Schmutzkampagne auf Youtube: Scientology stellt BBC-Reporter im Internet bloß, Spiegel Online, 16.5
Schmutzkampagne auf Youtube
Scientology stellt BBC-Reporter im Internet bloß
Wettkampf der Wut auf YouTube: Scientologen filmen einen ausrastenden BBC-Reporter, stellen Videos ins Internet, starten Blogs, ein Web-Magazin. Vor wenigen Jahren noch hat Scientology versucht, das Web zu zensieren. Heute nutzt die Organisation es höchst professionell.
Spiegel Online, 16.5.2007
John Sweeney ist außer sich: Sein Gesicht ist rot angelaufen, die Stimme überschlägt sich, sein Finger saust durch die Luft, auf und ab, während er brüllt: "Sie waren nicht dort! Sie haben nicht das ganze Interview gehört!" Diesen Schreihals haben in den vergangen fünf Tagen ein paar hunderttausend Menschen auf YouTube gesehen. Sweeney ist ein höchst angesehener BBC-Fernsehreporter.
Bei dem Interview mit einem Scientology-Vertreter verliert er die Kontrolle, als dieser ihn parteiisch nennt, ihm vorwirft, die Anschuldigungen von Scientology-Kritikern nicht zu hinterfragen. Am Montagabend lief Sweeneys Scientology-Dokumentation im britischen Fernsehen BBC. Wenige Tage davor tauchte ein Mitschnitt seines Ausrasters bei YouTube auf, dann binnen vier Tagen Protest-Blogs, eine Protest-Website, Interviews mit BBC-Kritikern.
Die neue Strategie: Angriff
Scientology nutzt das Internet geschickt, um die eigene Sicht der Dinge zu transportieren. Reporter Sweeney hat das am eigenen Leib erfahren: "Das Schlachtfeld ist YouTube, Scientologys Waffe ist der Clip, wo ich die Fassung verliere", schreibt er in seinem Blog und fährt fort: "Scientology hat schon viele Schlachten ausgetragen, um ihre Geheimnisse aus dem Netz zu tilgen. Jetzt nutzen sie es, um meine Recherche anzugreifen."
Diese neue Strategie beobachtet auch der norwegische Scientology-Kritiker Andreas Heldal-Lund. Er veröffentlicht seit Jahren interne Scientology-Dokumente im Internet. Vor vier Jahren ließ die Organisation Heldal-Lunds Seiten aus dem Google-Index entfernen. Vorwurf: Urheberrechtsverletzung.
Statt Zensur versucht Scientology heute eher, die eigene Botschaft lauter klingen zu lassen als die der Gegner. Heldal-Lund zu SPIEGEL ONLINE: "Sie suchen Schwachpunkte bei Gegnern. Haben sie etwas, greifen sie an." Die Kampagne gegen die BBC und ihren Reporter John Sweeney ist ein Paradebeispiel dieser Taktik.
Schritt 1: Material sammeln
Es beginnt während der Dreharbeiten für seinen Dokumentarfilm "Scientology and Me" in Los Angeles: Sechs Tage lang folgen seinem Kamerateam Fremde, Treffen mit Scientology-Vertretern lässt die Organisation von ihrem eigenen Team filmen. So auch Sweeneys Besuch der Scientology-Ausstellung "Psychiatrie – die Industrie des Todes". Er sieht dort, wie angebliche Psychiater Menschen Nadeln in die Augen stechen, er hört die Anschuldigungen, Psychiater hätten in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht gebracht. Und dann trifft Sweeney Scientology-Sprecher Tommy Davis, der – so Sweeneys Darstellung – ihm sechs Tage lang folgt, nachts mit einem Kameramann im Hotel auf ihn wartet, ihn zu Diskussionen anstachelt. Dann, in der Ausstellung, wirft Davis Sweeney vor, unkritisch mit Scientology-Gegnern umzugehen, in einem Interview auf kritische Rückfragen verzichtet zu haben.
Da rastet Sweeney aus, brüllt, Davis würde nicht das ganze Interview kennen, Davis würde nur die zweite Hälfte zitieren, Davis sei nicht dort gewesen. Kurz hält er inne, fragt scheinbar ruhig, ob Davis alles verstehe, brüllt dann weiter. Davis bleibt gelassen, wiederholt immer wieder seine Frage, warum Sweeney denn seiner Organisation Gehirnwäsche vorwerfe. Scientology-Experte Heldal-Lund kennt diese Taktik: "Scientologen werden für solche Gespräche trainiert." Zum Standard-Repertoire gehört laut Heldal-Lund: keine Gefühle zeigen, nicht auf die Fragen und Argumente anderer eingehen, allein mit Angriffen und Fragen reagieren, wieder und wieder den eigenen Standpunkt erzählen. "Dabei sollen Scientology-Vertreter immer Augenkontakt suchen, dem Gesprächspartner körperlich unangenehm nah kommen, um zu provozieren." Das kann man in den Aufnahmen auf YouTube erkennen.
Die Scientology-Aufnahmen der Szene unterschlagen allerdings die Vorgeschichte, den Vorwurf unsauberer journalistischer Arbeit. Hier wird suggeriert, Sweeney sei einfach so ausgerastet. Das nicht so suggestiv geschnittene Filmmaterial der Szene des BBC-Teams zeigt das Vorgeplänkel, zeigt auch, wie der Scientology-Vertreter seine Stimme erhebt. Nach diesem Zwischenfall entschuldigt sich Sweeney bei Davis, der wirkt gelassen – beide scheinen zumindest wieder miteinander zu sprechen.
Schritt 2: Die Vorbereitung
Aber Scientology weiß, welchen Wert die Aufnahmen des brüllenden BBC-Reporters Sweeney haben. Bisher lässt sich die Planung der Kampagne im Web zumindest bis eine Woche vor den geplanten Ausstrahlungstermin der Dokumentation Sweeneys in der BBC-Sendung Panorama zurückverfolgen: Am 8. Mai registriert die kleine britische Agentur Amazinginternet aus dem Londoner Vorort Twickenham eine Internetseite mit dem bezeichnenden Namen "bbcpanorama-exposed.org". Amazinginternet gestaltet sonst Webseiten, unter anderem für das Herrenhaus "Saint Hill", 1959 vom Scientology-Gründer L. Ron Hubbard als Familiensitz gekauft, heute noch in Scientology-Besitz, aber öffentlich zugänglich.
Irgendwann im Lauf der vorigen Woche wird die Seite dann mit Inhalt gefüllt: "Als Panorama-Redakteur Sandy Smith seinen Lieblings-Reporter mit einer Sendung über die Scientology-Kirche beauftragte, machte er einen großen Fehler." Als Beleg sieht man ein Video mit der Scientology-Version der Ereignisse. Man kann kostenlos DVDs mit dem brüllenden Sweeney bestellen. Verwiesen wird auf eine Sonderausgabe der Scientology-Zeitschrift "Freedom", die auf 24 Seiten vermeintliche Fehler der BBC dokumentiert, Journalisten und Vertreter der anglikanischen Kirche zu Wort kommen lässt.
Schritt 3: Für Aufmerksamkeit sorgen
Am 10. Mai stellt dann John Wood, ein 47-jähriges Scientology-Mitglied aus London, wie er selbst im Netz schreibt, die Scientology-Schnittfassung des Sweeney-Wutausbruchs bei YouTube ein. Schon bald kommen passende Kommentare: "Was für ein Spinner", schreibt eine Lisa Karlsson. "Wenn die BBC das mit unseren Gebühren macht, will ich mein Geld zurück!", schreibt ein Frances Stevens. "So ein Mann sollte nicht für die BBC arbeiten", urteilt ein Nutzer namens Vuluner.
Merkwürdig daran: Alle drei haben sich wie viele andere der ersten Kommentatoren auch ausgerechnet am 10. Mai bei YouTube angemeldet, um dann nach kurzer Zeit das Scientology-Video zu kommentieren und ihm so mehr Aufmerksamkeit auf YouTube zu sichern.
Zusätzliche Aufmerksamkeit in den Massenmedien bekommt das Video am 13. Mai, einen Tag vor Ausstrahlung der Dokumentation Sweeneys: Schauspieler John Travolta fordert in einem nicht offenen, aber von Presseagenturen in Auszügen übermittelten Brief von der BBC: "Dieser Mann sollte kein Forum für seine Vorurteile, seine Scheinheiligkeit und seinen Hass bekommen." Am Montag, dem Tag der Ausstrahlung, steht das morgens in den großen britischen Zeitungen. Rechtzeitig, damit alle Zuschauer das YouTube-Video vor der am Abend laufenden BBC-Dokumentation sehen.
Die Folgen
So wurde John Sweeneys Wutausbruch binnen vier Tagen zu einem der meistkommentierten Videos auf YouTube – worüber nach Travoltas Brief alle britischen Medien berichteten. Die Wirkung der Bilder dokumentieren die Zuschauer-Kommentare auf YouTube: Viele Nutzer übernehmen für Scientology positive Lesarten. Auszüge: "Der Typ hat viele Vorurteile, vielleicht ist er ein Rassist", "Dieser Mann ist verrückt."
Die Vorgeschichte gerät dabei in Vergessenheit: Sweeney beschreibt auf den BBC-Seiten, wie seine Nachbarn und Verwandten anonyme Anrufe erhalten, wie sein Kamerateam schon am ersten Tag in Los Angeles auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel von zwei Autos verfolgt wird, wie jeden Morgen im Frühstückraum des Hotels derselbe Mann am Nebentisch sitzt und ihre Gespräche belauscht, wie insgesamt 13 Männer immer wieder an den Orten auftauchen, an denen Sweeneys Team dreht. Sweeney hat das Gefühl, das Scientology dahinter steckt – beweisen kann er das aber nicht.
Scientology-Kritiker Heldal-Lund berichtet SPIEGEL ONLINE Ähnliches: Bei seinem Vermieter habe ein Mann angerufen, der sich als Polizist ausgab und nach ihm fragte. Bei seinem Arbeitgeber seien immer wieder anonyme Beschuldigungen eingegangen, Unbekannte hätten seine Ex-Freundinnen angerufen und nach ihm gefragt. Heldal-Lund sagt: "Ich kann Sweeneys Ausbruch verstehen. Absolut nachvollziehbar angesichts des Psychoterrors."
Die meisten YouTube-Zuschauer teilen diese Meinung nicht. Sie sehen ein brüllenden, unsympathischen Mann und schreiben Kommentare wie "Sieg Heil, Herr Sweeney".
Nachtrag: Offensichtlich hat Scientologe John Wood, der die Scientology-Version des Sweeney-Ausraster bei Youtube einstellte, die Kommentarfunktion so eingestellt, dass er Kommentare vor Veröffentlichung zulassen muss. Das erklärt womöglich das für Sweeney so negative Zuschauer-Echo beim Scientology-Beitrag.