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Rollenspiellegende Dave Arneson: Der Drachenvater (Spiegel Online, 14.5.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Rollenspiellegende Dave Arneson

Der Drachenvater

Würfel, Landkarte und Bleistifte. Mit diesem Werkzeug erschuf Dave Arneson Ende der sechziger Jahre eine virtuelle Realität, die Generationen prägte und zur Blaupause für Games wurde: Fantasy-Rollenspiele. Erfinder Arneson blieb der Typ in der zweiten Reihe – und spielte bis ins Alter D&D.

Spiegel Online, 14.5.2009

Die Spiele, mit denen Dave Arneson seine Jugend im Keller seines Elternhauses in Saint Paul, Minnesota, verbrachte, werden heute die wenigsten Menschen verstehen: Tabletops. Bei diesen sogenannten Konfliktsimulationen spielen die Teilnehmer mit Miniaturarmeen auf dreidimensionalen, liebevoll nachgebauten Schlachtfeldern nach umfassenden Regelwerken Schlachten nach. Arneson kam als Teenager mit diesen Spielen in Berührung, irgendwann Mitte der sechziger Jahre. Da schenkten ihm seine Eltern eine Ausgabe des Tabletop-Klassikers “Gettysburg” des US-Spieleverlags Avalon Hill.

Ein paar Jahre später schuf Arneson mit dem Spieldesigner Gary Gygax aus den staubtrockenen Tabletops ein ganz neues Spielgenre: die mit Würfeln, Papier, Stift und Regelwerken gespielten Rollenspiele. Diese von einem Spielleiter live vorgetragenen und abgewickelten Spiele waren die einzige virtuelle Realität, in der mehrere Spieler dieselbe Fantasy-Welt gemeinsam erleben konnten, lange bevor Computer leistungsfähig und günstig genug für solche Aufgaben wurden.

Der Anfang April gestorbene Dave Arneson hat mit Gary Gygax in den frühen siebziger Jahren das erste kommerzielle Rollenspiel entwickelt: Dungeons & Dragons. D&D wirkt bis heute nach. Computerrollenspiele haben viele Figuren, Gesetzmäßigkeiten, Erzählelemente und Szenarien von Dungeons & Dragons übernommen, so wie heutige Strategiespiele zum Teil noch immer spürbar von Tabletop-Klassikern beeinflusst sind.

Früher Streit um Ruhm und Geld

Doch Arneson hatte das Pech, als Rollenspielvater früh in den Hintergrund gedrängt zu werden – noch in den siebziger Jahren gab es eine unangenehme juristische Auseinandersetzung um seinen Anteil an D&D und den des Miterfinders Gygax. Ergebnis dieses Streits, obgleich die beiden Spielväter sich später öffentlich nichts mehr nachgegtragen haben: In der offiziellen Geschichtsschreibung des D&D-Verlags TSR taucht Arnesons Name heute zweimal auf. 1970, steht da, habe Arneson ein “Spielszenario in der Kanalisation einer Befestigungsanlage” entworfen, 1971 mit “Gary Gygax zusammen ‘das Fantasyspiel’ entwickelt”.

Eine gemeinsame Geschichte dieser Zeit haben die beiden nie geschrieben, dafür ging der Streit Ende der Siebziger wohl zu tief. Das ist bedauerlich, legten sie doch damals die Grundlage für Computerspiele wie die Ultima-Reihe Richard Garriotts, für sämtliche der heute so überaus populären Massen-Onlinerollenspiele à la World of Warcraft und nebenbei auch für eine ganz eigene Art von papierbasierten (Pen&Paper im englischen Original) Rollenspielen.

D&D inspirierte Ultima-Programmierer Garriott

Am Anfang stand ein ganz verständliches Interesse: Arneson sah es nicht mehr ein, bei Tabeltops immer nur eine Armee befehligen und als einzige Motivation den Sieg in einer Schlacht erhoffen zu können. Das war doch ein wenig eindimensional, wie Arneson dem US-Magazin “Gamespy” 2004 rückblickend erzählte: “Wir spielten einige Jahre lang zusammen und probierten dann unsere eigenen Spielvarianten aus. Wir entwickelten für verschiedene Figuren eigene Ziele, die zum Teil gar nicht militärischer Natur waren. Und an diesem Punkt, denke ich, begannen wir mit dem Rollenspiel.”

Arneson reiste 1969 oder 1970 – genau konnte er sich später in Gesprächen nicht an das Jahr erinnern – zur Gen Con, einem Treffen von Tabletop-Spielern in Lake Geneva, Wisconsin. Dort traf Arneson – eigentlich Geschichtsstudent an der University of Minnesota – den Organisator des Treffens, Gary Gygax. Arneson nahm ein von Gygax entwickeltes Regelwerk namens “Chainmail” mit und passte es mit seinen Mitspielern für Fantasy-Spiele an.

Er wandelte die Regeln so ab, dass jeder Spieler eine Figur verkörperte und steuerte – auch über ein einziges Spiel hinaus. Die Charaktere lernten, verbesserten ihre Fähigkeiten und sammelten natürlich auch einige nützliche Dinge ein. Statt jedes Mal völlig neu zu beginnen, bauten Arnesons Spiele aufeinander auf. Und jeder Spieler widmete seine ganze Aufmerksamkeit einer Figur, die er weiterentwickelte.

Arneson erfand Adventure und Kampagnen-Setting

Arneson erweiterte auch das Spielfeld: In den von ihn geleiteten Spielen konnten die Mitspieler Wälder, Verließe, Ruinen, Geheimhänge, Höhlen erkunden – alles, was Arneson sich vorab ausgedacht und aufgezeichnet hatte. Er beschrieb den Mitspielern die Gegend, verkörperte die Wesen, die sie dort trafen und entschied nach vorgefertigten Regeln, ob die Spieler mit ihren Handlungen erfolgreich waren oder nicht.

Die Sammlung von Regeln, Landkarten, Figuren und Ortsbeschreibungen hob Arneson unter dem Schlagwort Blackmoor auf – später veröffentlichte er Beschreibungen dieser Spielwelt und vorgefertigte Inszenierungen von Spielepisoden (sogenannte Abenteuer). Die beiden Arten der Publikationen sind seither ein fester Bestandteil der Programme von Rollenspielverlagen: Es gibt Regeln und für alle, die sich nicht allein auf die eigene Gestaltungskraft verlassen möchten gibt es Quellenbücher zu allen erdenklichen Themen.

Das heute manche Spieler diese Vielfalt an Quellen für Regeldebatten nutzen, ist eine traurige Ironie der Geschichte – Arneson freute sich anfangs über die enorme Befreiung von allzu starren Tabeltop-Regeln, die der Fantasy-Hintergrund mit sich brachte. Vor ein paar Jahren erinnerte sich Arneson an die Spiele am Tischtennistisch im Keller seiner Eltern so: “Ich hatte keine Lust, dass Spieler mit einem neuen Regelbuch ankamen und sagten, wir müssten das nutzen, weil es richtig und das alte falsch sei. Das war eine Fantasy-Welt, wer konnte also beweisen, dass eine Spielfigur nicht korrekt dargestellt war?”

Die Fantasy-Welt am Tischtennis-Tisch

Nachdem Arneson die neue Tabletop-Spielvariante ein Jahr lang mit seinen Freunden daheim ausprobiert hatte, entschlossen er und Gary Gygax sich beim nächsten Gen-Con-Treffen, aus diesem Spielansatz ein Produkt zu machen – ein Regelbuch für Rollenspiele zu schreiben. Das erste seiner Art.

Das Kapital für die erste Druckauflage des “Dungeons & Dragons” getauften Werks schossen den beiden Spieleautoren Freunde von Gary Gygax vor, ihren Rollenspielverlag tauften sie TSR und verkauften die ersten tausend noch selbst in Schachteln abgepackten Regelwerke für alle Beteiligten überraschend schnell. Das Spiel wurde schnell zu einem internationalen Erfolg – in Großbritannien verlegten 1975 Ian Livingstone und Steve Jackson eine D&D-Ausgabe.

Nach dem Streit um seine Beteiligung verließ Arneson TSR bald, er schrieb später noch Quellenwerke für die von ihm erdachte Spielwelt Blackmoor für den Verlag, ging aber ansonsten seinen eigenen Weg. Er gründete eine Computerfirma, beriet Software-Unternehmen beim Programmdesign, lehrte Informatik an einer Privatschule in Florida.

Wie viele Rollenspielveteranen (Steve Jackson bei Lionhead, Ian Livingstone bei Eidos) war Arneson im Computerspielbereich aktiv – rein privat allerdings. 2004 erzählte er im “Gamespy”-Interview, dass er Online-Rollenspiele wie EverQuest und Dark Age of Camelot ausprobiert hatte, aber keines so ganz als Gegenstück zu papierbasierten Rollenspielen sehen konnte: “Die Spieler können nur in einem bestimmten Rahmen zusammenarbeiten. Es ist einfach nicht dasselbe, wie zusammen zu sitzen und als Gruppe zu spielen.”

Solange sein Gesundheitszustand es zuließ, spielte Arneson regelmäßig D&D-Runden mit alten Bekannten, aber auch mit jüngeren Nachbarn, im Alter von 12 bis 35 Jahren. Einmal im Jahr traf er sich mit seinen alten Blackmoor-Mitspielern, die Anfang der siebziger Jahre die erste Fassung von D&D, ja des ersten Rollenspiels überhaupt erprobt hatten.

David Arneson starb am 7. April im Alter von 61 Jahren an Krebs.


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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