Raubkopien: Musikindustrie zwingt Provider Web-Filter auf (Spiegel Online, 5.2.2008)
Raubkopien
Musikindustrie zwingt Provider Web-Filter auf
Auf Antrag der Musikindustrie verurteilt ein dänisches Gericht den Internetprovider Tele2 zur Sperrung der Bittorrent-Suchmaschine Piratebay. Begründung: Damit sind vor allem Raubkopien zu finden. Nun droht der Musik-Lobbyverband IFPI deutschen Providern mit ähnlichen Prozessen.
Spiegel Online, 5.2.2008
In der beschaulichen dänischen 90.000-Seelen-Gemeinde Frederiksberg hat die Musikindustrie vor Gericht den ersten Erfolg ihrer neuen Abwehrstrategie gegen Online-Tauschbörsen erstritten: Der Internetprovider Tele2 muss seinen dänischen Kunden dem Urteil zufolge den Zugang zur Webseite Piratebay.org verwehren. Seit heute Nachmittag blockiert Tele2 die Seite, 100.000 der zwei Millionen Internetanschlüsse in Dänemark sind von der Sperrung betroffen. Angestrengt hatte die Klage die dänische Sektion des Musikindustrieverbands IFPI. Der mit dem Fall betraute dänische Anwalt Jakob Plesner Mathiasen erklärte SPIEGEL ONLINE: "Der Provider kann Berufung einlegen. Wir gehen davon aus, dass das dänische Recht hier klar ist, da das oberste Gericht bereits in einem vergleichbaren Fall ähnlich entschieden hat."
Der Musikindustrieverband IFPI bekämpft die schwedische Seite Piratebay.org seit Jahren – bislang erfolglos. Die Seite ist eine Suchmaschine für sogenannte Torrents. Das sind Informationsdateien, die im Web Anbieter und Interessenten bestimmter Dateien zusammenbringen und eine schnelle Datenübertragungen zwischen ihren Rechnern ermöglichen.
Im Gegensatz zu vergleichbaren Suchmaschinen haben die Betreiber von Piratebay.org immer die Öffentlichkeit gesucht und argumentiert, die Copyright-Inhaber könnten ihnen nach schwedischem Urheberrecht nichts anhaben. Schließlich würden sie nicht selbst auf ihren Servern Inhalte zum Download anbieten, sondern nur neutral Informationen zu Speicherorten unterschiedlichster Daten bereithalten.
Piratebay verhöhnt die Copyright-Inhaber
Noch immer veröffentlichen die Betreiber stolz E-Mails von Anwälten, die im Auftrag von Microsoft, Apple, Warner Brothers und anderer Firmen die Löschung bestimmter Torrent-Dateien verlangen. Die öffentliche Antwort der Piratebay-Macher: "Wir haben wegen dieser Mitteilungen keine Maßnahmen ergriffen, außer uns über die Absender lustig zu machen." Nach einer Durchsuchung der Piratebay-Serverräume 2006 hat vor wenigen Tagen die schwedische Staatsanwaltschaft Anklage gegen die vier Betreiber erhoben. Der Prozessausgang ist ungewiss – bislang läuft das Webangebot weiter, ohne jede Einschränkung.
Der vor Gericht durchgedrückte Blockadezwang ist der erste sichtbare Erfolg der neuen Strategie der Musikindustrie: Weil sich Verfahren wie das gegen Piratebay.org hinziehen und währenddessen immer neue Quellen im Web zu sprudeln beginnen, will die Musikindustrie nun einfach die Übertragung von Musik-, Film- und Softwaredateien aus trüben Quellen blockieren lassen (eine Übersicht der Sperrtechniken im Kasten unten).
Kim Stensdal, Redakteur beim dänischen IT-Fachmagazin "Computerworld", hält es für wahrscheinlich, dass alle dänischen Provider diese Sperrungsanordnung umsetzten werden. Stensdal begründet das mit dem Verhalten der Provider in einem vergleichbaren Fall 2006: "Damals hat dasselbe Gericht entschieden, dass Tele2 seinen Kunden den Zugang zur russischen Seite Allofmp3 sperren soll. Tele2 macht das bis heute, ebenso wie die anderen dänischen Internetprovider."
IFPI-Anwalt Jakob Plesner Mathiasen erklärt SPIEGEL ONLINE: "Wir werden die anderen Provider über die Entscheidung informieren. Wir gehen davon aus, dass sie der Entscheidung folgen werden." Stensdal glaubt nicht, dass die dänischen Provider im Fall von Piratebay weitere Prozesse provozieren werden: "Ich bin mir recht sicher, dass sie sich so verhalten werden wie 2006 bei der Allofmp3-Sperrung."
Deutsche Musikindustrie prüft Musterprozesse
Stefan Michalk, Geschäftsführer des deutschen Bundesverbands Musikindustrie, sieht hier auch die deutschen Internetprovider in der Pflicht: "Die Provider haben jahrelang indirekt von Internetpiraterie im Web profitiert. Niemand zahlt doch für eine superschnelle Breitband-DSL-Flatrate, um darüber zu mailen und Nachrichten zu lesen." Man habe auf verschiedenen Ebenen Gespräche mit den Internetprovider zu diesem Thema geführt, bislang jedoch ohne Ergebnis.
Michalk zu SPIEGEL ONLINE: "Ich hoffe, dass wir ähnlich wie in Frankreich ohne Klagen zu einem fairen Interessenausgleich zwischen Providern, Rechteinhabern, Datenschützern und den Kunden finden." Zum Hintergrund: In Frankreich ist ein Gesetz in Arbeit, das es erlauben soll, notorischen Raubkopierern den Internetzugang zu sperren und Provider in die Filterpflicht zu nehmen.
"Copyright-Verletzungen befeuern das Provider-Geschäft"
Michalk argumentiert, beim deutschen Status Quo scheinbar neutraler Provider könne es nicht bleiben: "Die Provider können nicht weiter tatenlos zusehen, wie Urheberrechtsverletzungen ihr Geschäft befeuern, da halten wir uns natürlich alle Möglichkeiten offen, auch juristische Schritte."
Diese Prozesse könnten durchaus zuungunsten der Provider ausgehen – bislang ist noch kein vergleichbarer Fall in Deutschland bis zur letzten Instanz durchgefochten, die Landgerichte entscheiden unterschiedlich. Arne Trautmann, Münchner Anwalt für IT-Recht, fasst die unübersichtliche Lage so zusammen: "Würde die Musikindustrie wie in Dänemark gegen deutsche Internetprovider vorgehen, so ist es durchaus denkbar, dass ein Gericht den Provider zur Sperrung der Piratebay-Seite verpflichtet."
Trautmann erläutert: "In Deutschland könnte die Musikindustrie bei solch einer Klage mit der sogenannten Störerhaftung argumentieren." Störerhaftung betritt eigentlich nur die Betreiber von Webforen (Diskussionsforen, Auktionsportale, Bewertungsseiten), die sich aus Sicht deutscher Gerichte ab einem bestimmten Punkt mitschuldig machen, wenn in ihren Foren Menschen die Rechte Dritter verletzten.
Hier gilt der Grundsatz: Sobald Seitenbetreiber Kenntnis von Rechtsverletztungen in ihrem Einflussbereich haben, müssen sie beispielsweise in Foren beanstandete Beiträge möglichst umgehend entfernen. Tun sie das trotz Aufforderung nicht, machen sie sich die kritisierten Äußerungen zu eigen und können von einem Gericht zur Unterlassung verurteilt werden (zur Rechtslage im Detail siehe Kasten unten).
So ähnlich könnten die Anwälte der Musikindustrie vor Gericht auch gegen Internetprovider argumentieren. Im vergangenen Jahr konnte auf diesem Weg zum Beispiel der deutsche Online-Erotik-Anbieter Kirchberg Logistik in Frankfurt eine Unterlassungsverfügung gegen den Internetprovider Arcor erwirken, während Gerichte in Düsseldorf und Kiel vergleichbare Forderungen abgelehnt haben. Anwalt Trautmann: "In dieser Frage fehlt noch ein letztinstanzliches Urteil, derzeit gelten beide juristischen Einschätzungen."
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