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Schnüffel-Offensive: China errichtet Überwachungsparadies (Spiegel Online, 13.8.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen

Schnüffel-Offensive

China errichtet Überwachungsparadies

Es soll ein Kontrollsystem werden, das Orwellsche Phantasien übertrifft. Shenzhen in China will seine Einwohner komplett überwachen: mit 20.000 neuen Kameras, einer ausgeklügelten Analysesoftware und Pässen, die Lebensdaten speichern. Sogar U-Bahn-Bewegungsprofile wären möglich.

Spiegel Online, 13.8.2007

180.000 Videokameras von Unternehmen und Behörden überwachen heute schon die Zwölf-Millionen-Einwohner-Stadt Shenzhen nördlich von Hongkong. Jetzt will das Ministerium für Öffentliche Sicherheit zusätzlich 20.000 Polizei-Kameras installieren lassen und alle Geräte vernetzen. Sicherheitsbehörden sollen über eine neue Software Zugriff auf alle Kameras haben.

Der Ausbau der Videoüberwachung ist Teil eines Pilotprojekts zur Modernisierung der Sicherheitsinfrastruktur der Stadt. In den kommenden drei Jahren sollen die Bürger der Sonderwirtschaftszone Shenzhen neue Digital-Ausweise mit einem Chip erhalten, der persönliche Informationen speichert. Das berichten die "New York Times" und die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf das US-Unternehmen "China Public Security Technology".
Das US-Unternehmen soll über seine chinesische Tochter "Public Security Technology" und dem eng mit der Firma verbundenen IT-Anbieter iASPEC das Projekt umsetzen. iASPEC ist vom chinesischen Ministerium für Informationstechnologie als IT-Dienstleister zertifiziert. Die neuen Ausweise sollen alle nach Shenzhen eingewanderten Bürger erhalten – 10,55 Millionen Menschen. Wer keinen Ausweis hat, lebt und arbeitet ohne Aufenthaltsgenehmigung in Shenzhen, kann keine staatlichen Leistungen in Anspruch nehmen.

Pässe speichern sogar Vermieter-Telefonnummer

Die ersten neuen Ausweise sollen noch in diesem Monat an Bewohner eines Viertels in Hafennähe ausgegeben werden. Auf jeden Fall sollen die neuen Ausweischips diese Informationen speichern:

  • Name
  • Adresse
  • Bisherige Arbeitgeber
  • Bildungshintergrund
  • Vorstrafenregister und andere Einträge in Polizei-Datenbanken
  • Krankenversicherung
  • Telefonnummer des Vermieters
  • Anzahl der Kinder

Wenn die Technik all die angekündigten Funktionen erfüllt, entsteht in Shenzhen ein Überwachungssystem, das Orwellsche Phantasien übertrifft – denn bei Orwell gab es weder Funkchips noch Gesichtserkennung. In Shenzhen hingegen soll die neue Auswertungs- und Steuersoftware auf den Bilder der Überwachungskameras "automatisch die Gesichter von polizeilich gesuchten Verdächtigen" erkennen und "ungewöhnliche Aktivitäten" ausmachen können.

Diese Aussagen von "China Public Security Technology" überraschen – schließlich hat in Deutschland erst vor wenigen Wochen das Bundeskriminalamt ein skeptisches Fazit aus einem Feldversuch mit automatischer Gesichtserkennung am Mainzer Hauptbahnhof gezogen: "Ich werde dem Bundesinnenminister nicht die Einführung der fotogestützten Biometriefahndung zur Terrorismusbekämpfung empfehlen", sagte damals der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Jörg Ziercke.

Gesichtserkennung floppte im deutschen Test

Das BKA hatte in Mainz über drei Monate hinweg etwa 23.000 Reisende gefilmt. Dabei sollte die getestete Software 200 Freiwillige in der Menge ausmachen. Deren Fotos waren in einer Test-Fahndungsdatei gespeichert. Drei Systeme wurden in Mainz getestet. Selbst unter besten Lichtverhältnissen schaffte keines eine Treffergenauigkeit von mehr als 60 Prozent.

Sollte Shenzhen also tatsächlich eine automatische Gesichtserkennung umsetzen, müsste das geplante Überwachungssystem nicht nur über enorme Rechenkapazitäten verfügen. Die Treffsicherheit der Analyse-Software müsste auch die bisher bekannter Systeme bei weitem übertreffen. Denn anders als in Mainz, wo die gefilmten Personen auf einer Rolltreppe standen, werden die in Shenzhen gefilmten Passanten sich bewegen, aus unterschiedlichen Winkeln und bei sehr wechselhafter Beleuchtung aufgenommen werden.

285 Millionen Euro für die Super-Pässe

Für die Kameras und Digital-Ausweise will Shenzhen umgerechnet 285 Millionen Euro ausgeben. Zum Vergleich: Als in Deutschland der Biometrie-Pass mit Chip geplant wurde, erwartete eine Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung einmalig 614 Millionen Euro Kosten für die Einführung – und dann 332 Millionen in jedem Einsatzjahr des Systems.

Es gibt in Deutschland derzeit etwa 24 Millionen Reisepässe, in Shenzhen sollen mindestens 10,55 Millionen neue Ausweise ausgegeben werden. Geplant sei eine Ausgabe an die "meisten Bürger", zitiert die "New York Times" den Hersteller "China Public Security Technology". Der kann offenbar weit günstiger liefern als es die Autoren der deutschen Studie von Anbietern hierzulande erwartet haben.

Technische Details der für die neuen Ausweise in Shenzhen vorgesehenen Chips hat der Hersteller bislang nicht veröffentlicht. Es scheint sich aber um Funkchips (RFID) zu handeln. Denn laut "China Public Security Technology" ist vorgesehen, die Ausweise auch für die Bezahlung zum Beispiel von U-Bahn-Tickets zu benutzen. Dafür wären Funkchips ideal – ein Bezahlsystem auf dieser technischen Basis ist in der Londoner U-Bahn zum Beispiel erfolgreich im Einsatz. Für die Überwacher in China würde es damit auch möglich, die täglichen Bewegungen der Ausweis-Inhaber zu verfolgen – sofern diese sich mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortbewegen.

Geschäftsführer und Hauptgesellschafter von "China Public Security Technology" ist der 38-jährige Lin Jiang Huai. Laut "New York Times" hat er ein Vermögen als Zulieferer von Komponenten für DVD-Spieler gemacht. Über sein Unternehmen "China Public Security Technology" ist wenig bekannt.

Die Anteilsscheine werden in den Vereinigten Staaten im sogenannten "Over-the-counter"-Handel verkauft. Bei diesem außerbörslichen Marktsystem stehen Händler im direkten Kontakt – die im "Over-the-counter Bulletin Board" angegebenen Preise wurden nicht an einer Börse ermittelt.

Von der Druckerei zum IT-Konzern

Die entsprechenden Unternehmen unterstehen nicht der Aufsicht der US-Börsenaufsicht SEC und sind auch nicht an die an der Börse obligatorischen strengen Bilanzierungsregeln gebunden. Sein Unternehmen plane aber im nächsten Jahr einen Wechsel an die NASDAQ-Börse, so Lin Jiang Huai. Das ursprünglich in Florida ansässige Unternehmen war erst im vorigen Dezember in "China Public Security Technology" umbenannt worden.

Zuvor hieß das 1979 gegründete Unternehmen "Irish Mag" – und war eine Druckerei. Außer Lin sind zwei texanische Investmentfonds (Pinnacle Fund und Pinnacle China Fund) an dem Unternehmen beteiligt. Im Mai hatte das Unternehmen mit einem Umsatz von 27 Millionen Dollar in diesem Jahr gerechnet – da ist der Großauftrag in Shenzhen ein Glücksgriff.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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