Zum Inhalt springen

Projekt Abschöpfung (GQ, Dezember 2002)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Projekt Abschöpfung

Das Ende des Kalten Krieges hat die Geheimdienste der Welt nicht arbeitslos gemacht – die Spione schauen sich jetzt in der freien Wirtschaft um.

GQ, Dezember 2002

Tag der offenen Tür in einer bayerischen Biotech-Firma. Koreanische Wissenschaftler besichtigen das neue Forschungslabor. Einer von ihnen streicht ständig mit dem Handrücken und ausgestreckten Fingern über die Labortische. Nur zufällig bekommt das der Sicherheitschef mit. Er erkennt: „Der klaut Stämme!“. Diese Stämme gentechnisch veränderter Bakterien sind das Geschäftsgeheimnis der Firma. Der Sicherheitschef hat es noch einmal gerettet: Die Besucher müssen wegen angeblicher Hygienevorschriften ihre Hände desinfizieren. Diesen Fall organisierter Wirtschaftsspionage beschreibt Rainer von zur Mühlen, Geschäftsführer der Sicherheitsberatung VZM den Kunden auf der Security Messe in Essen. Mehr Aussteller als je zuvor sind im Oktober dorthin gekommen. Trotz flauer Wirtschaft boomt das Geschäft mit der Sicherheit – denn die Spionage tut es auch. Und immer öfter mischen hier Geheimdienste mit.

Dass ausländische Dienste in deutschen Unternehmen aktiv sind, bestätigen alle Experten. Ihr Problem sind konkrete Zahlen: „Der Trend geht klar nach oben. Nur wissen wir nicht, von welchem Niveau aus. Zahlen sind hier reine Spekulation“, sagt Harald Woll, Leiter der Spionageabwehr beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg. In den Unternehmen des Hightech-Ländles suchen vor allem russische, chinesische und iranische Dienste Informationen. Die so verursachten Schadens werden bundesweit auf bis zu 25 Milliarden Euro im Jahr geschätzt. Das Problem bei solchen Zahlen: Konkurrenzspionage zwischen Unternehmen wird nicht von der Arbeit der Nachrichtendienste getrennt. Die letzte seriöse Studie zu dem Thema veröffentlichte das Max-Planck-Institut – im Jahr 1988. Erst Anfang nächsten Jahres wird die Uni Lüneburg eine neue Untersuchung veröffentlichen.

Viel ist über die Schnüffelarbeit russischer Dienste in Deutschland bekannt: Ganz offen heißt es schon im Bundesgesetz über die Auslandsaufklärung der russischen Föderation, Ziel der Nachrichtenbeschaffung sei es, „die wirtschaftliche Entwicklung und den wirtschaftlich-technischen Fortschritt des Landes zu unterstützen“. Seit Mai 2000 tut das der Deutschlandexperte General Sergej Lebedew. Er leitet den „Dienst für Auslandsaufklärung“ (SWR). In Deutschland arbeitete Lebedew 13 Jahre lang als Geheimdienstoffizier in russischen Auslandvertretungen. 1995 verließ er das Land. Heute befehligt er etwa 15000 SWR-Mitarbeiter. Ihre Präsenz in Deutschland ist „im internationalen Vergleich weiterhin sehr hoch“, so das Bundesamt für Verfassungsschutz.

Die SWRler interessieren sich vor allem für Fertigungstechniken und Forschungsdetails – wie alle weniger weit entwickelten Staaten. Sie wollen nachbauen und die eigenen Produkte dann ohne Lizenz- und Entwicklungsgebühren billiger verkaufen.

Die meisten Informationen beschaffen SWR-Mitarbeiter und andere Spione klassisch über menschliche Mitarbeiter. Bernd Bühner, Deutschland-Geschäftsführer des internationalen Beratungsunternehmens Control Risks erklärt: „Das Bild von den allmächtigen, allgegenwärtigen Hackern ist falsch. Wichtiger ist das Erschließen interner Quellen durch so genanntes social engineering. Das kommt häufiger vor als Angriffe auf Netzwerke über Netzwerke. Das Verhältnis liegt etwa bei 80 zu 20.“

Die Gründe dafür haben wenig mit den technischen Möglichkeiten der ausländischen Dienste zu tun. Bestimmte Informationen sind über Menschen einfach leichter zu beschaffen. Bernd Bühner: „Wirklich interessant ist ja nicht immer die reine Information, die man über Netzwerkangriffe bekommt. In vielen Branchen, zum Beispiel bei Banken, ist die Interpretation der Daten wichtiger.“ Und selbst bei reinem Datenklau handeln laut dem baden-württembergischen Verfassungsschutz in 80 Prozent der Fälle Innentäter.

Die müssen die Dienste meist nicht einmal einschleusen. Meistens sind sie nämlich schon drin. Getarnte Agenten plaudern ganz offen und legal mit den Angestellten, um an geheim Informationen zu kommen. Zum Beispiel bei Tagungen. Sicherheitsberater Rainer von zur Mühlen: „Wissenschaftler sind eitel und besuchen Kongresse. Da kriegt man dann mit den richtigen Fragen fast alles raus.“ Chinesische Nachrichtendienstoffiziere versuchen, private Kontakte zu interessanten Zielpersonen zu knüpfen. Das Interesse an Kultur und Geschichte Chinas wird genutzt oder geweckt, nebenher spricht man auch über andere – für den Dienst interessante – Themen.

Das nennt man „Abschöpfen“. Manchmal gehen ausländische Dienste aber direkter vor. Bernd Bühner von Control Risks beschreibt die Methoden: „Angestellte des Zielunternehmens werden mit kompromittierendem Material bedroht oder erpresst, oder man nützt ihre negativen Gefühle gegenüber dem Arbeitgeber aus.“

Wenn überhaupt, schleusen Geheimdienste eigene Spione beispielsweise als Praktikanten oder Austauschwissenschaftler ein. Manchmal sind das Amateurspione. Weigern sie sich, wird die Familie im Heimatland bedroht oder ein Entzug der Aufenthaltsgenehmigung für Ausland angekündigt. Russland und China schicken ihre Spione als Mitarbeiter eines Jointventures in Zielunternehmen. Einen prominenten Fall beschreibt Rainer von zur Mühlen: „Volkswagen baut in einem Jointventure mit den chinesischen First Automobil Works den Jetta. Nun hat ein chinesisches Vorstandsmitglied am Vorstand vorbei ein Konkurrenzmodell mitgeplant. In Deutschland wäre das illegal, dort ist es normal.“

Über die Arbeit befreundeter Dienste gegen deutsche Unternehmen dringt hingegen wenig an die Öffentlichkeit. Es sei denn, jemand wie CIA-Direktor James Woolsey erzählt bei seiner Antrittsrede im Senat: „Wirtschaftsspionage ist das heißeste Thema der gegenwärtigen Geheimdienstarbeit.“ 1993 hat er das gesagt. Anfang 2000 schrieb Woolsey dann – wieder als Privatmann – im „Wall Street Journal“: „Ja, meine kontinentaleuropäischen Freunde, wir haben euch abgehört.“ Das Bundesamt für Verfassungsschutz hingegen erklärt in einer Informationsbroschüre für Unternehmen: „Für die in den letzten Jahren wiederholt in der Öffentlichkeit auch gegen verbündete Staaten erhobenen Vorwürfe gibt es allerdings keinerlei Belege.“ Etwas anders sieht das der CDU-Politiker Christian von Bötticher: „Wir haben keine Beweise, aber Indizien dafür gefunden, dass die Vereinigten Staaten das Echelon-Abhörsystem zur Wirtschaftsspionage nutzen. Es sind starke Indizien und sie haben sich verdichtet.“

Bötticher gehörte zum Echelon-Ausschuss des Europäischen Parlaments. Echelon haben nach dem zweiten Weltkrieg unter US-Führung Australien, Großbritannien, Kanada und Neuseeland aufgebaut. CIA-Chef James Woolsey gibt selbst zu, dass mit den 120 Bodenstation auch Unternehmen abgehört werden. Nutzen würde man die Informationen aber nur, wenn es Hinweise auf Schmiergeldzahlungen gibt.

Die Verteidigung gegen solche Fernmeldeaufklärung ist einfach: Keine Geheimnisse in Telefongesprächen oder unverschlüsselten Emails. Schwerer ist es, sich gegen so genannte „human intelligence“ zu schützen. „Leider beschränken sich die Schutzkonzepte vieler Unternehmen auf Firewalls. Doch mit Technik kann man keine sozialen Probleme lösen. Deshalb ist Menschenführung ist das beste Mittel gegen Wirtschaftsspionage“, beschreibt Bernd Bühner den Ansatz seines Unternehmens. Dass Maulwürfe eingeschleust werden, kann man versuchen, mit Pre-Employment-Screenings zu verhindern. So heißt die Dienstleistung in der Privatwirtschaft. Der Verfassungsschutz darf nur Kandidaten durchleuchten, wenn sie sich bei unter Geheimschutz stehenden Unternehmen bewerben. Schon bei lebens- und verteidigungswichtigen Firmen wie Energieversorgern dürfen Verfassungsschützer nur unter strengen Auflagen präventiv forschen.

Eins darf der Bundesnachrichtendienst prinzipiell nicht: Selbst in der ausländischen Wirtschaft spionieren. Daran hält er sich meist, sagt sogar BND-Kritiker Schmidt-Eenboom: „Der BND ist sehr vorsichtig. Das Abschöpfen von Informationen aus der Wirtschaft in befreundeten Staaten mit human intelligence geht wohl gegen null. Allerdings hat der BND ja für die Funkaufklärung eigene Anlagen von Husum bis Bad Aibling.“

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert