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Rüstet euch im Geiste (telepolis, 11.08.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Rüstet euch im Geiste

Mit netzgegengewalt.de verlangt CDU, was die Republikaner in den USA schon lange wolle: Statt Kompetenz im Umgang zu fördern, sollen die Möglichkeiten des Internets eingeschränkt werden.

telepolis, 11.08.2000

Vielleicht 500 erfuhren vom Zorn eines jungen Medizinstudenten auf den Großherzog, der seine „stattlichen Häuser aus den Knochen des Volkes“ baute und „Lampen mit dem Fett der Bauern“ illuminierte. Mehr Menschen erreichte das Flugblatt Georg Büchners nicht. Ludwig II von Hessen-Darmstadt hielt seine Bevölkerung für medienkompetenter, als es heutige Politiker tun. Er traute den Bauern durchaus zu, etwas mit den Haushaltszahlen anfangen zu können, die der „Hessische Landbote“ genüsslich zitierte. Und so tat er, was man 1834 tat: Flugblätter konfiszieren.

Heute verteidigt sich nicht mehr ein Aristokrat, sondern die demokratische Republik, für die Büchner kämpfte. Nicht von öffentlich gemachter Wahrheit geht jetzt die Gefahr aus, sondern von rechtsextremer Mythologie, Hate-speech, in den USA auch von Pornographie. Und dennoch halten die Bekämpfer all dessen die Menschen für dümmer, als Großherzog Ludwig II es tat. „Helfen sie mit, eine Negativliste für extremistische Seiten im deutschsprachigen Internet aufzubauen“, fordert die CDU vom Bürger auf ihrer gerade eingerichteten Kampagnenseite netzgegengewalt.de. Surfer sollen URLs mit rechtsextremen Inhalten melden, auf dass sie gesperrt, künftig gar von einem globalen Filtersystem geschluckt werden, bevor jemand sein Auge darauf richtet.

Der Großherzog bediente sich mit Erfolg derselben Methode: Brave Bauern lieferten Flugblätter bei der Polizei ab – ohne sie zu lesen. Ludwig II fürchtete die Wahrheit, warum fürchtet man heute die Lüge? Es handelt sich nicht nur um einen scheinheiligen Aufruf zur Denunziation durch eine Partei, die bis vor kurzem mit fremdenfeindlichen Ressentiments bei Wahlen zu reüssieren suchte. In den USA ziehen Republikaner und Bürgerinitiativen unterm ehrenvollen Banner des Kinderschutzes seit längerem gegen sexuellen Inhalte im Internet ins Feld. Ihre Forderungen laufen im Prinzip aufs selbe wie die der CDU hinaus: Statt die Kompetenz jugendlicher Nutzer zur Auseinandersetzung mit heiklen Themen zu fördern, sollen sie von derlei gänzlich ferngehalten werden.

Dem steht in den USA die Verfassung entgegen. Erst am Dienstag stellte der US-Bundesrichter James H. Michael fest, dass ein Gesetz des Bundesstaates Virginia, das die Verbreitung jugendgefährdender Inhalte im Internet unter Strafe stellt, gegen den ersten Verfassungszusatz zur Meinungsfreiheit verstößt. Nach New York, New Mexiko und Michigan ist dies der vierte Bundesstaat, in dem eine solche Initiative scheitert. Dem vorausgegangen war im Juni das Urteil eines Bundesberufungsgerichts in Philadelphia gegen die Durchsetzung des 1998 vom republikanischen Kongress verabschiedeten Child Online Protection Acts (COPA). In beiden Fällen – wie auch schon 1997 bei der Entscheidung über den COPA-Vorgänger Communications Decency Act (CDA) – werteten die Richter Meinungsfreiheit höher als vermeintlichen Jugendschutz. Sein Urteil begründet Bundesrichter Michael damit, dass es im Internet kaum möglich sei, Kinder vor für sie ungeeignetem Material zu schützen, ohne es auch Erwachsenen unzugänglich zu machen.

Michael erfasst die Vagheit des Begriffs „schädlich“. Denn als schädlich für Kinder und Jugendliche können durchaus auch Seiten zu Aufklärung, sicherem Sex, lesbischen und schwulen Themen, Literatur, Erfahrungsberichte einer Prostituierten wie bei salon.com gelten.

Organisationen mit wohlklingenden Namen wie dem „National Law Center for Children and Families“ wollen Jugendliche – und den Rest der Bevölkerung am besten auch – lieber im Ungewissen über diese Dinge lassen, statt dass diese einen eigenen Umgang mit Pornographie lernen. Solcherlei Ansinnen stehen in den USA bisher die Gerichte entgegen.

In der Bundesrepublik wird noch nicht über Gefahr und Anachronizität der CDU-Vorschläge gesprochen. Die Einführung von Filtersystemen in Deutschland könnte zum weltweiten Präzedenzfall werden. Dieser Versuch, heikler Information wie Großherzog Ludwig II zu begegnen, wird von der gleichen Logik getragen wie das Ansinnen, Autobahnen abzuschaffen, um Menschen vom Rasen abzubringen.

Die Möglichkeiten des Netzes, verlangen nicht ihre Wiederaufhebung, sondern Kompetenz im Umgang. Ludwig II hat die seinen Bauern zugetraut. Bei der CDU scheint man tatsächlich zu glauben, das Blockieren bestimmter Domains könnte Jugendliche zu Verfassungspatrioten machen. Aber ist die eine gesperrt, wird der Inhalt schnell unter einer anderen auftauchen. Nach der ersten Beschlagnahmung des Büchners Hessischen Landboten vergingen drei Monate bis zum zweiten Druck. Im Netz sind es vielleicht Minuten. Und der neuen Domain ist wahrscheinlich großes Interesse der Jungendlichen sicher, welche auf die gesperrte nicht zugreifen konnten.

Denunzieren und sperren schafft keine Umgangskompetenz. Die 65,4 Prozent der 14 bis 17jährigen, die laut einer aktuellen Emnid-Unfrage nichts mit dem Begriff „Holocaust“ anzufangen wissen, haben das gewiss nicht der momentanen Nicht-Zensur im Internet zu verdanken. „Rüstet euch im Geiste“, schrieb Büchner seinen Bauern ans Ende des Landboten.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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