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Programmierwettbewerb: Google-Handy glänzt mit genialen Tüftlerideen (Spiegel Online, 14.5.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

Programmierwettbewerb

Google-Handy glänzt mit genialen Tüftlerideen 

Da wirkt das iPhone nur noch langweilig: Google hat in einem Zehn-Millionen-Dollar-Wettbewerb Einfälle für neue Handy-Programme gesammelt. Sie machen das Telefon zum Allround-Gerät, das Preise scannt, Reisende führt und vieles mehr – SPIEGEL ONLINE zeigt die besten Ideen.

Spiegel Online, 14.5.2008 mit Matthias Kremp

Was für ein Unterschied. Wer ganz offiziell Software für Apples iPhone programmieren will, muss sich erst mal für 99 Dollar als Entwickler registrieren. Bei Google winkt dagegen Geld für alle, die Anwendungen für das Handy-Betriebssystem Android erstellen – und zwar reichlich, wenn man ein besonders gutes, originelles oder wichtiges Programm entwickelt.

Fünf Millionen Dollar erhalten die Programmierer der jetzt offiziell gekürten 50 besten Android-Anwendungen. Alles in allem verspricht Google sogar zehn Millionen Dollar:

  • 25.000 Dollar Grundvergütung: Den Programmierern der 50 jetzt ausgewählten Anwendungen überweist Google 25.000 Dollar. Darüber hinaus bekommen nehmen sie an einem weiteren Auswahlverfahren teil.  
  • 100.000 Dollar für die Finalisten: Zehn der Finalisten erhalten zusätzlich 100.000 Dollar auf ihr Konto – darüber entscheidet eine Jury im nächsten Auswahlschritt.
  • 275.000 Dollar für die Besten: Und für die zehn besten der 50 nun ausgewählten Anwendungen gibt es 275.000 Dollar Bonus, insgesamt also je 300.000 Dollar
  • 5 Millionen Dollar im nächsten Wettbewerb: Die zweite Hälfte der insgesamt ausgelobten zehn Millionen Dollar soll dann im Rahmen der Android Challenge II verteilt werden, die beginnt sobald die ersten Handys mit Android-Betriebssystem auf den Markt kommen

Natürlich macht der Konzern das nicht ohne Hintersinn. Er will sicherstellen, dass Android-Handys üppig mit neuer Software gefüllt werden können, sobald die ersten Geräte in der zweiten Jahreshälfte auf den Markt kommen.

Fast 1800 Programme wurden für den Wettbewerb eingereicht. Von Anfang Januar bis Mitte Februar hatten die Entwickler Zeit, interessante Konzepte zu erarbeiten und umzusetzen. Die Software muss in Googles Android-Emulator (siehe Video unten) lauffähig sein.

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Die Investition hat sich für Google schon jetzt gelohnt, rechnet das US-Fachblog " Silicon Alley Insider" vor: Schließlich habe Google bei 1800 Programmen und fünf Millionen Dollar Preisgeld im Schnitt für jedes nur rund 2800 Dollar bezahlt.

Die Entwickler haben etliche Mobilanwendungen erdacht, die es bisher nicht gab oder zumindest nicht in dieser Form. Bei einigen fragt man sich, wieso nicht schon früher jemand darauf gekommen ist – ein Programm kann zum Beispiel je nach Aufenthaltsort automatisch zwischen Klingelton und Vibrationsalarm umschalten.

Unter den 50 Gewinnern könnten noch einige andere großartige Ideen versteckt sein. Vier Entwicklerteams wollten gar nicht öffentlicht genannt werden, viele geizen mit Informationen zu ihren Programmen – niemand will der Konkurrenz im jetzigen Stadium des Wettbewerbs zu viel verraten.

Wenn es jetzt auch noch die Hersteller schaffen, schicke und technisch ausgereifte Android-Handys zu konstruieren, könnte Apples iPhone gegen Jahresende eine mächtige Konkurrenz erwachsen. Zumindest aber müssen sich jene Programmierer, die iPhone-Anwendungen entwickeln, ins Zeug legen, um der wahrscheinlich recht großen Software-Vielfalt für Android-Geräte etwas entgegensetzen zu können.

Preisprüfer, Klingelton-Automatik, Wikipedia-Reiseführer – SPIEGEL ONLINE zeigt die interessantesten Ideen der Android-Programmierer:

Informieren – DVD-Scan und Wikipedia-Atlas

Es gibt eine Wikipedia-Version fürs iPhone und Seiten, die das Flickr-Bildverzeichnis in ein angenehmes Format für das Apple-Handy bringen. Doch wie viel Potential abseits der Layout-Anpassung Informationsdienste für Mobiltelefone haben, das zeigen erst jetzt einige der Andoid-Programmierer:

Die Anwendung AndroidScan des US-Informatikstudenten Jeffrey Sharkey zum Beispiel steuert die Kamera des Telefons an und erkennt Strichcodes, die man von Produkten abfotografiert. Bei einer DVD im Laden ruft AndroidScan automatisch die Amazon-Bewertungen auf und erstellt eine Preisübersicht mit Angaben von Internet-Händlern. Bei CDs kann man sich sogar im Internet verfügbare Probesongs anhören.

Die Idee bei Wikitude ist bestechend einfach: Diese in Österreich entwickelte Anwendung verortet Wikipedia-Artikel anhand der darin angegebenen geografischen Angaben. Außerdem werden sie in gut 10.000 Kategorien sortiert – zum Beispiel Burgen, Nationalparks und Höhlen. Wikitude fragt über den GPS-Empfänger des Telefons die aktuelle Position ab und zeigt bei Interesse die Wikipedia-Informationen zur Umgebung. Die Artikel kann man anhand der Kategorien nach Belieben filtern (siehe Video).

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Navigieren – To-do-Routenplaner und Fotonavigator

Wer kennt das nicht: Ein freier Tag und 1000 Dinge, die man unbedingt unterwegs erledigen will. Die US-Entwickler hinter Pednav wollen dieses Freizeit-Dilemma mit ihrer Mischung aus Routenplaner und To-Do-Liste mildern: Die Software fragt die allgemeinen Pläne für den Tag ab (Museum, Essen, Restaurant Y, Kathedrale Z), berechnet dann die Nahverkehrsverbindungen zwischen den Zielen und schlägt einen Zeitplan und eine Route für den Tag vor. Zusammen mit konkreten Vorschlägen für günstig gelegene und gut bewertete Cafés und Restaurants.

Einen interessanten Navigationsansatz setzt die Software BreadCrumbz um. Das Programm zeigt Fotos der Stellen, an denen man die Richtung wechseln, abbiegen oder sonst wie die Strecke verlassen muss. Das sieht ganz intuitiv aus, dürfte aber eine Nischenanwendung bleiben. Schließlich muss jemand die Strecke vorher ablaufen, Fotos machen, Anweisungen erstellen. Ist aber ganz nett, wenn man gute Wanderstrecken für Freunde dokumentieren möchte (siehe Video).

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Lokalisieren – Klingeltonabschalter und Geo-Automat

Warum ist darauf nicht längst schon jemand gekommen? Locale, ein von mehreren Studenten des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) geschriebenes Programm, ermittelt per GPS den Standort des Handys. Der Nutzer definiert dann einmal, dass er hier zum Beispiel im Büro oder beim Sport ist und nur per Vibrationsalarm über Anrufe informiert werden will. Locale merkt sich die Angaben und schaltet auf Basis der GPS-Daten automatisch zwischen Klingeln und Vibrieren um.

Geotagging, das geographische Verorten von Texten oder Bildern, ist bei Fotos immer noch ein Nischenthema. Derzeit ist es viel zu mühsam, beim Fotografieren seine genaue Position per Satellit zu bestimmen und in den Bilddateien abzulegen – denn man braucht immer ein separates GPS-Gerät dazu. Doch beim Google-Handysystem könnte das dank GPS-Funktion Standard werden: Was immer man mit dem Gerät schreibt, fotografiert oder aufnimmt, kann das Gerät automatisch um Informationen zum jeweiligen Standort ergänzen.

Eine Web-Gemeinschaft auf dieser Basis verspricht Beetaun, ein Projekt zweier russischer Informatiker. Wie viele der Top-50-Entwickler bei Googles Android-Wettbewerb veröffentlichen auch Sergej Gritsjuk und Dmitrij Schipilow nur eine vage Konzeptbeschreibung ihrer Software: Beetaun soll Menschen über ortsbezogene Inhalte vernetzen – vermutlich mit Fotos, Bewertungen, Statusmeldungen à la Twitter und so weiter. Zielgruppe ist den Machern zufolge "jeder – Reisende, Schatzsucher, Tramper, Jogger".

Eingeben – mit Linien und Formen

Bevor das iPhone verkauft wurde, konnte sich kaum jemand vorstellen, dass man ohne Tasten auf einer völlig glatten Oberfläche recht komfortabel tippen kann. Nun machen das ein paar Millionen Besitzer des Apple-Handys täglich. Warum sollte also ShapeWriter nicht vielleicht funktionieren?

Bei dieser Texteingabemethode für Mobilgeräte ziehen die Nutzer einen Finger oder Stift von Buchstabe zu Buchstabe, aus dem Kurvenverlauf berechnet die Software dann das wahrscheinlichste Wort. Ob das wirklich "hocheffizient" ist, wie die Entwickler versprechen, wird man erst nach Tests sagen können. Innovativ ist die Methode auf jeden Fall (siehe Video).

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Musizieren – mit dem Handy als Lehrer und Instrument

Wie nützlich ein Mobiltelefon auch für ungewohnte Anwendungen sein kann, zeigt sich am Beispiel von SplashPlay. Die Kombination von Soft- und Hardware britischer Entwickler soll den Musiklehrer ersetzen und helfen, das Gitarrespiel zu lernen. Die Rechenarbeit übernimmt dabei der sogenannte SplashPod: eine kleine Box, die man an der Gitarre befestigt und mit einer dünnen Displayfolie verbindet, die um den Hals der Gitarre gewickelt wird. Lichtpunkte auf der Folie zeigen dem Schüler an, wohin er seine Finger setzen muss, um die zu lernenden Akkorde zu spielen.

Ein Android-Handy soll hier als Steuerungszentrale genutzt werden. Über seine Internet-Verbindung sollen neue Lektionen, Akkorde oder Lieder geladen und per Bluetooth-Kurzstreckenfunk an den SplashPod übertragen werden. Außerdem sollen in der Software Akkordtabellen enthalten sein, die es auch Anfängern ermöglichen könnten, eigene Songs zu schaffen. Und wer nicht allein üben mag, soll sich im Karaoke-Stil auch an fremdem Liedgut versuchen können, zum Mitspielen. Versionen für Klavier, Schlagzeug und Geige sind schon in Planung.

Unter dem Titel "Lerne, mache und spiele Musik" hat Steve Oldmeadow das Musiklernprogramm Rayfarla entwickelt. Mit ihm soll man das Telefon nicht nur als Pseudo-Musikinstrument benutzen können. Außerdem will der Autor musikalische Lernspiele integrieren. Wie genau das am Ende aussehen wird, mag er aber noch nicht verraten – wohl auch, um eventuellen Konkurrenten keine ungewollten Tipps zu geben.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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