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Piratenseite im Zwielicht: Rechtspopulist finanziert Internet-Tauschbörse (Spiegel Online, 4.5.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Piratenseite im Zwielicht

Rechtspopulist finanziert Internet-Tauschbörse

Das weltweit größte Verzeichnis illegaler und legaler Tauschbörseninhalte ist in Schweden noch immer online: Pirate Bay triumphiert. Jetzt kommt heraus: Der schwedische Rechtspopulist Carl Lundström finanziert die Piratenseite.

Spiegel Online, 4.5.2007

Das Schiff bäumt sich auf dem Kamm einer Welle hoch, die Gischt spritzt, der Wind bläht das Piratenzeichen auf dem Hauptsegel auf – es geht vorwärts. Dieses Symbol des weltweit größten Portals für die Tauschbörse Bittorrent sieht man im Netz noch immer. Vor fast einem Jahr hat die schwedische Polizei in Stockholm die Server von Pirate Bay beschlagnahmt. Doch bis heute hat die Staatsanwaltschaft keine Anklage erhoben.

Pirate Bay ist längst wieder online. Nach wie vor findet man dort Links zu Kinofilmen, Fernsehserien, Musik und Software – Microsoft Office 2007, Spiderman 3, die Alben der Red Hot Chili Peppers? Alles da. Ermöglicht hat das der schwedische Rechtspopulist Carl Lundström. Er finanziert Server und Internetanbindung von Pirate Bay.

Gerüchte über die Unterstützung von Lundström kamen in Schweden schon im vorigen Jahr auf. Ende April hat sie Pirate-Bay-Sprecher Tobias Andersson im schwedischen Fernsehen bestätigen müssen. In der Talk Show Bert auf dem Sender TV8 konfrontierte ihn der Moderator Bert Karlsson – Anfang der 90er Rechtpopulist, dann Musikproduzent und Erfinder der schwedischen DSDS-Variante "Fame Factory" – mit Beweisen für die Unterstützung durch Lundström.

"Ohne Lundström kein Pirate Bay"

Andersson gab vor laufenden Kameras zu: "Ja, er hat uns die Server und die Webanbindung gesponsert." Auf YouTube kursiert ein Ausschnitt dieses Geständnisses. Ein entscheidendes Detail unterschlägt die englische Übersetzung aber – Andersson sagt in dem Tumult auch: "Ohne die Unterstützung von Carl Lundström hätte Pirate Bay nicht starten können."

Der Moderator Bert Karlsson wirft Pirate Bay eine noch viel größere Abhängigkeit von Lundström vor: Der habe die Piraten-Gruppe mit Millionensummen unterstützt. Weder Vertreter von Pirate Bay noch der aus der Gruppe hervorgegangenen Piraten-Partei wollen dazu Stellung nehmen. Mikael Viborg, Anwalt von Pirate Bay, sagte SPIEGEL ONLINE: "Carl Lundström ist ein Unterstützer freier Kultur." Lundström gehöre aber nicht zu den Gründern von Pirate Bay.

Ihm gehöre eine Telekommunikationsfirma, er habe Pirate Bay "Dienstleistungen erbracht, für die er bezahlt wurde, so weit ich weiß". Viborg könnte damit die Bannerwerbung für Lundströms Firma "Rix Telecom" meinen. Die lief tatsächlich einmal auf dem Portal. Allerdings will Viborg das ausdrücklich als private Aussage verstanden wissen, er spreche nicht offiziell für Pirate Bay.

Lundström finanziert rechtsextreme Parteien

Der Pirate-Bay-Financier Carl Lundström ist in Schweden nicht unbedingt als Verfechter einer "freien Kultur" bekannt. Die angesehene Wirtschaftszeitung "Ekonomi Nyheterna" nennt ihn einen "Rechtsextremen". Lundström, einer der Erben des Knäckebrot-Imperiums Wasabröd, habe in der Vergangenheit zahlreiche rechts-populistische oder rechts-radikale Bewegungen und Splitterparteien finanziert.

So zum Beispiel die Sverigedemokraterna, die Nationaldemokraterna, die Framstegspartiet und die Bewegung "Bevara Sverige Svenskt" (Haltet Schweden Schwedisch). Laut "Ekonomi Nyheterna" wurde Carl Lundström 1988 wegen eines tätlichen Angriffs auf drei Ausländer in Stockholm verurteilt. Das alles ist den Pirate-Bay-Machern bekannt. Tobias Andersson verteidigte sich im Fernsehen so: "Es ist besser, wenn er uns das Geld gibt als Sverigedemokraterna."

Seit diesem Fernseh-Interview äußert sich die Gruppe hinter Pirate Bay nicht mehr zu ihrer Finanzierung. Sie haben es so bislang tatsächlich geschafft, die Geschichte nicht aus Schwedens herausdringen zu lassen. In einem Gespräch mit der Los Angeles Times vorige Woche konnte Pirate-Bay-Programmierer Peter Sunde ohne lästige Zwischenfragen zu Lundström von einer angeblich unknackbaren Tauschbörse schwärmen, die die Gruppe programmiert.

Pirate Bay kann weitermachen

Obwohl die schwedische Polizei im vorigen Mai die Server von Pirate Bay beschlagnahmt hat, kann die Gruppe mit neuer Technik weitermachen wie zuvor. Bis zum 1. Juni muss die Staatsanwaltschaft Anklage erheben. Der Anwalt der Gruppe Mikael Viborg ist zuversichtlich: "Meiner Meinung nach, ist es nach schwedischem Urheberrecht unmöglich, eine Anklage gegen Pirate Bay zu erheben."

Auch die Musikindustrie ist vorsichtig mit Einschätzungen. Nach einem Triumphschrei im vorigen Mai, halten sich die Vertreter des internationalen Musikverbands IFPI nun bedeckt. Magnus Mårtensson, Rechtsanwalt bei IFPI Schweden sagt zu SPIEGEL ONLINE: "Die Ermittlungen laufen, die Polizei untersucht die beschlagnahmten Server, das ist aus technischer Sicht sehr kompliziert."

Der Musikindustrie hat die Razzia nichts gebracht

Tatsächlich hat die Razzia gegen Pirate Bay im vorigen Jahr der Musikindustrie gar nichts gebracht. Mårtensson: "In Schweden sind Bittorrent und Direct Connect nach wie vor sehr populär." Und anders als seine IFPI-Kollegen in anderen Staaten will Mårtensson den geschätzten Schaden durch Pirate Bay nicht beziffern: "Das wären Schätzungen, sehr riskante Schätzungen."

Profitiert hat von der Polizei-Aktion bislang vor allem die schwedische Piraten-Partei, die aus Pirate Bay hervorgegangen ist: Sie gewinnt Mitglieder. Fragen zur Verbindung mit Pirate Bay und Carl Lundström hat die Partei SPIEGEL ONLINE nicht beantwortet. Fest steht: Die Partei will sich nicht ins Links-Rechts-Schema pressen lassen. Sie verzichtet auf politische Aussagen zu anderen Themen als dem Urheberrecht.

Damit hat sie viele potentielle Wähler: 1,2 der 9 Millionen Schweden gaben bei einer Umfrage der Markforschungsfirma Mediavision im vorigen Sommer an, Musik aus Tauschbörsen geladen zu haben. Bislang hat die Piraten-Partei diese Chancen bei Wahlen nicht nutzen können. Aber sie hat inzwischen nach eigenen Angaben fast 9000 Mitglieder. Zum Vergleich: Die schwedischen Grünen haben 9550 Mitglieder.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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