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Russische Katzen-Komik: Ich habe Putin gesehen! (Spiegel Online, 21.2.2009)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Russische Katzen-Komik

Ich habe Putin gesehen!

Süße Katzenfotos, bitterböse Sprüche: Im russischen Web sind Fotowitze mit niedlichen Tieren ähnlich beliebt wie im US-Internet. Der Unterschied: Englischsprachige Katzen-Witze sind kindisch-albern, die russischen böse und richtig lustig – SPIEGEL ONLINE übersetzt die besten.

Spiegel Online, 21.2.2009

Ein weißes Kätzchen schaut erstarrt, mit weit aufgerissenen graublauen Augen und riesigen Pupillen in die Höhe. Der Mund ist etwas geöffnet, der Gesichtsausdruck eine Mischung aus Schockstarre und Faszination. Es gibt im Web zuhauf Seiten, auf denen Menschen solche süßen Fotos mit mehr oder minder lustigen Kommentaren versehen. Doch nirgendwo sind die Katzen-Gags so bissig wie in Russland – neben das andächtig starrende weiße Kätzchen hat jemand geschrieben: “Ich habe Putin gesehen!”


Dieser Fotowitz ist einer von Zehntausenden auf Kotomatrix.ru. Die Seite ist das russische Gegenstück zu Icanhascheezburger, einer US-Seite, die seit zwei Jahren mit kindlicher Katzen-Komik große Erfolge feiert. Icanhascheezburger verzeichnete 2008 nach eigenen Angaben täglich mehr als 1,5 Millionen Seitenaufrufe und fast 9000 von Nutzern eingeschickte Fotowitze. Die Belegung der teuersten Anzeigenplätze kostet 4300 US-Dollar pro Woche, die Gründer der Seite können davon inzwischen gut leben.

Kotomatrix.ru ist noch nicht so weit – die in Nowosibirsk gestaltete Seite ist seit einem knappen Jahr online, inzwischen haben sich 17.000 Dauerbesucher registriert. 150.000 Fotos sollen sie bisher eingestellt haben.

Böse Witze über Putin und blöde Eulen

Vergleicht man die russischen mit den englischsprachigen Katzen-Gags, wirkt der US-Humor ausgesprochen kindisch. Grammatik und Rechtschreibungen werden missachtet, fast alles wird verniedlicht. Lolcats heißt das Phänomen im Westen, und dort würde neben dem andächtig nach oben starrenden Kätzchen statt des Putin-Witzes ein Kommentar stehen wie “OMG Ceiling Cat is watching me!” – zu deutsch etwa: “Oh mein Gott, die Deckenkatze (also Gott) beobachtet mich!”.

Der Humor auf Kotomatrix.ru ist anders – manchmal böse, manchmal derb, bisweilen politisch unkorrekt. Da thront zum Beispiel eine dicke rote Katze mit einem Papierhütchen auf einem Sofa, und jemand hat daneben eine zweideutige Kontaktanzeige für eine “Katzen GmbH” geschrieben: “Ich komme für eine Stunde, ich gehe als erste in die Wohnung. Zunächst zerkratze ich die Einrichtung, dann markiere ich die Wohnung an der vereinbarten Stelle. Bitte kein Mäusefangen!”

Einige der witzigsten Kotomatrix-Kombinationen sind politisch sicher nicht korrekt: Da stehen zwei Eulen nebeneinander, eine schaut grimmig, die steht auf einem Bein und linst mit zur Seite gelegtem Kopf und leicht verrücktem Blick in die Kamera. Kommentar der grimmigen Eule: “Ich und mein geistesgestörter Bruder”. Und neben eine rasierten, schielenden Hund hat jemand geschrieben: “Solche kommen nicht auf die Kosmonautenschule.”

Diese Sprachen spricht das Web
Rang Sprache Anteil an allen Web-Nutzer Web-Nutzer absolut
1 Englisch 28,7 % 451 Millionen
2 Chinesisch (Mandarin) 20,4 % 321 Millionen
3 Spanisch 7,7 % 121,9 Millionen
4 Japanisch 6 % 94 Millionen
5 Französisch 4,6 % 72 Millionen
6 Portugiesisch 4,6 % 72 Millionen
7 Deutsch 4,1 % 59,8 Millionen
8 Arabisch 4 % 58 Millionen
9 Russisch 2,4 % 38 Millionen
10 Koreanisch 2,3 % 36 Millionen
Quelle: internetworldstats.com, 31.12.2008

 

Vergleicht man Kotomatrix mit dem US-Gegenstück Icanhascheezburger (siehe Fotostrecke unten), fällt auf, wie groß die Kulturunterschiede und die Sprachbarrieren im Netz heute tatsächlich noch sind, obwohl sich beim Surfen auf englischsprachigen Seiten aus aller Welt ein trügerisches Globalisierungsgefühl einstellt. Laut dem Traffic-Analysedienst Alexa.com kommen 72 Prozent der Kotomatrix-Seitenaufrufe aus Russland, bei Icanhascheezburger wohnen mehr als 66 Prozent der Leser in den Vereinigten Staaten.

Die englisch- und russischsprachigen Freunde des Katzen-Humors treffen auf dem vor drei Wochen gestarteten Blog Rolcats aufeinander. Hier macht sich jemand den Spaß, Fotowitze von Kotomatrix mit englischsprachigen Pseudo-Übersetzungen zu veröffentlichen.

Die meisten dieser angeblichen Übersetzungen sind weit weniger lustig als das russischsprachige Original. Im schlimmsten Fall sind es maue Stereotypen-Schenkelklopfer wie der über die Katze vor dem Taschenrechner. Die Rolcats-Macher haben unter das Bild der auf einem Handkalkulator herumtrampelnden Katze geschrieben: “Das ist das schnellste Laptop in Tbilisi, kann es wahr sein?” Im russischsprachigen Original sagt die Katze: “Und wie öffne ich mit diesem Ding Odnoklassniki?”

Streit um frei erfundene “Übersetzungen”

Odnoklassniki ist das russische Gegenstück zu Facebook, das Netzwerk hat knapp 30 Millionen Mitglieder. Noch so ein Kulturunterschied – selbst wenn der Gag korrekt übersetzt worden wäre, würde ihn außerhalb Russlands kaum jemand ohne Erklärung verstehen. Denn wer kennt hierzulande schon Odnoklassniki?

Die frei erfundenen Übersetzungen der russischen Katzenwitze auf Rolcats provozieren heftige Debatten in den Kommentaren. Das Foto einer Katze, die neugierig am offenen Fenster in die Welt hinaus schnüffelt, kommentieren die Rolcats-Autoren so: “Aaaaah, Roheisen – das ist der Moschusduft ruhmvoller Industrie.” Im russischen Original freut sich die Katze: “Ah, wahrscheinlich brät jemand Frikadellen.” Einige Kommentare aus dem Forum:

  • “Wir schäbigen Amerikaner lieben einen Lacher – solange der auf Kosten anderer geht. Mies!”
  • “Tatsächlich heißt es: ‘Mhmmm, es scheint, das jemand Würstchen kocht.’ Besorgt euch ordentliche Übersetzungssoftware oder fragt jemanden, der Russisch spricht!”
  • “Ich habe eine ordentliche Übersetzungssoftware benutzt, und die sagt: ‘Russen wird von Staatswegen der Sinn für Humor bei der Geburt entfernt.'”
  • “Wenn du schon auf Pedanterie bestehst, sei wenigstens ordentlich pedantisch. Kotleti sind Frikadellen, nicht Würste oder Hamburger oder Schnitzel.”

Einen ganz eigenen Humor entfaltet dieser selbstironische Kommentar: “Die korrekte Übersetzung ist: Sie haben gerade zehn Sekunden ihrer Lebenszeit dafür verschwendet, dieses Foto einer Katze mit russischer Bildunterschrift anzuschauen. Nun werden Sie noch mehr Lebenszeit dafür verschwenden, es zu kommentieren.”


Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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