent in Berlin die bei Auctionata zum Verkauf eingelagerten Objekte besichtigen. So können sich Käufer einen Wissensvorsprung sichern. Ist der Zustand besser als beschrieben? Hat der Experte vielleicht die Entstehungszeit falsch eingeschätzt? Vielleicht ist der Schätzpreis zu niedrig, vielleicht zu hoch.
4. Echtheitsgarantie – Vorteil mit Einschränkung
Auctionata wirbt mit “25 Jahren Echtheitsgarantie”. So lange will das Unternehmen den Kaufpreis zurückerstatten, sollten im Nachhinein Zweifel an der Echtheit eines Objekts entstehen und sollte ein Experte im Schiedsgutachterverfahren den Verdacht bestätigen. 1,5 Prozent des Bruttoumsatzes der Firma werden laut der Geschäftführung für solche Garantiefälle auf einem Bilanzkonto gebucht. Die Bedingungen sollte man sich allerdings ganz genau durchlesen – und auch danach nicht blind auf die Garantie vertrauen.
Der Amsterdamer Berater Johan Bosch van Rosenthal stellt sich bei Garantien in der Praxis solche Fragen: “Gibt es das Unternehmen in zehn Jahren noch, dass diese Garantie gibt? Welchen finanziellen Schaden kann das Unternehmen verkraften? Und wie läuft das in komplizierten Fällen?” Kompliziert wäre zum Beispiel ein solcher Fall: Chinesisches Porzellan aus dem 18. Jahrhundert wird mit einer Montierung (Metallteilen) aus dem 18. Jahrhundert versteigert. Später stellt sich heraus, dass die Montierung aus dem 19. Jahrhundert stammt, die Experten haben den Fehler in der Beschreibung nicht erkannt. Wäre das von einer Echtheitsgarantie abgedeckt?
5. Neue Käufer, neue Angebote – Vorteil für alle
Im Web fehlt auf dem Markt für Kunst und Antiquitäten ein großer Online-Anbieter zwischen Ebay und den großen Auktionshäusern. Sotheby’s und Christie’s sind auf teurere Objekte spezialisiert, die Häuser haben bei ihren Herbstauktionen in New York Objekte für eine Milliarde Euro versteigert. Bei reinen Online-Auktionen verkaufen diese Anbieter nur wenige, ausgewählte, nicht ganz so teure Werke. Drucke von Matissezum Beispiel (um die 20.000 Dollar), Schmuck und Schuhe aus der Sammlung von Elizabeth Taylor (die Preise reichten von 780 bis 108.000 Dollar). Auch das renommierte dänische Auktionshaus Bruun Rasmusen verkauft online günstigere Objekte (zehn mal so viele verkaufte Objekte online bringen 60 Prozent des Gesamtumsatzes).
Es gibt also Käufer, die online Kunst und Antiquitäten kaufen, wenn auch nicht für sechsstellige Summen. Auctionata könnte diesem Markt neue Objekte zuführen und neue Käufer locken, die wohlhabend sind, aber nicht zu den Superreichen gehören.
Wer allerdings kauft, um sein Vermögen zu mehren, sollte genau wissen, was er tut. Agnes Dabrowski, Redaktionsleiterin beim Fachmagazin Artinvestor, warnt: “Der Kunstmarkt basiert auf Geheimwissen, wovon vor allem Händler profitieren. Sie können bei verschiedenen Kunden verschiedene Preise verlangen. Kunden, die sich nicht auskennen, zahlen meist drauf, oder aber sie kaufen Minderwertiges.” Der Düsseldorfer Berater Stefan Horsthemke warnt: “Nur wer sein Sammlungsgebiet genau kennt und viel Zeit investiert, kann bei Online-Auktionen Glück haben und zu niedrig bewertete Objekte entdecken.”