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Science Fiction: Star-Trek-Hassfigur bloggt sich zum Vorzeige-Nerd (Spiegel Online, 7.5.2008)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

Science Fiction

Star-Trek-Hassfigur bloggt sich zum Vorzeige-Nerd

Die Zuschauer hassten Wil Wheaton, als er in der zweiten "Star Trek"-Serie einen Streber-Kadetten spielte. Heute bloggt er über Linux, schreibt Rollenspiel-Kolumnen und Bücher über seine Jugend als Nerd – und hat plötzlich Fans.

Spiegel Online, 7.5.2008

Schauspieler Wil Wheaton war gerade mal volljährig, als Fernsehzuschauer ihm eigene Internet-Foren widmeten, um Hasstiraden zu veröffentlichen. 15 Jahre ist das her, im Netz wurde damals über kaum einen anderen Schauspieler so gefühlsstark geschrieben wie über Wheaton.

Böse Sätze meist. Denn viele Fans der "Star Trek"-Serie hassten Wheatons Figur, den jungen, gelackten, streb- und folgsamen Musterschüler Wesley Crusher. In Foren wie wesley.crusher.stirb.stirb.stirb diskutierten Zuschauer mögliche Tötungsarten für die Serienfigur. Ein Kommentar von damals: "Crusher muss sterben, aber lasst ihn dabei nicht wieder das Schiff retten!"
Heute stehen im Web schmeichelhaftere Kommentare über Wheaton. Das einflussreiche US-Nerdblog Lifehacker feiert nach einem Treffen seinen "jungenhaften Charme" und seine Geschichten über die "gemeinsame Erfahrung" aller Nerds. Wheaton bloggt über Computerspiele, Science Fiction, das Rollenspiel "Dungeons & Dragons" und seinen Garten, schreibt Bücher und kommentiert, was Nerds (zum Begriff siehe Kasten unten) gerade bewegt.

Derzeit zum Beispiel die Verbotsdebatte um das Spiel "Grand Theft Auto IV", die begann, bevor die Kritiker das Spiel überhaupt gesehen hatten. Wheatons Kommentar: "Als meine Kinder zu klein waren, um zu verstehen, worum es in solchen Spielen geht, habe ich sie die nicht spielen lassen." Und zwar, weil er ein guter Vater sei, "der am Leben seiner Kinder teilhat und nicht, weil idiotische Politiker ein paar leicht verdiente Bonuspunkte beim totalitären Fünftel der Wähler einsammelt, die Zensur für eine gute Idee halten".

Wheaton schreibt für die Generation Drachentöter

Wheaton hat sich seine Web-Fangemeinde hart erarbeitet. Er begann im Juni 2001, erzählt er auf seiner Internetseite. Ein Bekannter mailte ihm den Link zum Wil-Wheaton-Club bei Yahoo. Komisch, aber nach sieben Jahren war der Hass weg und nur noch Nostalgie geblieben. Als Wheaton sah, dass "seine" Gruppe bei Yahoo 700 offenbar positiv gesinnte Mitglieder hatte, wollte er eine Website haben: "Ich baute mit dem Yahoo-Pagebuilder die ödeste Seite der Welt, nur um zu sehen, dass ich es kann."

Den ersten Versuch kann man noch immer bei Geocities sehen – damals die kostenlose Heimat für private Seiten schlechthin. Wheatons beschreibt in seinen ersten Blog-Einträgen sehr amüsant sein Kindheitstrauma als Mac-Nutzer: "Ich ging in den Software-Laden, vorbei an den vielen Regalen mit PC-Software, vorbei an Doom und Sim-Wasweißich zu dem Mac-Regal ganz hinten, wo ich begeistert MacDraw und MacPaint anschaute."

"Ich habe erwartet, dass die Leute mich fertigmachen"

Nette Nerd-Geschichten, amüsant und ein wenig nostalgisch aufgeschrieben. Die Mischung kam im Web an – nach ein paar Wochen notierte Wheaton: "Ich habe Massen an E-Mails bekommen. Überraschenderweise waren alle nett, ich habe wirklich erwartet, dass die Leute mich fertigmachen."

Sie taten es nicht. Wheaton bloggte über seine Niederlagen bei Castings für Fernsehserien, seine Familie – er ist seit 1999 verheiratet, lebt mit seiner Frau und ihren Söhnen in Kalifornien. Und vor allem schreibt Wheaton über seine Erinnerungen an all die Dinge, die Nerds in seinem Alter auch noch im Kopf haben. Rollenspiele zum Beispiel.

Nerd-Nostalgie: D&D, der erste PDA, Geocaching

Wheaton beschreibt, wie ihm seine Tante 1983 zu Weihnachten eine der frühen Ausgaben von "Dungeons & Dragons" schenkte, wie er ein paar Monate später seinen ersten Mitspieler fand. "D&D" war das erste Regelwerk für Rollenspielrunden, wurde zur Blaupause für viele Computerspiele – und zur Bibel für Nerds. Heute, so Wheaton, füllen "all die Bücher, Kästen und Würfel" ein ganzes Zimmer in seinem Haus.

Wheaton erzählt in seinem Blog oft solche Geschichten. Er schreibt über alte Computerspiele oder seinen ersten PDA (einen Palm). Zwischendurch beschreibt Wheaton persönlich seinen Umstieg auf Linux, seine Versuche als Marathonläufer und Pokerspieler, erzählt von sterbenden Haustieren und Geocaching-Touren mit einem GPS-Empfänger durch Hügelketten bei Los Angeles.

Wil Wheaton hat diese Geschichten in drei Büchern ausgebaut. Das erste, "Dancing Barefoot" veröffentlichte er 2003 im Selbstverlag, ein paar Monate später nahm es der Computerverlag O’Reilly ins Programm, brachte ein Jahr später einen zweiten Band heraus. Sein neustes Buch hat Wheaton wieder im Selbstverlag veröffentlicht – "Happiest Days of Our Lives", der glücklichste Tag unseres Lebens.

Wheaton verlegt im Selbstverlag

In seinem Fotoalbum bei Flickr zeigt Wheaton, wie im vorigen September die erste Auflage des Bandes von der Druckerei in seinem Heimbüro eintrifft – er verkauft die Bücher übers Web und verschickt sie selbst, versteigert manchmal signierte Exemplare bei Ebay. Mit diesem Bild könnte man eine traurige Geschichten des früh verbrannten Schauspielers Wil Wheaton erzählen, der als Teenager die meist gehasste Figur eine Kultserie spielte und seitdem keine große Rolle mehr bekommen hat.

Wheaton leiht manchmal bei Gastauftritten Zeichentrickfiguren seine Stimme, in "Family Guy" zum Beispiel, in einer Serie des Kindersenders Nickelodeon spricht er sogar den Helden – einen Geek. Und als er im Oktober einen Gastauftritt in der US-Krimiserie "Numb3rs" spielte, freute er sich, dass am Set sein Name auf dem Schild des Wohnwagens richtig geschrieben war: Wil statt Will. Wheatons Kommentar bei Flickr: "Es wird euch überraschen, wie glücklich es mich macht, wenn ich zur Arbeit komme und mein Namen richtig geschrieben ist."

Wer hat eine Lego-Figur seines "Star Trek"-Charakters?

Als Schauspieler schlägt sich Wheaton gerade mal so durch, von Karriere kann man nicht sprechen. Zwei Drehtage hatte er beim zehnten "Star Trek"-Film, seine Szenen wurden später gestrichen, nicht mal auf der DVD sind sie zu sehen. Wheaton dazu auf seiner Website: "Das hat mich sehr überrascht." Keine bösen Worte, kein Zorn – Wheaton nimmt es hin.

Er sieht sich heute eher als Blogger, Autor, Vorzeige-Nerd vielleicht. Da ist er viel erfolgreicher. Wenn Wheaton in seinem Blog wütet, dann über Dinge wie seinen lahmenden Mac. Da schreibt er schon mal in einem Kommentar: "Ohne Zusammenhang mit diesem Beitrag: Time Machine macht gerade ein Back-up, und das lässt meine Maus springen. Das ist SO VERDAMMT ÄRGERLICH.”

Im Netz, wo Wheaton als Teenager Hasstiraden über seine Figur las, findet er heute ein Forum, dass ihn davor bewahrt, zu einem verbitterten, gescheiterten "Star Trek"-Darsteller zu werden. Und wenn er doch einmal solchen Gedanken nachhängt, dann schreibt er sie auf und lässt jeden teilhaben, der lesen will. Vor ein paar Wochen zum Beispiel, als ihm jemand auf einer Comic-Messe ein Wesley Crusher nachgebildetes Lego-Männchen schenkte. Wheaton kommentiert: "Ich bin versucht, meine Freunde anzurufen und zu fragen, ob sie eine Lego-Figur ihres ‘Star Trek’-Charakters haben. Dann merke ich, wie armselig das klingt und betrinke mich. Und weine in mein Bier."

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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