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Sicherheitsmängel: Keine Wahlmaschinen mehr in Kalifornien (Spiegel Online, 5.8.2007)

Konrad Lischka
Konrad Lischka
3 minuten gelesen

Sicherheitsmängel

Keine Wahlmaschinen mehr in Kalifornien

Zurück zum Papier: Mehrere Zehntausend Wahlmaschinen in Kalifornien dürfen nicht mehr verwendet werden. Wahlleiterin Debra Bowen hat den Geräten aller Hersteller die Zulassung entzogen. Grund: Experten hatten bei einer Sicherheitsprüfung erhebliche Risiken ausgemacht.

Spiegel Online, 5.8.2007

Bei den Wahlen im kommenden Jahr dürften die Kalifornier ihre Kreuze wohl wieder auf Zetteln machen: Die Wahlleiterin des bevölkerungsreichsten US-Bundesstaats widerrief die Zulassung von Wahlmaschinen, die in 39 der 58 Wahlbezirken eingesetzt werden. Debra Bowen erklärt in einer Stellungnahme, Wähler und Bezirke seien Opfer eines bundesstaatlichen Zulassungsverfahrens geworden, das "nicht angemessen geprüft hat, ob die Systeme sicher, zuverlässig und funktionell sind".

Zwar entscheidet in Kalifornien jeder Verwaltungsbezirk selbst, ob und mit welcher Wahlmaschine abgestimmt wird – die Geräte müssen aber von der kalifornischen Wahlaufsicht zugelassen werden.

Grundlage der Entscheidung Bowens sind die Ergebnisse (PDF-Dokument) einer Untersuchung von Computer-Wissenschaftlern der University of California (UC). Die hatten in ihrem in der vergangenen Woche veröffentlichten Bericht festgestellt, dass alle überprüften Wahlmaschinen Sicherheitsmängel aufweisen.

Informatiker decken Sicherheitslücken auf

Bowen beruft sich in ihrer Stellungnahme auf diese Analyse und zieht als Fazit, viele Regierungsbezirke hätten Wahlmaschinen gekauft, die "nicht ordentlich geprüft wurden, um sicherzustellen, dass sie eine ordnungsgemäße Wahl garantieren". Wegen Geheimhaltungsvereinbarung, welche die Forscher unterschrieben haben, sind nicht alle Mängel im Detail in der veröffentlichten Analyse beschrieben. Generell seien alle getesteten Systeme hackbar, urteilten die Forscher.

SICHERHEITS-MÄNGEL: SO KNACKTEN INFORMATIKER US-WAHLMASCHINEN

Software einschleusen
Die Tester konnten Schadcodes in die Systeme einschleusen. Sobald die Wahlmaschine einmal neu gestartet wird, übernimmt die implantierte Software die Kontrolle – so kann jemand von außen das von der Maschine gemeldete Wahlergebnis verändern.

Rechte aneignen
Die Wissenschaftler konnten auf den Maschinen des Anbieters Diebold die Sicherheitsvorkehrungen so umschiffen, dass sie sich letztlich die Rechte eines zentralen Wahlleiters selbst zuwiesen. Mögliche Anwendung: die Wahlergebnisse annullieren. 

Datenbanken infiltrieren
Sowohl bei den Wahlcomputern von Diebold als auch denen von Sequoia konnten die Forscher Zugriff auf die zentrale Datenbank erhalten, an welche die Wahlmaschinen ihre Ergebnisse übertragen. 

Drei von vier Herstellern dürfen nachbessern

Die Geräte des Anbieters "Election Systems & Software" (ES&S) konnten die Forscher nicht überprüfen – das Unternehmen hatte ihnen keine Testexemplare zur Verfügung gestellt. Die Folge: Die Zulassung für Wahlmaschinen von ES&S wurde komplett widerrufen. Den drei anderen Anbietern Diebold, Sequoia Voting Machines und Hart Intercivic hat Wahlleiterin Bowen Fristen eingeräumt, innerhalb derer sie bestimmte Verbesserungen der Sicherheitssysteme vorweisen müssen.

Außerdem verlangt Bowen, dass bei den anstehenden Wahlen am 5. Februar, 3. Juni und 4. November 2008 alle Stimmen, die Wähler an Wahlmaschinen der Anbieter Sequoia und Diebold abgeben, zusätzlich auch in einer parallelen Papierwahl erfasst und zwecks Kontrolle ausgezählt werden.

Kritiker: Testszenario ist unrealistisch

Die Hersteller der Wahlmaschinen kritisieren die Interpretation der Studie. Ihre Argumentation: Man könne nicht von Laborergebnissen auf Sicherheitsrisiken in einer echten Wahlsituation schließen. Denn die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler ließen sich nicht auf die eines böswilligen Hackers übertragen, schließlich stünden bei der Wahl die Maschinen unter ständiger Beobachtung der Wahlhelfer – die Wissenschaftler hingegen hätte freie Hand gehabt.

Michelle M. Shafer, Sprecherin von "Sequoia Voting Systems", bringt die Kritik in einer Stellungnahme auf den Punkt: "Diese Evaluation war eine interessante und hilfreiche theoretische Anstrengung, jedoch keine Risikoanalyse." Die Arbeitsbedingungen der Wissenschaftler seien schlicht "unrealistisch".

Ihr Unternehmen gibt sich allerdings kooperationsbereit. Man hoffe auf "die Zusammenarbeit mit Wahlleiterin Bowen und ihrer Mannschaft". Ähnlich äußert sich Josh Allen, Sprecher von "Hart Interactive": Obwohl es "sehr unwahrscheinlich sei", dass Bedingungen wie im Labor bei einer echten Wahl auftreten würden, seien solche Tests ein "integraler Bestandteil" bei der Verbesserung der Sicherheit der Wahlsysteme.

Auch der Politikwissenschaftler Thad Hall von der University of Utah zum Beispiel sagte der "Los Angeles Times", die Tests digitaler Wahlmaschinen würde nicht auf realistischen Annahmen beruhen. Würde man die übliche Papierwahl ähnlich testen, dürfte auch dieses System durchfallen: "Ich kann eine Wahlurne aufmachen, ein paar Wahlzettel hineintun und schon ist die Wahl gefälscht." Dieses System sei doch überhaupt nicht gesichert, sofern es nicht jemand überwache.

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Konrad Lischka

Projektmanagement, Kommunikations- und Politikberatung für gemeinnützige Organisationen und öffentliche Verwaltung. Privat: Bloggen über Software und Gesellschaft. Studien, Vorträge + Ehrenamt.
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