Ricoh GXR A12 M und Sony Nex-5N: Neue Kameras für alte Objektiv-Schätze (Spiegel Online, 21.12.2011)
Ricoh GXR A12 M und Sony Nex-5N
Neue Kameras für alte Objektiv-Schätze
Gehäuse wechseln, doch das Glas bleibt: Manuelle Objektive behalten ihren Wert, während Kameras veralten. An modernen Systemkameras von Ricoh und Sony funktionieren auch 30 Jahre alte Leica-Objektive tadellos – ein Alltagsversuch.
SPIEGEL ONLINE, 21.12.2011
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Dieses Objektiv ist ein paar Jahre älter als Orlando Bloom: Bis 1977 hat Leica das kleine, leichte Summicron (für Enthusiasten: CL f/2 40 mm) gefertigt, gebraucht kann man es heute für etwa 380 Euro von Privatleuten ersteigern. Einen Autofokus und andere elektronische Hilfsmittel bietet der Objektiv-Opa nicht. Doch gerade das macht solche manuellen Linsen zur idealen Ergänzung moderner Wechselobjektiv-Kameras.
Manuelle Objektive haben gegenüber den vollautomatischen, speziell für die neuen Kamerasysteme entwickelten, einige Vorteile: Zum einen ist die Auswahl größer. Für Sonys spiegellose, kompakte Nex-Systemkameras gibt es bisher gerade mal sieben spezielle Objektive. Doch mit einem Adapterring lassen sich Hunderte manueller Objektive anschließen, die über die Jahrzehnte zum Beispiel für das Leica-M-Bajonett konstruiert worden sind.
Viele dieser Objektive haben – von der oft hervorragenden Abbildungsleistung einmal abgesehen – besondere Eigenschaften, die man selten oder gar nicht bei modernen Automatik-Objektiven findet: Die Blendenöffnung ist besonders groß, die Brennweite ist sehr niedrig (gut für Landschaftsaufnahmen) und so weiter. Manuelle Objektive kann man von Hand mit einem Griff am Fokussierrad scharf stellen. Und man legt auch direkt am Blendenring des Objektivs fest, wie groß die Öffnung ist, durch die Licht einfällt – dafür muss man bei vielen modernen Objektiven umständlich durch die Bildschirmmenüs der Digitalkamera navigieren.
Anschluss per Adapterring – oder direkt
Objektive für das Leica- M-Bajonett kann man mit Hilfe eines Adapterrings an die Sony NEX-5N anschließen. Einige Adapterringe kosten im Handel weniger als 50, andere mehr als 100 Euro. Das dürfte doch eigentlich keinen großen Unterschied machen, schließlich handelt es sich nur um speziell gefräste Metallringe – so denkt man, bis nach ein paar Wochen das Objektiv im günstigen Adapter wackelt.
Bei Ricohs GXR-Systemkamera braucht es keine Adapterringe für Leica-M-Objektive. Der Hersteller hat ein spezielles Modul für diese Objektive entwickelt, eine Kombination aus Bildsensor und Objektivbajonett. Knapp 600 Euro kostet diese Einheit (GXR A12 M) im Handel – günstig ist das nur, wenn man den Betrag mit dem Preis neuer Leica-Digitalkameras vergleicht. Gegenüber diesen vierstelligen Summen ist Ricohs GXR-Kombination ein Schnäppchen.
Digitale Fokussierhilfe zeigt, wo die Schärfe liegt
Sony und Ricoh bieten dieselbe Fokussierhilfe für manuelle Objektive: In einem speziellen Modus hebt die Software auf dem Display an der Kamerarückseite die Konturen scharf gestellter Gegenstände in auffälligen Farben hervor. Zudem kann man auch ausgewählte Ausschnitte auf dem Bildschirm vergrößern, wenn man sehr genau fokussieren muss.
Das ist notwendig, wenn der scharf gestellte Bereich sehr klein ist, weil man ein bestimmtes Detail der Aufnahme hervorheben und den Rest in Unschärfe verschwimmen lassen will. Das geht mit Objektiven sehr gut, bei denen man die Blende sehr weit öffnen kann. Je größer die Blendenöffnung ist, desto kleiner wird der scharf abgebildete Bereich der Aufnahme. Mit den Hilfsmitteln der Systemkameras von Sony und Ricoh kann man präzise mit der Schärfe arbeiten – die moderne Elektronik spielt hier wunderbar mit den manuellen Fokussiersystemen zusammen, die sich sehr weich und fein abgestuft einstellen lassen.
Manuelle Objektive sind alltagstauglich
Die Bedienung der Ricoh-GXR-Systemkamera passt besser zu manuellen Objektiven als die der NEX-5N: Ricoh nutzt im Vergleich viele dezidierte Knöpfe, Wipp-Schalter und Drehrädchen. Bei der Sony-Kamera hingegen hangelt man sich am Touchscreen durch Menüs. Beide Ansätze funktionieren gut, stimmiger wirkt aber das Ricoh-System. Ob einem das den Aufpreis von fast 300 Euro für das Gehäuse wert ist, sollte man vor dem Kauf ausprobieren.
Wir haben an der Sony Nex-5N und der Ricoh GXR zwei manuelle Objektive ausprobiert: Das alte Leica Summicron CL f/2 40 mm (gebraucht 380 Euro) und das neue Voigtländer Nokton 35 mm f/1,4 vom japanischen Hersteller Cosina (Neupreis etwa 500 Euro).
Beide eigenen sich hervorragend als Standardobjektive: Den schnellen Autofokus vermisst man im Alltag nur sehr selten – zum Beispiel, wenn der hungrig in die Metzgerei blickende Hund auf dem Schnappschuss dann doch nicht scharf abgebildet ist. So etwas passiert aber selten, dafür komponiert man alle anderen Aufnahmen mit dem manuellen Fokus und der direkt eingestellten Blendenöffnung viel bewusster und hoffentlich genauer – die Technik zwingt dazu und erleichtert es ungemein.
Gehäuse wechseln, Objektive bleiben
Einen Nachteil gibt es noch, wenn man Leica-M-Objektive an Ricohs und Sonys Systemkameras nutzt: Die Brennweite verlängert sich um den Faktor 1,5, ein Leica-M-Weitwinkelobjektiv (etwa mit 20 mm Brennweite) ist an den Systemkameras nicht mehr ganz so weitwinkelig (umgerechnet 30 mm Brennweite) – wer extreme Weitwinkelobjektive für Landschaftsaufnahmen sucht, muss sich einschränken.
Bei der Wahl von Leica-M-Objektiven ist die Seite des US-Fotografen Ken Rockwell ein guter erster Anhaltspunkt: Rockwell hat stellt viele Objektive von Leica und Voigtländer vor und gibt klare Einschätzungen, wo seiner Meinung nach die Stärken und Schwächen liegen. Einen Vorteil hat die Investition in Leica-M-Objektive mit Sicherheit: Sie verlieren nicht so schnell an Wert wie Digital-Gehäuse, für die Menschen heute viel Geld ausgeben.
Der Standard existiert seit 1954 und Kamerahersteller wie Ricoh fertigen heute sogar spezielle Module für Leica-M-Objektive – es spricht also sehr viel dafür, dass man heute gekaufte Objektive für dieses Bajonett noch lange wird verwenden können – ganz gleich, wie dann die Digitaltechnik in den Kameras aussieht.