Online-Poker: Konto gesperrt, Kohle weg (Spiegel Online, 11.6.2008)
Online-Poker
Konto gesperrt, Kohle weg
In Deutschland ist Online-Pokern mit Geldeinsatz verboten, wird aber kaum verfolgt. Doch Zockern kann ein böses Erwachen drohen: Wenn die im Ausland ansässigen Kasinos entscheiden, die Gewinne der Spieler einzuziehen – wegen Verstößen gegen die oft undurchsichtigen Regeln.
Spiegel Online, 11.6.2008
280 Dollar! Das ist nicht viel Geld für Andre W. (Name von der
Redaktion geändert). Der Projektmanager bei einem deutschen
Beratungsunternehmen hat beim Online-Poker schon mehr gewonnen – und
auch mehr Echtgeld eingezahlt. Bis das Online-Kasino vor kurzem
plötzlich sein Spielkonto sperrte und die 280 Dollar darauf einzog.
Warum, wurde W. nicht mitgeteilt.
Der Freizeitspieler reimte sich selbst zusammen, was die Sperrung
provoziert haben könnte: "Ich gehe davon aus, dass es damit
zusammenhängt, dass ich von Brasilien aus auf die Seite zugegriffen
habe – ich war dort im Urlaub." Auf seine Anfragen ging der
Kundendienst nicht ein: "Sie meinten nur, ich hätte gegen die AGB
verstoßen und die Entscheidung sei endgültig. Immer derselbe Text. Da
der Firmensitz irgendwo auf Gibraltar ist, muss man auch keinen
Gedanken daran verschwenden, rechtliche Schritte einzuleiten."
Fazit: Das Geld ist weg.
Von ähnlichen Problemen berichten viele Spieler in Poker-Foren.
Erstaunlich dabei: Sie gestehen dabei alle freimütig, mit Klarnamen und
für jeden lesbar ein, dass sie Straftaten begangen haben. Denn das
Zocken um Echtgeld bei Poker-Portalen im Web ohne behördliche Erlaubnis
verstößt gegen Paragraph 285 des Strafgesetzbuchs: Wer sich an
unerlaubtem Glücksspiel beteiligt, kann danach mit "Freiheitsstrafe bis
zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu einhundertachtzig
Tagessätzen" bestraft werden.
Verboten, aber kaum verfolgt
Der Hamburger Anwalt Martin Bahr, Experte für Glücksspielrecht und
das Recht der Neuen Medien, sieht bei diesem Gesetz wenig
Interpretationsspielraum: "Wer in Deutschland bei einem Online-Anbieter
im Ausland mit mehr als 50 Cent Einsatz spielt, macht sich strafbar,
ohne Wenn und Aber. In der Begründung dieses Ende der neunziger Jahre
neu formulierten Paragraphen ist ausdrücklich das Glücksspiel im
Internet aufgeführt."
Die Kasino-Betreiber sehen das – natürlich – anders. Die schwedische
Firma Ongame Network, die die Portale Europoker und Pokerroom betreibt,
sieht zum Beispiel überhaupt keine Rechtsunsicherheit. Denn, so führt
die Firma in einer Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE aus: "§ 284
StGB ist nicht anwendbar, weil es sich bei der von uns angebotenen
Poker-Variante um Texas Hold’em handelt und diese Poker-Variante
rechtlich als Geschicklichkeitsspiel und damit nicht als (unerlaubtes)
Glücksspiel anzusehen ist." Unabhängig davon verfüge Ongame über
EU-Lizenzen, die nach den europäischen Grundfreiheiten auch in
Deutschland gelten würden.
Das Problem dabei: Man
weiß nicht, ob ein deutsches Gericht dieser Argumentation folgt, weil
es bisher keine entsprechenden Prozesse gegeben hat. Deutsche
Staatsanwaltschaften verfolgen diese Online-Vergehen kaum. Laut Anwalt
Bahr lassen sich die angestrengten Verfahren wegen Beteiligung am
unerlaubten Online-Glücksspiel "an einer Hand abzählen". Der Experte
für Glücksspielrecht erklärt das damit, dass die Staatsanwaltschaften
ohnehin schon mit den Gewaltdelikten überlastet seien: "Beim illegalen
Glücksspiel haben sie dann noch mehr als genug mit den Sportwettbüros
und Pokerturnieren vor Ort zu tun. Es ist personell einfach nicht zu
leisten, alle online zockenden Bürger zu verfolgen."
Geld fließt ungehindert an Web-Kasinos
Zocken können sie problemlos online, weil der deutsche Gesetzgeber
zwar ein restriktives Verbot erlassen und das Glücksspiel monopolisiert
hat, aber wenig für die Durchsetzung tat. In den Vereinigten Staaten
zum Beispiel verbietet es der "Unlawful Internet Gambling Enforcement
Act" Banken und Finanzdienstleistern, Zahlungen zwischen US-Bürgern und
Online-Zock-Angeboten im Ausland abzuwickeln (siehe Kasten unten). In
Deutschland gibt es kein vergleichbares Gesetz.
ONLINE-ZOCK-VERBOT: DIE US-STRATEGIE GEGEN DAS WEB-GLÜCKSSPIEL
Neue Gesetze
Entschädigungs-Deals |
In einem der wenigen bekannten Online-Glücksspielfälle, die vor
einem deutschen Gericht landeten, wurde die Angeklagte gar nicht wegen
des Glücksspielparagraphen verurteilt, sondern wegen versuchten Betrugs
beim Erschleichen von Krediten zur Finanzierung ihrer Spielsucht.
Interessantes Detail: Die Angeklagte soll 40.000 Dollar in
Online-Kasinos erspielt und mehr als 120.000 Dollar verloren haben, wie
die " Neue Presse Coburg" im vorigen Oktober berichtete. Soviel zum Schutz vor Spielsucht per Glücksspielmonopol.
Restriktives Gesetz, aber kaum Unrechtsbewusstsein
Die Folge der kaum stattfindenden Verfolgung: Kaum jemandem scheint
das Verbot bekannt zu sein – und falls doch, wird es nicht ernst
genommen: Zwischen 500.000 und drei Millionen Deutsche spielen trotz
Verbots regelmäßig bei ausländischen Online-Kasinos um Geld. Soweit die
Zahlen aus diversen Umfragen und Studien – repräsentative
Untersuchungen mit belastbaren Zahlen gibt es nicht.
Viele Spieler wie Projektmanager W. merken erst nach dem Einzug des
Guthabens, dass sie keinen Anspruch auf das Geld haben, das sie an
Online-Kasinos überwiesen oder dort gewonnen haben. Faktisch ist die
Auszahlung Ermessenssache der Unternehmen. Man kann nur darauf hoffen,
dass sie ihre Macht auch tatsächlich nur gegen Betrugsversuche nutzen –
und dass sie nur selten falsch entscheiden.
Der Pokerportal-Betreiber Ongame Network aus Schweden erklärt zu
diesem Rechtsproblem in einer Stellungnahme gegenüber SPIEGEL ONLINE,
dass "die Spieler aus Deutschland selbstverständlich einen rechtlichen
Anspruch auf ihr Geld haben, der auch einklagbar ist". Nur, so Ongame:
"Natürlich ist – wie bei allen anderen im Ausland bestellten Waren
beziehungsweise Dienstleistungen – die gerichtliche Durchsetzung
aufwendiger als im Inland."
Das formulieren auch die meisten Anbieter klar in ihren
Geschäftsbedingungen – wer diese langen, etwas versteckten Rechtstexte
liest, bekommt nach langer Studienzeit einen recht guten Eindruck
davon, worauf er sich einlässt (siehe Kasten unten).
ONLINE-POKER: DAS STEHT IN DEN GESCHÄFTSBEDINGUNGEN DER KASINOS
Spielergeld darf ohne Widerspruchsrecht eingezogen werden, Guthaben
Geld einfrieren bei Verdacht
Dazu erklärt die schwedische Firma Ongame Network Ltd., Betreiber von Europoker und Pokerroom: Quellen: Europoker-AGB
Firmenentscheidungen sind endgültig
Dazu erklärt die schwedische Firma Ongame Network Ltd., Betreiber von Europoker und Pokerroom:
Pokerstars hat auf die Fragen „Bedeutet, dass bei bloßen Quellen:Europoker-AGB, Pokerstars-AGB
Guthaben verfällt bei Nicht-Nutzung
Dazu erklärt Partypoker auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE: Quellen: Partypoker-AGB, Partypoker-Gebührenordnung
Im Spiel-Chat nicht kritisieren
Pokerstars hat auf die Fragen "Beudeutet das, dass wer Quellen: Pokerstars-AGB
Was geschieht mit dem Geld, wenn die Site schließt?
Dazu erklärt die schwedische Firma Ongame Network Ltd., Betreiber von Europoker und Pokerroom: Quellen: Europoker-AGB
Datenschutz und Spähprogramme
Auf die Frage, ob das die einzigen Informationen sind, die gescannt Quellen: Europoker-AGB
Klagen bitte auf der Isle of Man, in Kanada oder Schweden
Dazu erklärt Partypoker: "Wir bieten einen Spieldienst von
Dazu erklärt die schwedische Firma Ongame Network Ltd., Betreiber von Europoker und Pokerroom:
Pokerstars hat auf die Frage "Diese Formulierung widerspricht Quellen: Europoker-AGB, Pokerstars-AGB, Partypoker-AGB |
Viele dieser Passagen widersprechen deutschem Recht. Der Experte für
Glücksspielrecht Martin Bahr erklärt: "Für deutsche Verbraucher gilt
deutsches Recht, auch wenn die Online-Poker-Anbieter das in ihren
Geschäftsbedingungen ausschließen. Das ist aber bedeutungslos."
Faktisch ist Online-Zocken in Deutschland unreguliert
Denn nach deutschem Recht sind die Verträge zwischen den Spielern und
Unternehmen gegenstandslos, da sie gegen das Verbot unerlaubten
Glückspiels verstoßen. Die Folge: Die Unternehmen haben nach deutschem
Recht keinen Anspruch auf Zahlungen der Spieler, die Spieler haben
keinen Anspruch auf Auszahlung erspielter Gewinne oder eingezahlter
Beträge.
In Deutschland wird niemand gegen die Betreiber eines Poker-Portals
klagen, weil sein Guthaben eingefroren wurde. Anwalt Bahr erläutert:
"In Deutschland können die nicht klagen, und auf der Isle of Man oder
sonstwo wird das kaum jemand tun angesichts der Kosten. Sollte das mal
angesichts hoher Summen jemand dennoch versuchen, müsste er angesichts
der zu erwartenden Publicity eine strafrechtliche Verfolgung in
Deutschland fürchten." Und womöglich auch Forderungen des Finanzamts,
wenn die Tätigkeit gewerblich erscheint (siehe Kasten unten).
ONLINE-GLÜCKSSPIEL: MÜSSEN ZOCKER IHRE GEWINNE VERSTEUERN?
Glücksspielgewinne generell steuerfrei
Einschränkung: gewerbliche Berufsspieler müssen zahlen
Wann ist Online-Poker gewerblich?
Meldet das Finanzamt Online-Zocker der Staatsanwaltschaft? |
Hartes Gesetz schützt nicht vor Spielsucht
Wer sich in seinem Bekanntenkreis und in deutschen
Online-Poker-Foren umhört, merkt bald, dass deutsche Glücksspielgesetze
online ähnlich kontraproduktiv wirken wie die strengen Auflagen für in Deutschland ansässige Pornoanbieter beim Jugendschutz
Die Anbieter ziehen allesamt ins Ausland und machen dort alles, wofür
Kunden zahlen – auch und erst recht, was deutsche Gesetze verbieten.
Harte Pornografie ist in Deutschland online ohne jede Altersprüfung
verfügbar, und beim Onlinezocken kann jeder Bundesbürger mit
Kreditkarte und Internet-Zugang so viel Geld verspielen, wie er will
und kann, ohne dass irgendwelche deutschen Restriktionen greifen. Der
Coburger Fall ist dafür ein krasses Beispiel.
Der Rechtsexperte Bahr formuliert daher sein Fazit so: "Unerlaubtes
Glücksspiel ist verboten, das Bundesverfassungsgericht hat diese
Monopolisierung erlaubt, da sie dem Schutz vor Spielsucht dienen soll.
Tatsächlich greift dieser Schutz nicht, unerlaubtes Glücksspiel mit
Echtgeldeinsatz wird online millionenfach praktiziert – und das völlig
unreguliert."