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RSS-Leser: Fever schlägt den Google Reader (Spiegel Online, 14.1.2013)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

RSS-Leser

Fever schlägt den Google Reader

Elegante Gestaltung, einzigartige Funktionen, eigener Server: Der RSS-Reader Fever macht einiges besser als der Google Reader. Hinter der erstaunlichen Software steckt keine Firma, sondern ein einziger Programmierer. Wir haben die RSS-Software getestet.

Spiegel Online, 14.1.2013

Elegante Gestaltung, einzigartige Funktionen, eigener Server: Der RSS-Reader Fever macht einiges besser als der Google Reader. Hinter der erstaunlichen Software steckt keine Firma, sondern ein einziger Programmierer. Wir haben die RSS-Software getestet.

Wenn Sie mit der Abkürzung RSS nichts anfangen können, erscheint der Rest dieses Artikels Ihnen wahrscheinlich uninteressant.

Zu Unrecht!

RSS ist ein alter, offener Standard, mit dem man zum Beispiel die neuen Artikel von vielen Websites schnell gesammelt in einer Übersicht lesen kann. Auf Basis von RSS-Feeds kann sich jeder Nutzer so etwas wie ein eigenes Google News aus den Feeds von selbst ausgewählten Blogs, Medien und Freunden zusammenzustellen. Ohne RSS gäbe es Nachrichten-Aggregatoren wie Rivva nicht. Der freie Austausch über diesen Standard ist ein wichtiger Gegenpol zu den Datensilos von Facebook, Twitter und anderen Webriesen.

Wenn Sie das schon alles wissen, kennen Sie wahrscheinlich den Google Reader – unter den web-basierten RSS-Diensten steht er mittlerweile ziemlich allein. Die Konkurrenz zum kostenlosen Google-Dienst ist inzwischen gering, die Browser-basierten Angebote ehemalige Wettbewerber siechen dahin. Mit einer Ausnahme: Fever sieht besser aus und bietet mehr Funktionen als der Google Reader. Geschaffen hat die Software ein Mann im Alleingang, der US-Entwicklers Shaun Inman.

Themen-Thermometer misst das Echo im eigenen Netz

Fever hat ein erfolgreiches Geschäftsmodell ohne Quersubvention wie bei Google. Shaun Inman verkauft die Software. Für 30 Dollar kann man Fever lebenslang nutzen – man braucht dafür allerdings etwas eigenen Webspace. Und das lohnt sich. Fever ist schnell, elegant gestaltet und bietet einzigartige Funktionen. In einer besonderen Ansicht (“Hot”) zeigt der Dienst, welche Artikel in den eigenen Quellen besonders häufig zitiert werden.

Diese Rangliste der meist diskutierten, zitierten oder kommentierten Artikel (über die Auswahlkriterien entscheidet mal selbst) erinnert an Aggregatoren wie Google News, Rivva oder Digg. Oben steht, was großes Echo in den selbstausgewählten Medien hervorruft. Fever listet dann alle Quellen untereinander auf, die sich auf eine Geschichte beziehen. Je stärker ein Thema diskutiert wird, desto höher erscheint es in der Fever-Ansicht.

Dieses Fieberthermometer-Konzept hat einen großen Vorteil: Mit Fever kann man jenen Blogs und Medien, die eigene Themen setzen, mehr Aufmerksamkeit schenken. Die Feeds solcher Quellen liest man in einer klassischen Ansicht, Artikel für Artikel, in Themen-Rubriken sortiert, wenn man will. Für die Top-Themen, über die alle berichten, genügt die Hot-Ansicht.

Große Aggregatoren und Nachrichtenseiten, die fast alle Themen in einem Fachgebiet aufgreifen, sortiert man bei Fever in eine eigene Abteilung namens Sparks. Aus der Verteilung bestimmter Themen in diesen Quellen bestimmt Fever die Rangfolge der Top-Themen in der Thermometer-Ansicht. Solche Funktionen bietet der Google Reader nicht.

Vorteile: Mobil-Ansicht, Favoriten-Feed, eigener Server

Fever lässt sich mit anderen Diensten verknüpfen. Wenn man will, erstellt Fever einen RSS-Feed mit als interessant markierten Artikeln. Diesen kann man nutzen, um die Artikel und Links bei anderen Diensten wie Pinboard, Instapaper oder Evernote automatisch zu archivieren. Weitere Vorteile: Die Browser-Ansicht einer Fever-Installation sieht auch auf Mobilgeräten gut aus, und wenn man am Touchscreen herunterscrollt, werden die Artikel automatisch als gelesen markiert und neue nachgeladen.

Eine wesentliche Eigenart von Fever ist für einige Nutzer ein enormer Vorteil, für andere ein Ausschlussgrund: Man muss den Webdienst, wie oben erwähnt, selbst hosten. Das ist in der Regel nicht kompliziert. Fever braucht eine Standardumgebung (Linux, Apache, MySQL 3.23+, PHP 4.2.3+). Solche Hostingpakte kosten bei Providern wie All-Inkl, Uberspace, Domainfactory oder Hosteurope wenige Euro im Monat. Bei diesen Dienstleistern kann man dann auch noch andere Programme einrichten, zum Beispiel eine WordPress-Installation fürs eigene Blog.

Die Fever-Installation ist denkbar einfach. Bevor man die Software überhaupt kaufen kann, muss man eine neue MySQL-Datenbank anlegen, die Fever-Testversion per FTP hochladen und ausführen. Nur wenn der Hosting-Anbieter die Anforderungen erfüllt, kann man eine Fever-Lizenz für diese Domain kaufen und die Software automatisch installieren.

Fazit: schön, schnell, stabil

Ich nutze Fever seit zwei Wochen und habe meinen alten Web-basierten Reader nicht vermisst. Auf Tablets nutze ich Fever im Browser, auf dem Android-Smartphone über die kostenlose App Meltdown, auf dem iPhone mit dem Programm Sunstroke. Auch die beliebte iOS-Anwendung Reeder unterstützt Fever.

Meine Installation läuft seit gut zwei Wochen stabil und schnell. Die Datenbank ist nun knapp 53 Megabyte groß. Wie das in einem Jahr aussieht, weiß man nicht. Allerdings löscht meine Installation nach zwei Wochen alte Links – viel größer sollte die Datenbank also nicht werden.

Wenn alles so schnell und stabil weiterläuft, ist Fever der perfekte Ersatz für webbasierte Dienste wie den Google Reader. Und mehr als das: Fever geht über das Angebot eines klassischen RSS-Readers hinaus und schafft eine ganz eigene Sicht auf das Nachrichtenangebot.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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