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Protest-Satire: Die Meute meckert über das neue Facebook-Gesicht (Spiegel Online, 1.10.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Protest-Satire

Die Meute meckert über das neue Facebook-Gesicht

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Spiegel Online, 1.10.2008

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Zur Demo kommt man bei Facebook ganz schnell: Ein Bekannter lädt
ein, doch bitte Mitglieder der Gruppe "Wenn 10 Millionen mitmachen …"
zu werden. Die Aufforderung kommt per Mail, ein Mausklick auf den Link
"Um mehr Details zu sehen und der Einladung zu folgen" genügt – man
protestiert. Wofür und wogegen man ist – darüber steht in der E-Mail
nicht mehr als "bringt das alte Facebook zurück".

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Das alte Facebook, damit meint die Meute das größte Menschelnetz
mit, laut eigenen Angaben, hundert Millionen aktiven Mitgliedern – und
zwar so wie es vor ein paar Wochen noch aussah. Dann haben die Macher
ihre Seite umgestaltet, ein paar Knöpfe verschoben, eine
Navigationsspalte entfernt, einige Funktionen versteckt und andere
prominenter plaziert – eine spürbare Umgestaltung, aber nicht unbedingt
eine Katastrophe.

Doch dagegen protestieren derzeit Millionen von Facebook-Nutzern. Die
meisten in der Gruppe "Wenn 10 Millionen mitmachen …", die in den
vergangenen Tagen rund 100.000 neue Mitglieder pro 24 Stunden-Intervall
gewonnen hat. In ihrer Empörung haben die Protestler übersehen, dass
sie in dieser Gruppe als Statisten an einer Protest-Satire mitwirken.

Denn liest man einmal genauer, was da eigentlich der Gründer der
Protestgruppe schreibt, wird schnell klar, dass er entweder ziemlich
dämlich ist oder – und das ist etwas plausibler – einen perfiden Humor
hat und 1,8 Millionen Facebook-Mitgliedern einen Streich gespielt hat.

Wer zur Hölle ist "Marc Zomberg"?

Stutzig könnte man schon beim Namen der Protestgruppe werden: "Wenn
10 Millionen mitmachen, bringt Marc Zomberg das alte Facebook zurück!"
Wer ist Marc Zomberg? Der Name klingt ein wenig wie Mark Zuckerberg,
der Facebook-Gründer und -Boss.

Der scheint tatsächlich gemeint zu sein, denn in der Beschreibung der
Gruppe schreibt ihr Gründer, ein gewisser Jakob Pettersson, der
angeblich mal in London, mal in San Francisco lebt: "Heute habe ich
eine Botschaft von Marc Zomberg, dem Gründer der besten Firma erhalten.
Er trug mir auf, diese Gruppe zu gründen, weil er wissen will, wie
viele Menschen wirklich das alte Facebook zurück wollen."

Das klingt ein wenig nach Pophetengeschichten. Warum Herr Zomberg
nicht einfach in die Zugriffsstatistiken seiner großartigen Firma
schaut, erklärt Pettersson nicht. Warum sollte er sich auch um eine
glaubwürdige Geschichte bemühen – das Motto seiner Gruppe ist so
überdreht, unglaubwürdig und absurd, dass sie entweder gar nicht oder
gerade wegen der Absurdität sehr gut funktioniert.

20 Tage für zehn Millionen. Die Zeit läuft

Derzeit läuft es ohne Sinn und Logik ziemlich gut – seitdem der
erste Buchstabe dieses Artikels getippt wurde, hat Petterssons
Gaga-Gruppe knapp 10.000 neue Protestler hinzugewonnen. Sie folgen
seinem Lockruf, dessen Prinzip man eigentlich schon aus all den Nieren-
und Microsoft-Kettenmails kennen sollte: "Jeder muss Mitglied dieser
Gruppe werden, denn er [Marc Zomberg] hat uns 20 Tage gegeben, um das
zu schaffen."

Es geht um Leben und Tod. 20 Tage. Die Uhr tickt. Schnell!

Die Masche kennt man, es fallen trotzdem Millionen drauf rein. Den
ominösen "Marc Zomberg" gibt es tatsächlich, als Web-Figur zumindest.
Er bloggt unter seiner eigenen Domain, marczomberg.com, schreibt dort
Sätze wie "Habe mit Jakob Pettersson gesprochen." Und einen Tag später
verweist dieser Marc mit C statt mit K auf die Protestlergruppe und
kommentiert: "So froh, dass Jacob meinen Namen richtig geschrieben hat."

Registriert hat die Zomberg-Domain vor einer Woche ein 17-Jähriger
aus Connecticut, der im vorigen Jahr bei einem NASA-Wettbewerb für
Roboter bastelnde Schüler teilnahm. Anfragen von SPIEGEL ONLINE hat er
bislang nicht beantwortet. Es könnte gut sein, dass dieser Teenager
knapp 1,8 Millionen Facebook-Freunde zu Statisten seines bislang
größten Gags gemacht hat.

"Ich bin froh, dass nur fünf meiner Freunde Idioten sind"

Ein paar Facebook-Mitglieder erkennen die Satirequalität dieser
Gruppe – da dort aber keine Nutzerkommentare zugelassen sind (warum
nur, Mark Zomberg?), bloggen sie amüsante Kommentare wie diesen von
Programmierer Rubin J. Kaplan: "Meine Insiderinformationen besagen,
dass Marc Zumberg das alte Facebook nicht zurückbringen kann, weil es
von Aliens entführt wurde und an denselben Ort gefangen gehalten wird
wie Elvis."

Im Forum von
Kaplans Blog
echauffieren sich einige Facebook-Mitglieder über den Zomberg-Scherz.
Kaplans Kommentar: "Ich finde es witzig, dass jemand fast eine Million
Leute dazu gebracht hat, der dämlichsten Gruppe aller Zeiten
beizutreten. Respekt." Andere kommentieren gehässiger: "Inzwischen fast 700.000 Mitglieder. Ich bin froh, dass nur fünf meiner Freunde Idioten sind."

Eine Mecker-Meute, erbost wie "FAZ"-Leser über Fotos

Ernsthafte Facebook-Nörgler reagieren allergisch auf das
Zomberg-Experiment, das sich auch ein wenig darüber lustig macht, wie
plötzlich Millionen von Teenagern und Mitzwanzigern auf die
Umgestaltung von ein paar Knöpfen so allergisch reagieren wie die im
Durchschnitt ein paar Jahrzehnte älteren "FAZ"-Leser auf Fraktur-Verlust, Farbe in ihrer Zeitung und Fotos auf der Titelseite.

Einige Facebook-Kritiker fassen es nicht, wie man denn bei einer so
ernsten Frage Witze machen kann. Der Gründer der Gruppe "Ich hasse das
neue Facebook" (1,5 Millionen Mitglieder) warnt den Rest seiner
Mecker-Meute: "Die Gruppe über Zomberg wird gar nichts bewirken. Der
Facebook-Gründer heißt Mike Zuckerberg." Alles in Großbuchstaben
gebrüllt mit einem kleinen Fehler im Detail: Der Facebook-Gründer heißt
Mark, nicht Mike.

Ein soziales Experiment namens Zomberg

Als soziales Experiment demonstriert der Zomberg-Gag gerade sehr
anschaulich, wie leicht in einer Mecker-Meute selbst das Mindestmaß an
Rationalität und Reflexion verloren geht. In den Facebook-Gruppen
findet man einige solcher Satiren. Nur ist manchmal nicht ganz klar, ob
die Gründer die Komik beabsichtigt haben.

So gibt es zum Beispiel gleich zwei Gruppen, die das "alte favebook"
zurückfordern. Beide Initiatoren haben sich in der Eile vertippt, statt
dem C das V daneben gedrückt und nicht so genau hingeschaut. Absurd
dabei: Beide Gruppe haben mehr als 30 Mitglieder.

Willkommen im Vertipper-Club.

Und gegen die Unsitte, mehrere Gruppen zum selben Thema zu gründen,
gibt es bei Facebook fast ein Dutzend Gruppen. Bemerkt jemand dort die
Ironie dieser Veranstaltung? Vielleicht der Gründer der alles umfassenden Facebook-Gruppe gegen Doppelungen,
die eine aus einer Melone geschnitzte Eule als Logo und eine sehr lange
Liste als Themenspektrum hat. Darin enthalten unter anderem:

 

  • Ich mag Fußball.
  • Meine Katze ist viel länger als deine Katze.
  • Wenn 1 Millionen Menschen dieser Gruppe beitreten, spende ich 1000 Dollar an Oxfam.

Und so weiter. Abschließender Kommentar: "Ich bin mir ziemlich
sicher, dass das alles umfasst, was es auf Facebook gibt. Die einzige
Gruppe, die du je brauchen wirst."

Nun ja, abgesehen vielleicht von der ganz neuen Gruppe "
Wenn 10 Milliarden Menschen hier Mitglied werden, bringe ich das alte Facebook zurück."

Einer der ersten Kommentare: "Anders als einige Menschen nehme ich
das ernst. Was, wenn es gar nicht 10 Milliarden Menschen auf der Welt
gibt? Vielleicht könnten wir ein paar Außerirdische überreden oder so?
Ich glaube!"

Der Kreis schließt sich.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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