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Online-Musik: Amazon greift mit Anti-Apple-Allianz iTunes an (Spiegel Online, 28.12.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Online-Musik

Amazon greift mit Anti-Apple-Allianz iTunes an

Der Musikriese Warner verkauft jetzt sein ganzes Repertoire über Amazon – und wird Teil einer neuen Allianz gegen Apples iTunes. Kunden bekommen Lieder zu viel besseren Konditionen, ohne Gängel-Software, in höherer Qualität, zum Teil sogar erheblich billiger.

Spiegel Online, 28.12.2007

Der Online-Riese Amazon ist an Apple vorbeigezogen: 2,9 Millionen freie Lieder verkauft der als Buchversender gestartete Konzern jetzt in seinem US-Online-Musikshop. Frei – das heißt: ohne Gängel-Software. Die Songs können auf allen und auf beliebig vielen MP3-Geräten abgespielt werden. Apple hat nur zwei Millionen solcher Lieder ohne digitale Rechteverwaltung im Angebot.

Der Grund für Amazons Coup: Im Download-Angebot sind seit wenigen Stunden auch knapp 900.000 Songs des Platten-Riesen Warner Music. Damit verkaufen jetzt drei der vier Musik-Giganten bei Amazon Material ohne digitales Rechtemanagement: EMI, Universal Music, Warner. Nur SonyBMG hält noch an Kopier- und Abspielbeschränkungen fest.
Apples Download-Shop iTunes, mit sechs Millionen Liedern Marktführer, hat ein vergleichbar frei nutzbares Angebot nur bei Material von EMI.

Deutsche Kunden können nicht direkt vom Amazon-Angebot profitieren. Denn nur Amazon-Kunden mit US-Zahlungsdaten dürfen die MP3-Dateien kaufen. Eine Ausweitung des Angebots nach Deutschland sei grundsätzlich möglich – derzeit aber nicht konkret geplant, heißt es bei Amazon.

Allerdings profitieren deutsche Kunden durchaus davon, dass Amazon Druck auf den Marktführer iTunes macht. Im Oktober hat Apple die Preise für Musik-Downloads ohne Kopierschutz von 1,29 Euro auf 99 Cent gesenkt. Eine Abwehrreaktion, nachdem Amazon in den USA kopierschutzfreie Download-Musik zum Tiefpreis angeboten hatte.

Amazon-Musik läuft auf jedem Gerät

Amazon setzt darauf, Apple mit einem exklusiven Angebot zu schlagen. Bill Carr, Manager des Handelsriesen, jubelt in der Mitteilung zum Deal mit Warner: "Wir haben Tausende Kunden-E-Mails erhalten. Sie danken uns dafür, dass wir das größte Angebot an MP3-Download-Musik bieten, das auf jedem Abspiel-Gerät läuft." Sogar Warner-Manager Michael Nash sagt: "Kunden wollen flexibel sein, was sie mit einmal gekaufter Musik machen dürfen."

Das ist das Verblüffende an Amazons Angebot: Musikkonzerne, die lange Zeit erbittert dafür gekämpft haben, ihre Kunden mittels Software gängeln zu dürfen, sind nun für totales Laissez-faire.

  • Die Amazon-Songs laufen auf beliebig vielen Abspielgeräten – gleichzeitig.
  • Kunden können die Dateien problemlos in iTunes oder den Windows Media Player importieren.
  • Die Amazon-MP3s kann man ohne Mehraufwand auf PCs, Macs, iPods, Zunes und jedem anderem MP3-Abspielgerät laufen lassen. Zum Beispiel auch als MP3-CD im Autoradio, das an entsprechenden iTunes-Daten scheitert.

Ein Sprecher von Warner Music bestätigte dem US-Magazin "Wired", dass der Konzern sogar auf digitale Wasserzeichen verzichtet, anhand derer sich die Verbreitung von Dateien im Netz verfolgen lässt. Solche Markierungen nutzt zum Beispiel Universal Music in Amazons Angebot.

Grund für die neue Haltung der Musikkonzerne dürfte sein, dass Apple bei iTunes die Preise diktieren kann. Schon Ende September forderte Jean-Bernard Levy, Vorstandsvorsitzender der Universal-Mutter Vivendi, von Apple öffentlich eine höhere Beteiligung an den iTunes-Einnahmen – bislang bekommt Universal 70 von 99 Cent. Außerdem brauche es flexiblere Preise, sprich: Frische Lieder sollen teurer sein. Wenig später lehnte Universal es ab, einen mehrjährigen Vermarktungsvertrag über iTunes-Verkäufe abzuschließen. Den neuen Vertrag mit Apple kann Universal binnen 30 Tagen kündigen.

Noch können Universal & Co. nicht auf iTunes verzichten. Aber das könnte sich ändern, wenn Apple Marktmacht verliert.

Zwei Drittel der Apple-Songs mit Kopierschutz

Im Download-Shop iTunes ist die Mehrzahl der sechs Millionen angebotenen Lieder durch Apples Rechtemanagement Fairplay geschützt. Nur zwei Millionen Songs kommen ohne diese Einschränkungen. Fairplay schreibt zum Beispiel das vor:

  • Nutzer können die gekauften Lieder auf höchstens fünf verschiedenen Computer gleichzeitig abspielen.
  • Die Fairplay-geschützten Dateien können nur mit der Apple-Software iTunes oder auf einem iPod oder iPhone abgespielt werden.
  • Eine in iTunes erstellte Musik-Playlist kann höchstens sieben Mal unverändert als CD gebrannt werden.

Man kann diesen Schutz legal aushebeln, indem man die Dateien als CD brennt und dann wieder in iTunes importiert. Allerdings ist das ein lästiger, bei großen Musiksammlungen arg aufwändiger Weg. Hinzu kommt, dass die Fairplay-geschützten Songs bei iTunes mit einer Qualität von 128 Kilobit pro Sekunde im Format AAC angeboten werden – bei Amazon ist der gesamte Katalog mit 256 Kilobit pro Sekunde als MP3 kodiert. Bei Apple gibt es nur knapp zwei Millionen Songs in dieser Qualität.

iTunes hat 70 Prozent Marktanteil

Abgesehen davon, dass die Amazon-Musik problemlos auf iPods, Heim-PCs und im MP3-Autoradio läuft, ist sie oft auch noch billiger zu haben als bei Apple.

Ein Drittel der 2,9 Millionen Songs kostet bei Amazon 89 US-Cent – 10 Cent weniger als bei Apple.

Die 100 bestverkauften Alben kann man bei Amazon für jeweils 8,99 Dollar laden – ein Zehntel billiger als bei iTunes.

Der Druck auf Marktführer Apple wächst enorm. Allerdings hat Amazon noch einen ordentlichen Vorsprung von iTunes aufzuholen. Über iTunes werden weltweit etwa 70 Prozent der bezahlten Online-Musikdownloads abgewickelt, drei Milliarden Songs wurden bis Anfang Dezember verkauft. Außerdem ist iTunes in mehr als 20 Staaten weltweit verfügbar. Westeuropa, Japan, Australien – hier muss Amazons Musikshop bei Null anfangen.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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