Zum Inhalt springen

Quatsch-Tools: Appetitliche Webadressen im Speckmantel (Spiegel Online, 10.5.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Quatsch-Tools

Appetitliche Webadressen im Speckmantel

Der Web-Adressen-Verlängerer, Star-Trek-Zeit im Google-Kalender und ein Programm, das Text auf den Kopf stellt: Programmierer haben einen merkwürdigen Humor und genug Arbeitswut für Nebenbei-Projekte. Ergebnis: witzige, gänzlich unnütze Web-Werkzeuge.

Spiegel Online, 10.5.2009

Es gibt so viele praktische, kostenlose Helfer im Web: Sie machen ellenlange Adressen kurz genug zum Twittern, archivieren Webseiten, verwalten Termine und Aufgaben online. Die Nutzer zelebrieren einen Nützlichkeitskult – man kann sich kaum retten vor Werkzeugen, welche die Produktivität vervielfachen, die Effizienz steigern, das Leben erleichtern und die Arbeit vereinfachen sollen.

Produktivitätsblogs mit schönen Namen wie Lifehacker oder Imgriff berichten Tag für Tag ausschließlicht darüber, wie man mit noch besseren Software-Helfern noch mehr Aufgaben in noch weniger Zeit erledigen kann.

Genug, rufen ein paar humorvolle Programmierer und parodieren den Produktivitätskult mit Anwendungen, die den Effizienz-Tunern ziemlich ähnlich sehen, aber garantiert nicht die Arbeitsleistung steigern. Die Quatsch-Programme schaffen etwas ebenso Wichtiges: Sie bringen Menschen zum Lachen.

Text-Kipper, Dickens-Zitate als Webadresse und die Speck-Community – SPIEGEL ONLINE zeigt die lustigsten Nonsense-Werkzeuge.

Die längste Webadresse der Welt

Kurze Webadresse kann heute jeder Internet-Neuling basteln – einfach die ellenlange Ursprungs-URL bei einem Kürzungsdienst wie TinyURL eintippen und schon erhält man eine kurze, kostenlose Alias-Adresse, die auf das eingetippte Ziel weiterleitete.

Mit solchen Tricks fällt man im Internet heute nicht mehr auf. Ein paar Web-Kenner versuchen ihr Web-Wissen zu demonstrieren, indem sie weniger bekannte Dienste nutzen, deren Adressen viel cooler klingen als die TinyURLs und zum Beispiel mit is.gd (“Ist gut!”) oder tr.im (“zurechtstutzen”) beginnen.

Aber auch damit fällt man kaum noch auf.

Mit einer Adresse wie

 

http://www.freakinghugeurl.com/refer.php?count=4&url=VjFaV2IxVXdNVWhVYTFacFRU RndUbFJVUVRGTk1XeFhXa1prYVdKSVFsbGFS RTVYV1ZaSmVGWlVhejA9

schon eher.

Beim URL-Verlängerungsdienst freakinghugeurl.com kann man Webadressen aufblähen. Wie groß? Es gibt drei Einstellungen: “groß”, “verdammt groß” und “Oh Gott!”. Aus 17 Zeichen macht freakinghugeurl.com im Einsteigermodus schon 131 Zeichen, in der XXL-Version sind es 878.

Programmiert hat den Dienst der Webdesigner Jeremy Mitchell aus Nashville, als eine Freundin ihm beim Chatten nahelegte, er solle doch nicht immer so lange Webadresse posten, sondern lieber einen praktischen Dienst wie TinyURL nutzen. Mitchell schreibt auf freakinghugeurl.com: “Also habe ich das hier als Witz gemacht. Jetzt können wir sie alle ärgern.”

Wer Vegetarier nerven will, kann bacn.me nutzen – ein Web-Adressen-Abkürzer, der den “Speck” im Namen trägt und von einer Firma betrieben wird, die sich auf den Online-Verkauf von Speck spezialisiert hat. Selbstbeschreibung: “Bac’n ist eine Gruppe von Speck-Enthusiasten, die der Traum zusammengebracht hat, den Menschen Zugang zum weltbesten Speck zu ermöglichen.”

Browser zitiert Dickens

Eine verdammt große Webadresse, die in 878 Zeichen wie “VbFph” einen Verweis auf SPIEGEL.de versteckt, ist lustig, zeugt aber von Pennäler-Humor. Wer sich distinguiert über die Webadresse-Kürzungsmanie amüsieren will, nutzt vielleicht eher den Dienst Dickensurl.com.

Der verlängert eine beliebige Webadresse zu Zitaten aus einem der großen Romane von Charles Dickens. Und so kommt man dann auf SPIEGEL.de zum Beispiel über eine Adresse wie

 

http://dickensurl.com/333/Mrs_Joe_was_a _very_clean_housekeeper_but_had_an_ exquisite_art_of_making_her_cleanliness _more_uncomfortable_and_unacceptable_ than_the_dirt_itself_Cleanliness_is_next_ to_Godliness_and_some_people_do_the_ same_by_religion

– ein Zitat aus Dickens’ Roman “Große Erwartungen”.

Entworfen hat das Angebot Timothy Kim aus Arlington, der schon eine wunderbare, wenn auch etwas kurzlebige (sieben Beiträge bislang) Blogsatire gestartet hat: Unter dem Titel “Money” schreibt er Posting für Posting, wofür er gerade wie viele Geld ausgegeben hat – 6,39 US-Dollar am 28. Februar für Zwiebeln, Wasser, Tofu und Zucker zum Beispiel.

?do? ????s ?x?? ??s??p

David Faden hat acht Jahre lang an der Universität von Iowa Informatik, Mathematik und Philosophie studiert und forscht dort heute am Statistik-Institut. Berühmt hat ihn allerdings eine kleine Web-Spielerei gemacht, die Faden irgendwann 2005 in seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter schrieb. Das Werkzeug dreht eingegebenen Text um 180 Grad – die Buchstaben stehen Kopf.

Das ist natürlich eine arg vereinfachte Beschreibung – tatsächlich sucht Fades Flip-Programm für jeden Buchstaben das auf dem Kopf stehende Gegenstück in einem recht umfassenden Zeichensatz namens Unicode. Nicht jedes Programm kommt mit den Unicode-Zeichen zurecht – in manchem Chat-Programm und auch im Redaktionssystem von SPIEGEL ONLINE muss man leider auf eine Kopfstand-Demonstration verzichten.

Star Trek Zeit im Google-Kalender

Zum Kinostart eines für einige Benutzer des Google-Kalenders wohl nicht ganz unwichtigen Films (“Star Trek”!), haben sich einige Google-Programmierer diese kleine Spielerei ausgedacht: Ausgewählte Nutzer konnten einen Zusatzkalender abonnieren, der für jeden Tag die aktuelle Star-Trek Sternzeit angibt – verfügbar war das Extra am vorigen Donnerstag – Datum des Filmstarts und Sternzeit: [-28] 01210.00.

Inzwischen funktioniert die Anleitung der Google-Trekkies nicht mehr.

Das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn auch diese oft zitierte und immerhin einige zehntausend Zeichen umfassende Abhandlung zur Sternzeit kann trotz Analysen zu Bartwuchs (“Es ist möglich, dass Riker einen Vollbart meinte, den er tatsächlich weniger als fünf Jahre hat”) nicht so ganz schlüssig erklären, warum Star-Trek-Jahre nicht immer ein Jahr lang sind.

Bitte zirpen Sie kurz

Das ist die Zukunft! Das behauptet zumindest der Dienst ” Chirper” von sich. Wer habe schon “Zeit, 140 Zeichen Text zu lesen?” Deshalb kürzt Chirper alle eingegebenen Nachrichten auf “appetitliche 50 Zeichen”. Konkret sieht das so aus: Tippt man “Das ist die Zukunft” ein, schlägt Chirper als Abkürzung vor: “Dasitdie Zukf!”.

Die Seite zitiert begeisterte Nutzer: “Wie soll Google darauf reagieren?” Dass das ganze ein Aprilscherz des Online-Speicheranbieter Box.net ist, merkt man spätestens bei der Anmeldung. Da ist nur ein Video von Rick Astley zu sehen (ein sogenannter Rickroll – mehr dazu bei SPIEGEL WISSEN).


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
Immer gut: Newsletter abonnieren


auch interessant

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Der common senf aktueller Debatten um Staatsausgaben, Tarifverhandlungen und Zinspolitik scheint mir gerade ein gefährlicher: Alle sollen sparen. Der Staat soll weniger ausgeben und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Arbeitnehmer sollen Reallohnverluste akzeptieren, sparen und damit der Gesamtwirtschaft Geld entziehen. Und Unternehmen sollen sparen, bloß keine Kredite aufnehmen für Investitionen

Wer investiert in die Zukunft, wenn alle sparen?

Paradox der Gegenwart

Einerseits sehen so viele Menschen ihre individuellen (Konsum)Bedürfnisse als das wichtigste Gut, als absolut schützenswert. Überspitzte Maxime: Was ich will, ist heilig – alles geht vom Individuum aus. Andererseits erscheint genauso viele Menschen das Individuum ganz klein, wenn es darum geht, etwas zu verändern in der Welt. Überspitzte Maxime: Ich

Paradox der Gegenwart

Wie Schmecken funktioniert

Gelernt: Geschmack und Aroma sind zwei ganz unterschiedliche Wahrnehmungen. Für jede ist ein anderer Teil im Gehirn verantwortlich. Und jede basiert auf unterschiedlichen Daten: Für den Geschmack kommen Eindrücke von der Zunge, fürs Aroma von Rezeptoren in der Nase. Beides vermischt das Gehirn zum Gesamteindruck Schmecken. Sehr lesenswerter Aufsatz darüber

Wie Schmecken funktioniert