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Schweine im Netz (taz, 16.02.2000)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
2 minuten gelesen

Schweine im Netz

taz, 16.02.2000

 

Der Schinken war gegessen. Und der Kühlschrank leer. Wie mein Magen. Mein Hunger begann nach Essbarem im Internet zu suchen: Butterbrot.de (Brettchen-Museum aus Bottrop und "A tribute to Keith Haring"), Kuchen.de (die Gemeinde Kuchen in Schwaben), Leberwurst.de und Kochschinken.de ("Diese Seite soll nur als Beispiel dienen."), Schmelzkaese.de ("kreatives Service-Hosting" von Cyber-Art) – und dann: Schweine.de.

Da stand: Cotswold versteht die moderne Schweinezucht als einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Und tatsächlich könnten Schweine weniger grunzen. Und nach Duftbäumen riechen. Nach den gelben. Das Fleisch sollte automatisch nachwachsen. So dass ich ein Schwein kaufe, es in die Küche stelle und morgens ein oder zwei Scheibchen Schinken abschneide. Dann abends noch ein paar. Und bis zum nächsten Morgen sind sie wieder nachgewachsen. Dann hätte ich nie wieder Hunger. Wenig essen müsste so ein Schwein, und wenig scheißen. Vor allem nicht in meine Küche.

Und da stehts dann auch schon: Mit Titan gelingt es! Der Titan ist ein stressstabiler Pietrain, hat ein überragendes Magerfleischwachstum, steht im rahmigen, schinkenbetonten Fleischtyp, hat einen sehr trockenen Bauch, zeigt sehr ausgeprägte Schinken und große Kotelettquerschnitte, hat ein äußerst stabiles Fundament, zeigt sehr gleichmäßige, hohe Fleischbeschaffenheitsmerkmale, überzeugt durch hohes Wasserbindevermögen, hält sehr gute pH-Werte und Farbhelligkeitswerte, vererbt eine sehr geringe Streuung von Fleischmenge und Fleischqualität. Rahmiges Fleisch kann man immerhin aufs Brot schmieren. Ein trockner Bauch mit stabilem Fundament ist auch sehr gut, denn fällt das Schwein nicht um und macht nix nass. Sogar Aufwischen kann es mit dem Bindevermögen. Aber nachwachsen?

Apropos: Als optimale Ergänzung zur Platinum-Jungsau unterstützt der Titan als stressstabiler Pietrain auf der Vaterseite die Umsetzung des hohen genetischen Leistungspotentials in Ferkelerzeugung und Mast. Eberpreis nach aktuellem Eberkatalog. Aber nein: keine Kinder! Und keine nichtnachwachsenden, geilen Eber, die meinem Damenbesuch am Bein herumspringen. Vielleicht also doch eine kleine süße Platinum-Jungsau: Die Platinum-Jungsau ist eine sehr robuste und widerstandsfähige weiße Muttersau, zeichnet sich durch einen sehr stabilen Knochenbau und bestes Fundament aus, ist ruhig und einfach zu handhaben, ist sehr anspruchslos in Bezug auf Haltung und Management. (…) Verschiedene Leistungsvergleiche, unabhängige Untersuchungen sowie auf Praxisbetrieben gesammelte Erfahrungen zeigen, dass das hohe Leistungspotential der Platinum in den unterschiedlichsten Praxisbedingungen in hervorragender, überzeugender Art umgesetzt wird.

Wobei das mit dem hohen Leistungspotential in den unterschiedlichsten Praxisbedingungen bei Anspruchslosigkeit geklaut klingt – von Thai-Frauen.de oder Geländewagen.com. Aber die Sache mit dem besten Fundament hört sich gut an. Dann wackelts nicht so, wenn mein Schinken nachwächst wie Bananen. Ich aß eine, schaute mir die Sauenwochenpreise an und dachte über die Anbieter von Thai-Frauen.de nach.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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