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Shadowrun-Erfinder Weismann über den Vorzug der Tischspiele

Konrad Lischka
Konrad Lischka
4 minuten gelesen
Shadowrun-Erfinder Weismann über den Vorzug der Tischspiele

Jordan Weisman hat legendäre Spiele entwickelt – analoge und digitale. Der Macher von “Shadowrun”, “Mechwarrior” und “Battletech” erklärt, was am Spieltisch noch immer besser funktioniert als im Netz, und warum Brettspiele trotzdem digitaler werden müssen.

 Spiegel Online, 24.11.2013

Jordan Weisman, 53, ist Spieledesigner. 1980 gründete er in Chicago die FASA Corporation, einen Verlag für analoge Tischrollenspiele. Berühmt ist er für das Kriegsspiel “Battletech” und das Science-Fiction-Rollenspiel “Shadowrun”, das gerade in der fünften Auflage erschienen ist. Weisman entwickelte die “MechWarrior”-PC-Spiele, verkaufte sein Studio an Microsoft, arbeitete an der ersten Xbox-Konsole mit. Derzeit entwickelt er “Golem Arcana“, ein Tischspiel mit Tablet-Einbindung. Für das Vorhaben hat er von Fans gut 500.000 Dollar eingesammelt.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben sehr erfolgreiche Spiele in vielen Genres geschaffen – analoge Tischrollenspiele, PC und iPad-Titel. Was haben diese Spiele aus Designsicht gemeinsam?

Weisman: Für mich sind bei all diesen Spielen drei Dinge entscheidend: die Spielmechanik, eine Geschichte, soziale Interaktion. Das Spannende an jedem Spiel ist es, wie diese Elemente zusammenwirken, um etwas Besonderes zu schaffen.

SPIEGEL ONLINE: Fast jedes Spiel für die neuen Konsolen hat einen Mehrspieler-Modus. Aber wenn ich an starke soziale Momente in Spielen zurückdenke, fallen mir nur analoge Tischrollenspiele ein. Kein Online-Rollenspiel ist so intensiv wie gute Spielrunden. Wird sich das mit neuer Technologie ändern?

Weisman: Das stimmt, das Spiel ist viel intensiver, wenn man den Menschen gegenübersitzt. Deshalb komme ich immer wieder zu Tischspielen zurück, zuletzt mit “Golem Arcana”. Eine Milliarde Jahre Evolution haben uns trainiert, andere beim Umgang von Angesicht zu Angesicht auf ganz vielen Ebenen zu analysieren. Mit computervermittelter Kommunikation haben wir nur wenige Jahrzehnte Erfahrung.

SPIEGEL ONLINE: In vielen Multi-Player-Spiele fühlen sich menschliche Gegner nicht wie Personen an, sondern eher wie ein Teil der Spielmechanik. Wie kann das ein Designer ändern?

Weisman: Wenn es zwischen den Gegnern in einem Online-Spielen und den Individuen dahinter keine erkennbare Verbindung gibt, wenn sich also ihre Spielfigur nicht spürbar weiterentwickelt, dann ist das keine soziale Komponente. Man spielt dann mit menschlichen Gegnern wie mit einer künstlichen Intelligenz, nur einer besonders guten. Es ist schwierig, soziale Interaktion gut hinzubekommen. Der Computer überträgt nur eine kleine Menge der Informationen, die unser Gehirn tatsächlich verarbeitet, wenn wir mit anderen Menschen interagieren. Die Stimme, ein Videobild unseres Gesichts, Textchats – das ist nur ein Bruchteil der Informationen, die beim Umgang von Angesicht zu Angesicht anfallen.

SPIEGEL ONLINE: Daran werden Playstation 4 und Xbox One nichts ändern.

Weisman: Ich denke, es ist unmöglich, diese Fülle mit heutiger und auch mit der in absehbarer Zukunft verfügbaren Technologie digital nachzubilden. Deshalb versuche ich bei “Golem Arcana”, die Erfahrung am Spieltisch mit Elementen zusammenzubringen, die wir an Computerspielen schätzen.

SPIEGEL ONLINE: Was ist das, was muss vom Computerspiel an den Tisch?

Weisman: Bei Computerspielen können Sie sofort losspielen. Bei Tischspielen muss man erst die Regeln verstehen – eine hohe Eintrittshürde. In Computerspielen gibt es keine Regeldiskussionen, Sie können den Spielstand speichern. Und Sie müssen nicht warten, bis alle Freunde zusammenkommen, oder zumindest müssen nicht alle an einem Ort sein. Musik und Klangeffekte werden nicht ernst genug genommen. Viele Studien haben gezeigt, wie wichtig gute Musik und gute Klangeffekte für die Spielerfahrung sind. Tischspiele nutzen diese Möglichkeiten derzeit noch gar nicht. “Golem Arcana” wird einen interaktiven Soundtrack haben.

SPIEGEL ONLINE: Warum ist es Ihnen so wichtig, digitale Technik in Tischspiele zu integrieren? Müssen sie sich so radikal ändern?

Weisman: Heute spielen alle Kinder Tablet- und Computerspiele, lange bevor sie mit Tischspielen beginnen. Sie messen Brettspiele an ihrer Erfahrung mit Videospielen. In vielerlei Hinsicht schneiden Gesellschaftsspiele bei diesem Vergleich schlecht ab. Zum Beispiel: Wo ist die Savegame-Funktion? Wenn wir ein junges Publikum für Tischspiele gewinnen wollen, müssen wir auf diese Erwartungen eingehen.

SPIEGEL ONLINE: Dies ist eine interessante Veränderung. Computerspiele haben ja viele Mechanismen eins zu eins von Tischrollenspielen übernommen – Elemente wie Level, Erfahrungs- und Trefferpunkte.

Weisman: Genau. Dadurch wurde eine ganz neue Form von Spielen möglich. Dank dieser Mechanismen ist es heute möglich, dass Sie bei einem Online-Fantasy-Spiel eine Figur über Jahre hinweg entwickeln und dass Ihr Handeln die Geschichte der gesamten Spielwelt beeinflusst. Wir haben dieses Zusammenwirken von Spielmechanik und Erzählung in den Achtzigern analog bei “BattleTech” ausprobiert. Die Leute haben “BattleTech”-Turnier bei Treffen wie der Gen Con gespielt. Das Ergebnis der Schlachten wurde Grundlage von Romanen, die kamen aber erst ein, eineinhalb Jahre später raus. Damals hatten die Menschen mehr Geduld.

SPIEGEL ONLINE: Heute kann man online nahezu in Echtzeit Berichte über die historischen Schlachten im Weltraum-Onlinespiel “Eve Online” lesen.

Weisman: Das ist für mich das Aufregendste an “Golem Arcana”. Meine geheime Mission ist es, das erste Tischspiel mit einem riesigen Online-Publikum zu bauen. Wir können bei “Golem Arcana” die einzelnen Spielpartien nahezu in Echtzeit auswerten, wie bei einem Computerspiel. Denn man lädt neue Spielszenarien für “Golem Arcana” digital herunter, aufs Tablet oder Smartphone zum Tischspiel. Die spielen Sie mit Ihren Freunden und alle Spielzüge werden auf unseren Spielservern hochgeladen.

SPIEGEL ONLINE: Und das ist Material für neue Spielszenarien?

Weisman: Ja, wir verarbeiten die zusammengefassten Daten aller Spielpartien und entscheiden auf dieser Basis, wie sich die Geschichte der Welt weiterentwickelt, was als nächstes kommt. Und das landet dann nächste Woche als neues Spielszenario bei Ihnen.

SPIEGEL ONLINE: Neben dem sozialen Aspekt haben Tischrollenspiele Computerspielen noch etwas voraus: Freiheit. Mit einem guten Spielleiter können Sie alles tun. Und obwohl es heute große Spiele wie “Skyrim” gibt, fühlt sich doch keines so frei wie die analogen Tischrollenspiele an. Warum?

Weisman: Das lohnt sich betriebswirtschaftlich nicht. Um das Niveau guter Tischrollenspielpartien zu erreichen, müsste die Software so flexibel sein wie die Phantasie Ihres genialen Freunds als Spielleiter am Tisch, der auf alle Handlungen der Spieler sofort reagiert und improvisiert. Für eine Computerspielerfahrung, die dem auch nur nahe kommt, müssten Künstler und Programmierer enorme Mengen an Inhalt vorab entwickeln. Davon würden Spieler nur einen Bruchteil sehen, weil Sie nur einen Weg gehen. Das geht vielleicht noch bei Blockbuster-Titeln wie “GTA V”, aber so viel Freiheit lohnt sich bei den meisten Produktionen nicht.

Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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