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Partylöwen statt Drachentöter (Neue Züricher Zeitung, 10.1.2003)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Partylöwen statt Drachentöter

«Sims Online» als soziales Experimentierfeld

 

Neue Züricher Zeitung, 10.1.2003

«Es soll keine Ritter, Elfen, Zwerge oder Drachen geben»: Mit dieser Forderung provozierte vor fast zwei Jahren ein Veteran des Computerspieldesigns, Ernest W. Adams, seine Zunft. Nicht jede einzelne Zeile seines «Dogma 2001» war todernst gemeint, sein Grundanliegen aber schon: mehr Kreativität und Innovation statt eingefahrener Genres. Die Macher des neuen Onlinerollenspiels «Sims Online» haben das beherzigt. Hier zieht man nicht als Ritter, Magier oder dergleichen in eine Fantasywelt, sondern als gewöhnlicher Erdenbewohner des frühen 21. Jahrhunderts in eine vorstädtische Umgebung.

«Sims Online» ist vieles: für Marketingexperten ein Versuch, neue Zielgruppen zu erschliessen; für Gelegenheitsspieler ein sehr avancierter Chatroom; für routinierte Spieler, die noch alte, textbasierte Onlinewelten kennen, eine Rückkehr zu deren Qualitäten wie Kreativität, Humor und Gemeinschaftlichkeit. Vor allem aber ist «Sims Online» ein intellektuelles Experiment seines Designers Will Wright.

Wrights erster Erfolg, «Sim City», begann als Hilfsprogramm zum Gestalten von Stadtlandschaften für ein anderes, längst vergessenes Spiel. Wright faszinierte die Frage: Wie funktioniert eine Stadt? Er analysierte ältere Computersimulationen wie die des MIT-Professors Jay Forrester, las Bücher über Stadtplanung und programmierte schliesslich seine eigene Theorie – «Sim City». Anders als die meisten Spiele der achtziger Jahre hat «Sim City» kein Ende. Es gleicht eher einem Haufen Legosteine als einer Erzählung. Dabei ist «Sim City» ebenso Spiel wie Simulation: einfach genug, um zu unterhalten – ausreichend komplex, um für lange Zeit spannend zu bleiben.

Wrights bisher grösster kommerzieller Erfolg ist mit nahezu 20 Millionen verkauften Exemplaren und Erweiterungen «Die Sims». Das im Jahr 2000 erschienene Spiel zoomt sich eine Ebene näher an das Geschehen als «Sim City». Das Experimentierfeld ist nicht mehr eine ganze Stadt, sondern ein Stadtviertel und vor allem das Wohnumfeld einer Lebensgemeinschaft. Der Spieler kann seine Sims in Liebesaffären, berufliche Karrieren oder die Jagd nach sozialem Ansehen stürzen. Doch «Die Sims» simuliert nicht so sehr das Leben als vielmehr die Beziehung zwischen Mensch und Lebensumwelt. Wright nennt immer wieder die Arbeiten des Architekten Christopher Alexander als theoretische Grundlage seines Spiels. Alexander betrachtet architektonische Formen ausgehend von ihrer sozialen Funktion. Bei den «Sims» sind nicht die Figuren intelligent, sondern ihr Umfeld. Alle im Spiel möglichen Objekte haben bestimmte Eigenschaften, die zusammengenommen das Befinden und Leben der Sims bestimmen. Der Reiz des Spiels ist ähnlich wie in «Sim City» das Bauen, Experimentieren und Betrachten der Auswirkungen. Mit dem Unterschied, dass in «Die Sims» die Wirkung viel konkreter dargestellt ist, weil es nicht um statistische Konsequenzen, sondern um individuelle Reaktionen geht.

«Sims Online» ist die erste soziale Simulation Will Wrights. Der Spieler ist hier nicht nur allmächtiger Beobachter, sondern zugleich auch Teil des Experiments und Beobachtungsobjekt zigtausend anderer menschlicher Mitspieler. Das zeichnet eigentlich alle Onlinerollenspiele aus; das Besondere an «Sims Online» ist aber die Freiheit, unterschiedlichste Alternativen durchzuspielen.

«Sims Online» schränkt seine Spieler auch ein, zwingt sie zur sozialen Interaktion. Das beginnt bei der Architektur: Bis zu acht Bewohner können ein Haus bevölkern. Das lohnt sich, weil man so die Investitionskosten für Einrichtung und dergleichen teilen kann. Auch lassen sich viele Aufgaben – zum Beispiel das Backen von Pizza – nur in kleinen Gemeinschaften erledigen. Zudem gibt es keine Orte ausserhalb von bewohnten Häusern. Anwesen, deren Spieler offline sind, kann man nicht betreten, öffentliche Plätze existieren nicht. Die Topographie von «Sims Online» ist eine soziale.

Soziale Interaktion wird gefördert, doch die Art, wie die Spielfiguren miteinander umgehen, ist ihnen weitgehend – verboten sind allzu wüste Beschimpfungen und Sex – selbst überlassen. Geld verdient man zum Beispiel, wenn andere Sims gerne das eigene Anwesen besuchen. Das tun sie, um unterschiedliche Bedürfnisse zu befriedigen: Essen, Bildung, Verdienst, Spass, soziale Kontakte. Je länger Spieler zu Gast sind, desto mehr Geld bekommt man. Die Kreativität der Spieler beim Schaffen solcher Anwesen fördern die Designer, indem die beliebtesten Orte nach zehn verschiedenen Kategorien definiert werden können: Romantik gehört ebenso dazu wie Humor oder Weiterbildung. Im Betatest entstanden so abgedrehte Häuser wie eine Gartenzwergfabrik. Hier zeigt sich eine Eigenart von «Sims Online»: Die Kommunikation ist generell elaborierter und humorvoller als in anderen grafischen Onlinerollenspielen – und die Spieler sind im Durchschnitt kreativer.

Vor allem kann man diese Vielfalt in «Sims Online» nach kurzer Zeit erleben. Auch Neulinge können ohne allzu grosse Angst um ihr Leben in die virtuelle Welt hinausziehen – anders als in Onlinerollenspielen wie «Everquest» oder «Ultima Online», wo man viele Monster töten muss, um diese Freiheit zu erlangen. Titel wie «Everquest» sind zwar etwas komplexer, doch anders als bei «Sims Online» vergeht viel Zeit, bis man die wirklich spannenden sozialen Elemente – zum Beispiel Gilden – erleben kann. Die Herausforderungen sind in «Sims Online» weniger eindeutig – die Belohnungen dafür umso vielfältiger.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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