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»Erfolg ist der neue Sex« (Bücher Magazin, 2/2006)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
6 minuten gelesen

»Erfolg ist der neue Sex«

Ihre Heldinnen sind jetzt auch Anfang 40. Und der Job ist wichtiger als der Sex. Und natürlich wird auch »Lipstick Jungle«, der neue Roman von »Sex and the City«-Autorin Candace Bushnell, wieder verfilmt.

Bücher Magazin , 2/2006

Wo »Sex and the City« aufhörte, fängt »Lipstick Jungle« an: Die Nachfolgerinnen von Carrie und Co. sind Anfang 40 und verheiratet. Sie suchen nicht mehr den Traumtypen, sondern den Karrierekick. Candace Bushnell hat beides gefunden.

Candace Bushnell blickt auf ihr New York hinab, aus dem sechsten Stock des sehr exklusiven Clubs »SoHo House« (Neulinge brauchen zwei Empfehlungen von Mitgliedern) über das West Village zum Hudson River. Ruhig ist es hier oben im Restaurant, unter den grünen Swarovski- Kronleuchtern, sehr exklusiv und sehr, sehr glamourös. An diesem hippen Bild von New York hat Bushnell als Autorin von »Sex and the City« mitgeschrieben. Ins »SoHo House« wollte in Folge 84 von »Sex and the City« die schöne Samantha unbedingt hinein, schaffte es für einen kurzen, wunderbaren Augenblick. Bushnell wirkt, als wäre sie hier zu Hause. Sie plaudert entspannt über ihr Outfit, das sanft golden schimmernde Top (»ein Freund arbeitet bei Oscar de la Renta«), die weiße Ralph-Lauren-Jeans (»bestimmt drei Jahre alt«) und die goldenen Stilettos von – sie streift sorglos einen ab und liest den verblassten Markennamen vor – »Rene Caovilla«. Sind das die neuen Manolo Blahniks? Lebt Candace Bushnell noch immer in der Welt von »Sex and the City«, zwei Jahre nachdem die letzte Folge im Fernsehen lief? Nein. Ihr neuer Roman »Lipstick Jungle« erzählt von einer anderen Welt, von drei eng befreundeten New Yorker Karrierefrauen über 40, die jetzt, an einem Wendepunkt ihres Lebens, wirklich etwas zu verlieren haben: ihre Kinder, ihre Vermögen, ihre Ehen.

Deshalb ist »Lipstick Jungle« bei allen Gags (Verträge über die Fernsehserie zum Buch sind schon unterschrieben), bei aller Wärme der wunderbaren Frauenfreundschaften ein Buch voller Angst und Verzweiflung. Die bitteren Stellen sind die besten dieses Romans, da ist die Geschichte ganz bei sich selbst. Zum Beispiel hier: Wendy Healy ist 43, Chefin eines Filmstudios und laut »New York Post« Nummer zwölf auf der Liste der mächtigsten Frauen der Stadt. Doch als ihr arbeitsloser Mann sie verlässt und ihre drei Kinder mitnimmt, ist sie hilflos. Sie spürt Mann und Kinder auf dem Land auf einem Gestüt auf. Sie fliegt mit dem Firmenjet dorthin. Als sie ankommt, will ihre Familie nichts weiter von ihr, als die 50.000 Dollar für ein Pony. Ihre Tochter jubelt: »Jetzt, wo ich Prince habe, brauche ich sonst niemanden mehr.« Das ist nicht nur die überschwängliche Freude eines Kindes. Es ist die traurige Wahrheit, wie ihre Mutter Wendy erkennt: »Ich bin von einem Pony ersetzt worden.« Dieser Satz wirkt umso härter, weil Bushnell ihre drei Heldinnen gerade nicht in der klassischen, klischeebeladenen Frauenrolle der sensiblen, lieben, kompromisssüchtigen Versöhnerin zeigt. Wendy wirkt hier umso verletzlicher, nachdem man sie über das Restaurantprojekt ihres Mannes hat denken lesen: »Wahrscheinlich würde es ein Desaster werden. Aber zumindest konnte sie dann das Geld von der Steuer absetzen.« Wenn es ums Geschäft geht, denken Bushnells Frauen an Erfolg, nicht an Harmonie. Sie fordern, sie feuern, sie kalkulieren. Sie machen Karriere und müssen dafür bezahlen: Als Wendy erfährt, dass sie nie dasalleinige Sorgerecht für ihre Kinder bekommen wird, sagt sie: »Weil ich arbeite. Das ist ja toll. Was für eine gelungene Botschaft an die jungen Frauen in Amerika! Wenn ihr hart arbeitet und Karriere macht, wird die Gesellschaft euch auf die eine oder andere Weise bestrafen.«

Ihre Heldinnen sind mit Candace Bushnell gealtert. Die Autorin ist 46 Jahre alt, seit dreieinhalb Jahren mit dem Balletttänzer Charles Askegard (35) verheiratet – ihm, ihrem »geliebten Mann«, hat sie »Lipstick Jungle« gewidmet. Übers Altern sagt Bushnell: »Als ich 40 wurde, war ich Single. Ich musste eine Entscheidung treffen. Ich war kein Mädchen mehr. Ich konnte mich mir entweder als traurige alte Jungfer oder als Dame vorstellen. Das Bild der Dame mochte ich mehr. Es klingt wie ein Klischee, aber für mich schafft eine Dame alles selbst. Also habe ich mich dafür entschieden.« Das haben auch die drei Heldinnen in »Lipstick Jungle«, die Nummern 8, 12 und 17 auf der Liste der einflussreichsten Frauen New Yorks: Neben Studiochefin Wendy Healy sind das Nico O’Neilly, die nach außen kühle, sehr ehrgeizige, leidenschaftslos verheiratete Chefredakteurin eines edlen Lifestylemagazins und Victory Ford, die ungebundene Modedesignerin, die gerade den Stil ihrer Entwürfe extrem ändert und so das Bestehen ihrer Firma riskiert. Bushnell erzählt in Rückblenden, wie diese drei Frauen dorthin gekommen sind, wo sie heute sind. Zum Beispiel, indem sie zu weinenden, da gemobbten und gerade gekündigten Exkonkurrenten Sätze sagen wie: »Es ist nur Business, Bruce.« Das ist anders in »Lipstick Jungle«: In »Sex and the City« waren Männer DAS Gesprächsthema. Für Wendy, Nico und Victory ist es die Karriere. Da hat Bushnell einfach hingehört, worüber Frauen in ihrem Umfeld sprechen: »Sex ist nicht mehr das wichtigste Thema. Das war vor Jahren so«, sagt sie. Jede dritte verheiratete Frau in den Vereinigten Staaten verdient heute mehr als ihr Ehemann. Da verschwinden alte Rollenbilder ganz schnell. Neue hat die Medienindustrie noch nicht produziert. Von der daraus folgenden großen Unsicherheit erzählt Candace Bushnell. Glücklich ist niemand in »Lipstick Jungle«, weder die Männer noch die Frauen. Ihnen fehlt, was Bushnell vor dreieinhalb Jahren gefunden hat: jene Sicherheit, die wahre Liebe, die eine echte Partnerschaft gibt. »Mein Mann ist ein großartiger Typ«, sagt Bushnell. Mehr nicht. Große Worte sind nicht nötig, um zu sehen, wie glücklich die beiden sind: Nach nur sieben Wochen haben sie am 4. Juli 2002 geheiratet, an Bushnells 43. Geburtstag. Ihr Apartment in Greenwich Village haben sie zusammen renoviert, haben sich gemeinsam in das Louis-XVI.-Sofa des Schriftstellers Jay McInerney verliebt, es ihm abgekauft, es in ihrem hellen Wohnzimmer arrangiert. Niemand konnte sich die beiden als Paar vorstellen. Im Sommer feiern sie ihren vierten Hochzeitstag. So eine Beziehung fehlt Bushnells Heldinnen. Seltsame Figuren sind das: Im Grunde genommen haben sie keine wirklichen Interessen. Sie begeistern sich nicht für Kunst um der Kunst, nicht für Musik um der Musik oder für Literatur um der Literatur willen. Sie haben keine Leidenschaften, sie haben Ziele (Karriere, imposantes Haus, gute Ehe, gesellschaftlicher Aufstieg). Und die verfolgen sie leidenschaftlich. »Und nichts war so grandios wie der Erfolg in New York. Man wurde bewundert und geliebt und ein wenig gefürchtet. Der Erfolg brachte einem Schutz und Sicherheit«, denkt Modedesignerin Victory an einer Stelle. Bushnells Heldinnen haben Erfolg. Bleibt der aus, leiden sie daran, dass all die anderen Dinge in ihrem Leben fehlen.

Natürlich sind diese Figuren eindimensional. Die Sprache ist es auch. Wir lesen die abgegriffensten, naheliegendsten Attribute und Bilder: Das »Getriebe« ist natürlich »hektisch«, ein »Biest« selbstverständlich »zickig«, Männer sind »wirklich total nett« und eine Scheidung ist eine »Bombe «, die man »platzen« lässt. »Lipstick Jungle« ist ein schlecht geschriebener, aber kein schlechter Roman. Die handwerklichen Schwächen transportieren einen Mangel, den viele Menschen heute spüren in einem Leben, das so bar jeder Tiefe ist wie die Sprache dieses Romans und der Figuren darin. Authentisch sind Wendy, Nico und Victory in ihrem Schmerz. Alle schönen Gefühle eignen sie sich an, Empfindungen aus zweiter Hand, die sie behaupten, wieder und wieder, wie ein Mantra: »Manhattan im September ist einfach herrlich.« »Und nichts war so grandios wie der Erfolg in New York.« Doch die Wiederholung macht solche Phrasen nicht zu echtem Empfinden. Das erkennt Wendy, die verlassene, von ihren drei Kindern getrennte Studiochefin, die am tiefsten verletzte der drei Freundinnen, einmal. Sie fragt einen Bekannten, der mehr werden könnte: »Offensichtlich geht es in New York und Los Angeles allen immer nur großartig, vor allem Leuten in unserer Branche. Ist Ihnen das schon mal aufgefallen. Stört Sie das nicht, Seldon? Finden Sie das nicht … verdächtig?« Ja, das ist verdächtig. Candace Bushnell lächelt im sechsten Stock des »SoHo House« und sagt: »Frauen über 40 sind heute erfüllter als je zuvor. Wir scheinen alle glücklicher zu sein als in unseren Dreißigern. « Für die verheiratete Candace Bushnell stimmt das. Hoffentlich. 

CANDACE BUSHNELL: LIPSTICK JUNGLE, MARION VON SCHRÖDER, CA. 544 SEITEN, 19,95 €


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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