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Pornofilm und Internet: Mit Hochglanz gegen den Web-Trash (Spiegel Online, 29.3.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Pornofilm und Internet

Mit Hochglanz gegen den Web-Trash

Der deutsche Pornofilm steckt in der Krise. Die kostenlose Web-Konkurrenz treibt die Branche zum härter, billiger, schneller – ein Rezept, das nicht aufgeht. Jetzt versuchen junge Regisseure, mit aufwendigen, ästhetischeren Filmen dagegenzuhalten.

Spiegel Online, 29.3.2007

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So etwas war auf einer Porno-DVD noch nie zu sehen: das Wiener Prater-Riesenrad bei Nacht, zwei Frauen, ein Mann – und alle sind vollständig bekleidet! Sie küssen sich leidenschaftlich. Mehr zeigt das Cover von "Viennese" nicht – zumindest vorn, denn hinten, wo die Infos zum Film stehen, geht es natürlich zur Sache.


Und natürlich sieht man auch im Film Sex in all den Details, die zum Porno gehören. Aber verbunden mit Leidenschaft, Ausstrahlung, mit erotischen Gesichtern – das ist mal wieder neu. Einmal mehr besinnen sich die Pornoproduzenten auf die Möglichkeit, wirklich Filme zu drehen: Trends hin zum ästhetisch anspruchsvollen Porno hatte es in periodischen Abständen immer wieder gegeben. Diesmal aber könnte es die letzte Hoffnung des deutschen Pornofilm-Business sein.

Denn die kostenlose Konkurrenz aus dem Web setzt deutschen Pornofilmproduzenten mächtig zu. Ihre Strategie bislang: die Ästhetik der Internetpornografie kopieren, abseitig oder billig produzieren, am besten beides.

Die Folgen beschreibt Renee Pornero, so der Künstlername der 27-jährigen Regisseurin von Viennese: "Als ich 2001 als Darstellerin begann, wurden im deutschen Raum noch viele Spielfilme produziert. Heute sind nur noch deutsche Fetisch- und Amateur-Produktionen nennenswert. Viele große deutsche Produzenten sind vom Markt verschwunden, weil sie billig produziert und nur Filme eingekauft haben."

Gonzo: Der Mensch reduziert auf Genitalien

Billig-Produktionen sind hart, schnell, ohne jede ästhetische Ambition. Zusammengestückelte Kurzepisoden mit schlecht geschminkten, schlecht ausgeleuchteten nackten Menschen, viele Großaufnahmen der Genitalien.

Dieses Genre heißt Gonzo. Jeden Monat kommen 700 bis 800 neue DVDs mit solchem Stoff in die deutschen Videotheken und Sexshops. Eine Abwärtsspirale: Die Inhalte werden billiger, härter und vor allem austauschbarer – kaum etwas unterscheidet sie noch von den Minuten-Clips im Internet. Warum sollen Kunden dafür zahlen, was zigtausendfach kostenlos im Web zu sehen ist?

Das schlägt sich in den Verkaufszahlen nieder: "Es wird immer schwieriger, den Leuten Filme zu verkaufen", sagt Uwe Kaltenberg, Geschäftsführer des Bundesverbands Erotik Handel. Doch es kommt wohl auf die Filme an. Viennese ist so etwas wie ein Publikumserfolg: Die Erstauslieferung lag bei mehr als 1000 DVDs. Bei einem Ladenverkaufspreis von 30 bis 50 Euro ist das ordentlich. Zumindest die Branchenpresse ist begeistert: "Endlich wieder ein europäischer Pornofilm, wie er aufregender und sehenswerter nicht sein könnte" schreibt das Branchenportal German Adult News.

Besonders fällt bei Viennese die Musik auf: Der Film verzichtet auf gekünstelte Dialoge und die pseudo-dokumentarischen Verbal-Erniedrigungen der Gonzo-Filme. Viennese vertraut den Bildern, Mozart und jungen Wiener Indie-Bands wie Data Hero, Heirstyle und The Curbs. Das passt zur Zielgruppe.

Gegenmittel oder Nischenprodukt?

Die beschreibt Pornero so: "Junge Leute, auch Pärchen und Frauen, die Ästhetik und Leidenschaft in einem Porno sehen wollen." Viennese sieht aus wie ein Film, nicht wie ein Amateurvideo: Die Ausleuchtung ist professionell, der Schnitt ambitioniert, die Außenaufnahmen vom Prater und aus einem Fiaker sind echt – der Kutscher hat beim Außendreh sogar Schaulustige weggescheucht.

Es gibt zu wenige solcher Filme, sagt Peter Preissle, der Produzent von Viennese. Sein Urteil über die Masse: "Zu viel, zu schnell, zu unpersönlich. Es gibt schon genug Amateure, die meinen, sie seien Profis."

Genau das aber ist Trend, ist der Stoff, mit dem eine ganze Generation von Kids aufwächst, die einen ständigen, freien Zugang zum Internet hat. Schon beklagen Pädagogen, Kriminalisten und Psychologen eine mitunter ins gewalttätige abdriftende Sexualisierung der Web-Jugend.

Dass Cliquen von Vierzehnjährigen Gang-Bang-Partys veranstalten, soll keine Seltenheit mehr sein. Kids verabreden sich in Chats zu Blowjob-Dates in Parkhäusern, die dort entstandenen Handyfilme landen auf einschlägigen Webseiten. Das ist Sport: In Kliniken und bei Jugendbehörden laufen minderjährige schwangere Mädchen auf, die fünf, sechs potentielle Väter nennen – und das nicht nur ganz selbstverständlich, sondern mitunter mit Stolz. Keine Generation hatte je so freien Zugang zu härtester Pornografie, die gesellschaftlichen wie psychologischen Konsequenzen sind ungeklärt. Ob sich so ein Trend mit einer bewussten Entscheidung weg von Hardcore-Trash wirklich kontern lässt?

Preissle glaubt an den Film – ästhetisch und ökonomisch: Das bestlaufende Kino der Unternehmensgruppe mache mit drei Sälen (also drei Filmen in der Woche) wöchentlich mehr Gewinn als eine große Internetplattform mit bis zu 300 Filmen im Monat. Preissle: "Wir brauchen wieder mehr Qualität in Bild und Ton, Sorgfalt bei der Produktion, im Schnitt, aufwendige Locations, Außendrehs. Das wären Produkte für ein anderes, kleineres Publikum als im Web – geringerer Absatz, aber höhere Gewinnmargen. In diese Richtung sollte es gehen."

Viennese ist eine der ersten Umsetzungen dieses Konzepts, der erste Film der Post-Internetpornografie-Ära: Paradoxerweise hat gerade die Abkehr von der im Web boomenden Gonzo-Ästhetik die Branche zu anderen Filmen motiviert.

Nun ist der Sex auch in Viennese nicht völlig frei von Pornoklischees. Es gibt zwei Cumshots, die der Sexualwissenschaftler Volkmar Sigusch einen "männlichen Gemeinplatz" nennt: "Die Pornodarstellerin muss so tun, als bereite es ihr die größte Lust, wenn die Ejakulation auf ihren Körper und vor allem in ihr Gesicht erfolgt." Aber Viennese zeigt während dieser Szenen auch in Gegenschnitten das Gesicht des Mannes. Sex ist nicht auf Organe reduziert, es fehlt auch völlig die Gewalt, die gängig ist im Gonzo-Bereich.

Renee Pornero hat eine Lieblings-Sexseite im Netz: Dort sieht man selbstgedrehte Masturbations-Videos von Amateuren. Sie zeigen das für Pornero interessanteste körperliche Detail: Das Gesicht der Menschen beim Orgasmus. Mehr nicht.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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