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Selbstversuch: Ein Tag ohne Google (Spiegel Online, 18.6.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
5 minuten gelesen

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Ein Tag ohne Google

Suchmaschine, Office-Software, Mail und Kalender – Google erobert immer neue Märkte. Jetzt greifen Datenschützer den Konzern an, erste Kritiker rufen zum Boykott. Aber geht das überhaupt: Arbeiten ohne Google?

Spiegel Online, 18.6.2007

Schlechte Nachrichten für Google: Der Konzern macht ahnungslose Passanten zu Opfern von Spannern, EU-Datenschützer kritisieren die exzessive Speicherung von Suchanfragen, dann nennt auch noch die Menschenrechtsorganisation Privacy International Google datenschutzfeindlich. Schon rufen erste Blogger zum Boykott auf. Charles Knight vom US-Fach-Blog Altsearchengines zum Beispiel. Er hat den Tag der Google-losen Suche ausgerufen.

Doch Google ist längt nicht mehr nur eine Suchmaschine, sondern das Standard-Werkzeug vieler Web-Nutzer: Nachrichten-Leser, E-Mail-Programm, Kalender und Office-Ersatz. Unersetzlich?
Höchste Zeit für einen Tag ohne Google.

Der erste Schritt: Die beruhigende, schlichte, allgegenwärtige, immer verfügbare Google-Startseite muss weg. Eine naheliegende Alternative in Europa: Exalead, jene französische Suchmaschine, die mit Staatshilfe zum Google-Killer wachsen soll. Und als Ergänzung die Konkurrenzangebote von Microsoft und Yahoo. Die wurden jüngst aufwendig ausgebaut und mit eigener Suchtechnologie versehen.

In Europa wächst starke Suchkonkurrenz

Exalead vereint hinter der schlichten Oberfläche viele clevere Ideen. Neben jedem Treffer sieht man links eine kleine Voransicht der Seite. Diese Screenshots helfen beim Einschätzen der Suchergebnisse: Man sieht, wie viel Text dort steht, und bekommt einen ersten Eindruck. Diese Screenshots kann man bei Exalead auch nutzen, um sich Treffer zu merken. Mit einem Mausklick kann man Treffer zur späteren Begutachtung auf der persönlichen Exalead-Startseite zwischenspeichern.

Überhaupt bietet Exalead viele Möglichkeiten, die Suchergebnisse schnell zu begutachten: Man kann Kopien der Treffer in einem Vorschau-Rahmen betrachten, dort innerhalb der Dokumente zu den Fundstellen der Suchbegriffe springen. Falls der Treffer unergiebig ist, springt man mit einem Klick im selben Fenster zur Voransicht der nächsten Seite. Das spart unnötig viele geöffnete Fenster, stellt sehr schnell den Kontext der Suchergebnisse dar.

Solche Besonderheiten fehlen Microsofts Suchmaschine. Yahoo hat ein interessantes Detail: Einen Yahoo-Account vorausgesetzt, kann man komplette Webseiten aus den Suchergebnissen in einem persönlichen Online-Archiv speichern. Bei Vertippern schlagen alle drei Suchmaschinen sinnvolle Alternativen vor. Die Unterschiede zeigen sich bei sehr speziellen Suchanfragen: Bei der Suche nach den bibliografischen Angaben eines medizinischen Fachaufsatzes zum "Space Invaders Wrist" zum Beispiel zeigen weder Exalead noch Yahoo oder Microsoft den Verweis auf den Originalbeitrag auf den ersten Ergebnisseiten. Bei Google war das der erste Treffer.

Fazit: Exalead ist wegen der vielen hilfreichen Details die Such-Alternative zu Google. Ersetzen kann der französische Konkurrent Google aber nicht ganz. Vor allem nicht, wenn man spezielle Quellen wie aktuelle Nachrichten, Blogs, Usenet-Diskussionsforen durchsuchen will. Nachrichten gibt es bei Yahoo und Microsoft auch – aber Google gewichtet hier viel besser. Gleich oder ähnlich lautende Texte werden zusammengefasst, bei der Konkurrenz stehen sie scheinbar gleichwertig nebeneinander.

Viele gute Nachrichten-Leser

Mit sogenannten RSS-Feeds kann man viele Web-Quellen mit oft aktualisierten Inhalten im Auge behalten: Blogs, Nachrichtenseiten, Magazine. Ein Leseprogramm bereitet diese Informationen übersichtlich auf, sammelt sie in thematischen Kategorien. So überfliegt man mühelos ein paar hundert Nachrichten im Lauf des Tages. Zumindest mit einem übersichtlichen Nachrichten-Leser wie dem Google Reader. Wer ihn sich richtig eingerichtet hat, kann mit ihm zum Beispiel binnen 30 Tagen insgesamt 23.704 Nachrichten aus 181 Quellen sichten – gar kein Problem, und die Statistik führt darüber sogar Buch.

Bei solchen Mengen an Meldungen wird mancher Konkurrent unbrauchbar. Netvibes aus Frankreich zum Beispiel verwandelt sich in ein unübersichtliches Chaos, sobald 181 Abonnements geladen sind. Man kann die Beiträge kaum überblicken, weil sie neben- und übereinander in vielen kleinen rechteckigen Flächen über die gesamte Fensterfläche verteilt sind. Der Navigation fehlt die Logik: Mal kann man in einer Leiste links navigieren, mal in der Kopfleiste. Viel übersichtlicher sind die Konkurrenten Rojo.com und Bloglines. Kein Problem, hier den Überblick zu behalten.

Fazit: Vorteile hat der Google Reader nur bei Details. Zum Beispiel: Nirgends kann man wichtige Nachrichten so schnell markieren und wiederfinden wie hier. Der Google Reader bleibt Favorit – allerdings sehr dicht gefolgt von Rojo.com.

Google Mail ist unübertroffen

Wenn es um nur einen Tag Nutzung geht, ist jedes Urteil über Webmail-Angebote geschmäcklerisch. Nach ersten Kennenlern-Versuchen scheiden Hotmail und Yahoo aus – die Oberfläche wirkt überladen, langsam, die Werbebanner stören. GMX ist nicht ganz so schlimm. Abgesehen davon fällt einem alteingesessenen Google-Mail-Nutzer bei all diesen Angeboten das merkwürdige Festhalten an der jahrzehntealten Logik der Aktenordner auf: Wer seine Mails ablegen will, muss einen Ordner suchen oder einrichten, die Nachricht dorthin verschieben. Umständlich. Die Google-Lösung ist viel angenehmer: Man kann Mails verschlagworten, wegsortieren und über alle Mails auf einmal schnell eine Volltextsuche laufen lassen, um verschollene wiederzufinden.

Fazit: Bei Google Mail bleiben. Unübertroffen ist dort die Funktion "Archivieren": Mit einem Klick ist die Nachricht ins Archiv einsortiert, ohne dass man unbedingt einen passenden Ordner dafür suchen muss. Und man findet sie wieder.

Der Google-Kalender langweilt

Der beste Ersatz für Googles Kalender sieht sogar besser aus. 30boxes ist so schnell, klar und übersichtlich, wie man es von Google kennt, aber viel schöner. Und 30boxes versammelt einige Funktionen, die Google nicht bietet. Wer Fotos bei Flickr einstellt, kann in seinem 30boxes-Kalender zum Beispiel automatisch zurückblicken, an welchem Tag er welches Bild aufgenommen hat. Der Kalender wird so zu einer digitalen Lebenschronik – zumindest für alle, die bei Angeboten wie Flickr, Twitter, Blogger und Livejournal veröffentlichen. Das ist eine Spielerei. Aber eine einzigartige und faszinierende.

Doch auch hier bietet Google einen kleinen Zusatznutzen, den andere nicht haben: In Deutschland kann man sich von seinem Google-Kalender kostenlos per SMS über anstehende Termine benachrichtigen lassen. Außerdem ist das Google-Angebot offenbar so beliebt, dass Programmierer schon Hilfsprogramme geschrieben haben, die den Google-Kalender mit der Terminverwaltung unterschiedlicher Mobiltelefone abgleichen.

Fazit: Google Calender ist nützlich. Aber 30boxes ist viel, viel charmanter.

Die Office-Konkurrenz versteht selten Deutsch

Neben Google bieten zahlreiche Anbieter kostenlose, für den Alltagsgebrauch völlig ausreichende Office-Programme online an. Ich probiere Zoho und ThinkFree aus. Alle importieren und exportieren Dateien in den gängigen Formaten, lassen mehrere Autoren an einem Dokument zusammenarbeiten, speichern die einzelnen Versionen eines Dokuments nach Änderungen zwischen.

Die Unterschiede: ThinkFree will eine möglichst nah an das Microsoft-Vorbild angelehnte Oberfläche im Web nachbauen. Das funktioniert ganz gut – sobald ein Dokument einmal geladen ist. Das dauert aber viel zu lange. Zoho ist viel schneller. Und die Gestaltung hat einen großen Vorteil gegenüber der Google-Online-Textverarbeitung: Es wird nicht für jedes Dokument ein neues Fenster geöffnet. Das Programm öffnet alle Dokumente schön kompakt in einem Browserfenster.

Trotzdem ist Zoho für deutsche Nutzer erst mal wenig brauchbar. Eine deutsche Rechtschreibprüfung fehlt – anders als bei Google und ThinkFree.

Fazit: Wie das Leben ohne Google ist

Alles in allem: Nach einem Tag Google-Abstinenz vermisst man die Suchmaschine nicht so schmerzlich wie gedacht.

Exalead ist als erster Anlaufpunkt sogar angenehmer zu bedienen. Bei speziellen Suchanfragen bleibt Google aber unersetzbar. Und bei mancher Online-Anwendung kommt man kaum an dem Riesen vorbei.

Das Konzept von Google Mail ist einzigartig – die Textverarbeitung und der Kalender bieten Details, die die Konkurrenz nicht hat. Zum Glück war das auf lange Sicht der letzte Tag ohne Google.

 

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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