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Reklame-Relevanz: Warum Google-Werbung klickt (Spiegel Online, 26.3.2010)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Reklame-Relevanz

Warum Google-Werbung klickt

Anzeigenblättchen war gestern, jetzt erfindet Google das Erfolgsmodell der Lokalzeitungen im Web neu: Werbung, die relevant für den Leser ist. Ziel des Unternehmens ist der Mobilmarkt. Denn ein Handy hat man fast immer dabei – und es ist sehr smart.

Spiegel Online, 26.3.2010

Im vorigen Jahrtausend war kaum ein Werbeträger so nah am Publikum wie die Lokalzeitung: Da konnten Leser den Anzeigen entnehmen, wer gestorben ist, was im Supermarkt diese Woche besonders billig sein wird und wer ein Kind bekommen hat. Die Anzeigen waren fast durchweg relevant für Leser, die sich mit ihrem Wohnort verbunden fühlten. Denn von dort kamen die Schnitzelangebote, die Toten, die Neugeborenen.

Die Regionalzeitungen hatten ohne großes Dazutun ein geniales Werbemodell geschaffen: Sie verkauften Werbeplätze in einem Umfeld, das die Leser dank Lokalbezug automatisch als relevanter und interessanter wahrnahmen als das, was sie in vielen anderen Medien präsentiert bekamen. TV, Magazine und überregionale Zeitungen warben um Marken-Image, die Lokalblätter für preiswerten Schweinebauch und Schnäppchen in der Nachbarschaft. Und viele Lokalverleger hatten ein Beinahe-Monopol für dieses Instrument – sie kontrollierten die Plattform, über die all die verstreuten Bürger zu erreichen waren.

Dieses Torwächtermodell für ein Werbeumfeld mit gefühlter Relevanz hat Google für Internetwerbung übersetzt: Der Konzern schafft es bei seinen Suchanfragen-Werbeplätzen, Menschen Anzeigen zu zeigen, die sie als zumindest interessant empfinden, weil sie zumindest ihren Suchinteressen nah sind. Google kontrolliert diesen Kanal. Und nun setzt der Konzern alles daran, sich für Mobilwerbung eine ähnliche Rolle zu erkämpfen, zielt dort aber zudem auf das ultimative Relevanzkriterium – räumliche Nähe.

Der Fachdienst Moconews berichtet, dass Google sein Mobilgeräte-Betriebssystem Android den Geräteherstellern und Mobilfunkanbietern mit Beteiligungen am Werbeumsatz schmackhaft macht. Laut Google werden täglich 60.000 Mobiltelefone mit Android-Betriebssystemen verkauft – 18 Monate nach Veröffentlichung des Systems.

Wie der Konzern das geschafft hat, erklärt Moconews unter Berufung auf mehrere Insider so: Wenn Anbieter auf den Geräten nicht nur das Android-System, sondern auch Google-Anwendungen wie Suche, Karten und E-Mail vorinstallieren, reicht der Konzern ihnen einen Anteil der mit den auf den Geräten erzielten Werbeeinnahmen weiter.

Schnitzel-Sucher interessiert sicher auch die Zwei-Meter-Currywurst

Google hat das weder dementiert noch bestätigt – die Verträge mit Partnern seien vertraulich. Die Strategie klingt aber plausibel. Mit ähnlichen Deals hat Google seine Suchmaschine zu so etwas wie der Regionalzeitung des Webs gemacht. Was immer man für einen Zugang zum Netz nutzt, die Wahrscheinlichkeit, eine Eingabemaske für Google-Suchanfragen zu finden, ist recht hoch. Die hinter dem beliebten Browser Firefox stehende Mozilla-Stiftung bestreitet einen Großteil ihrer Einnahmen aus einem Werbe-Deal mit Google: Dafür, dass Google die Standardsuchmaschine im Firefox-Browser ist, fließt Geld. Ein Großteil der 78,6 Millionen US-Dollar, die Mozilla im Jahr 2008 eingenommen hat, stammt von Google.

Nach den Browsern will Google nun also auf Mobilgeräten eine ähnlich dominante Position erobern. Warum, wird schnell klar, wenn man den Grund für den Erfolg der Google-Werbung analysiert. Den Großteil des Umsatzes von Google machen Werbeeinnahmen aus. Und einen großen Teil dieser Werbeeinnahmen erzielt Google auf den eigenen Suchergebnisseiten, nicht mit Kontextanzeigen bei Partnern.

Warum klicken die Menschen so gern auf Textanzeigen, die im Umfeld von Suchergebnissen auftauchen? Es ist wie beim Regionalblatt: Die Ergebnisse haben eine mindestens so hohe Relevanz wie die guten alten Schnitzelschnäppchen in der “Dattelner Morgenpost”: Wer in Datteln wohnt, will mit einigermaßen hoher Wahrscheinlichkeit wissen, wo es da diese Woche billige Schnitzel gibt. Wer bei Google nach Schnitzeln sucht, erhält zurückhaltende Werbung für Anbieter der “2 Meter Currywurst” und des “1Kg Schnitzels” und noch ein paar Hinweise auf andere, für Schnitzelfreunde mit Sicherheit relevante Anbieter.

Das ist der Unterschied zwischen der Lokalzeitung und Googles Suchmaschine: Die Relevanz ist nicht nur aufgrund des lokalen Bezugs angenommen, sie ist gegeben: Wer nach etwas sucht, hat Interesse daran. Und er ist in einer ganz anderen Stimmung als ein Regionalzeitungsleser: Wer sucht, will finden. Wer in einem Lokalblatt gerade etwas über Regionalsport liest, fühlt sich von der Anzeigen fürs Schnitzelschnäppchen daneben womöglich gestört, vielleicht sogar abgestoßen, sollte er ein vegetarischer Regionalsport-Fan sein (Werbung für vegetarische Schnitzel dürften in diesem Kontext allerdings an zu hohen Streuverlusten scheitern).

Google experimentiert seit Jahren damit, andere Anzeigeformen ähnlich relevant und allgegenwärtig zu machen wie seine Suchergebnis-Vermarktung. Die von Google auf anderen Seiten vermarkteten kontextsensitiven Anzeigen versuchen, Relevanz über Textanalysen zu erreichen: Die Google-Software analysiert, worum es im Textangebot neben einer Google-Werbefläche geht und liefert dann auf Fotoseiten automatisch Fotowerbung aus, neben Reiseberichten Tourismusanzeigen, neben Technikartikeln Druckerwerbung.

Google verkauft hilfreiche Anzeigen

Diese Werbeflächen auf Partnerseiten hat Google allgegenwärtig gemacht: Das “Google Content Network” erreicht nach eigenen Angaben 80 Prozent der Internetnutzer weltweit. Von solchen Werten waren sogar die Besitzer einer Monopol-Regionalzeitung im vorigen Jahrtausend entfernt.

Nun sucht Google nach neuen Reklameträgern und Werbeformen: In diesem März begann der Konzern mit neuen Werbeexperimenten für seinen Kartendienst. Bei einigen Nutzern tauchen neben den Hotelstandorten auf den Google-Karten nun auch die aktuellen Zimmerpreise auf. Diese Informationen stammen von Reiseportalen wie Expedia oder Priceline.com, die bei Google werben.

Google-Manager Andrew Silverman erklärt den Hintergrund dieses Angebots so: “Indem wir ihnen diese relevanten Hotelinformationen direkt in Google Maps zeigen, hoffen wir, dass dieser Aspekt ihrer Reisevorbereitung noch schneller und effizienter wird.” Die Verkaufe ist genial: Anzeigen, die relevant sind, ja sogar eine Dienstleistung darstellen und das Leben einfacher machen. Wer würde das schon über Prospekte sagen?

Das Google nun mit aller Macht in den Mobilmarkt drängt, ist logisch. Was ist relevanter als kontextsensitive Werbung, die auf den Standort ihres Rezipienten abgestimmt ist? Das Mobiltelefon weiß, wo es ist. Und Google kann jemandem, der Restaurants sucht, Anzeigen für die Häuser in der Umgebung ausspucken. Über solche Werbeformen denken Experten schon seit Jahren nach.

Werbezielgruppe: Menschen, die gerade joggen waren

Aber mit Mobiltelefonen könnte noch viel mehr möglich sein: Die Geräte können nicht nur den Ort wahrnehmen, sondern auch Bewegung und Geräusche. Sie könnten analysieren, ob man gerade Musik laufen hat und wenn ja, welche. Beim nächsten Browser-Aufruf kommt dann eine passende Anzeige. Womöglich merkt ein Mobiltelefon anhand der Uhrzeit und einiger Stunden Nicht-Benutzung, dass sein Besitzer gerade geschlafen hat.

Vielleicht kann eine schlaue Software an Daten der Bewegungssensoren des Mobiltelefons erkennen, ob der Besitzer gerade joggt oder Fahrrad fährt – das alles könnten interessante Information für Werbekunden sein. Möchten sie bei Nutzern Werbung schalten, die eben aufgewacht sind, nach dem Joggen fertig auf dem Sofa liegen und zum Mobiltelefon greifen?

Vielleicht will das auch niemand, wer weiß. Fest steht jedenfalls: Weil Menschen ihr Mobiltelefon fast immer dabei haben und immer häufiger nutzen, um Medieninhalte abzurufen, wird irgendwer diese bisher kaum erahnten Möglichkeiten zur Personalisierung ausprobieren. Und so wie es aussieht, wird das wie schon beim Web Google sein. Der Konzern entwickelt sein Geschäft nach den Prinzipien der einst so extrem lukrativen Lokalzeitung.

Kleiner Unterschied: Googles Region besteht idealerweise aus Nordamerika und Europa.



Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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